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Der NSU-Untersuchungsausschuss schließt seine Arbeit ab.

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NSU-Untersuchungsausschuss: Högl: "Rechtsextremismus wurde über Jahre flächendeckend verharmlost"

Die Berliner SPD-Abgeordnete Eva Högl ist Obfrau ihrer Partei im NSU-Untersuchungsausschuss. Der legt am Donnerstag seinen Abschlussbericht vor. Im Interview spricht Högl über Vorurteile, die routinemäßig bedient wurden, über Reformen und einen ätzend-arroganten Auftritt eines Ex-Innenministers.

Frau Högl, anderthalb Jahre Ausschussarbeit liegen hinter Ihnen. Am Donnerstag präsentieren Sie mit den anderen Ausschussmitgliedern einen gemeinsamen Abschlussbericht. Wurden Ihre Erwartungen an den Untersuchungsausschuss erfüllt?

Meine Erwartungen wurden sogar übertroffen. -Vor allem, dass wir als Ausschussmitglieder beisammen geblieben sind und unsere Arbeit nicht politisch instrumentalisiert wurde, stimmt mich froh. Wir haben alle Beschlüsse einstimmig gefasst und jetzt am Ende auch eine gemeinsame Bewertung vorgenommen, darauf können wir stolz sein. Und durch unsere Einigkeit haben wir auch viel ans Tageslicht gefördert, was ich so auch nicht erwartet hätte. Wir können kein geschehenes Unrecht wieder gut machen, aber vielleicht konnten ein paar Fragen beantwortet werden und etwas Vertrauen in den Rechtstaat und das Parlament wieder zurück gewonnen werden.

Fühlten Sie sich ausreichend unterstützt in Ihrer Arbeit?

Trotz der Zusagen von Bundeskanzlerin Angela Merkel, dass die Bundesregierung an der Aufklärung der NSU-Verbrechen mitwirken wolle, haben einige Ministerien und Behörden die Aufklärung behindert. Wir hatten viele Hindernisse, die wir dank unseres gemeinsamen Willens überwinden konnten. Vor allem Innen- und Verteidigungsministerium haben unsere Arbeit nicht immer ausreichend unterstützt.

Was waren denn Ihre besonders erschreckendsten Momente?

Davon gab es einige. Schlimm war beispielsweise die Aktenvernichtung im Bundesamt für Verfassungsschutz. Damit hatte keiner gerechnet. Das hat viel Vertrauen zerstört und bis heute gibt es keine zufriedenstellende Antwort darauf. Erschrocken war ich auch über den Auftritt von Innenstaatssekretär Fritsche vor dem Untersuchungsausschuss. Wie man mit der Botschaft, der NSU-Untersuchungsausschuss stelle ein Sicherheitsrisiko für die Bundesrepublik dar, in die Sitzung gehen konnte, das halte ich für unfassbar. Bis heute. Von Einsicht in die Fehler und Versäumnisse der Verfassungsschutzbehörden keine Spur. Auch der Auftritt von Wolfgang Schäuble war wenig erfreulich. Der ehemalige Bundesinnenminister präsentierte sich ätzend-arrogant vor allem gegenüber den Opfern der NSU-Verbrechen nach dem Motto: Was soll ich von einer Mordserie schon gewusst haben, warum belästigen sie mich damit, wo ich doch derzeit jeden Tag Europa rette. Einen solchen Auftritt hätte ich nicht von ihm erwartet.

Gab es auch positive Erfahrungen?

Wenige. Beeindruckt war ich von den Zeugen, die in der Lage waren, das eigene Versagen zuzugeben. Zum Beispiel der Dortmunder Kriminalbeamte, den die Taten nicht losgelassen haben und der mit den Tränen gerungen hat. Auch Otto Schily hat früh zugegeben, dass er die Lage damals falsch eingeschätzt hat und Mitverantwortung übernimmt.

Was sind die wichtigsten Erkenntnisse, die man nach der Arbeit des Ausschusses ziehen muss?

Festzustellen ist, dass es sich nicht um eine Aneinanderreihung rein handwerklicher Fehler handelt, die wir durch unsere Arbeit aufgedeckt haben, sondern wir haben massive strukturelle Probleme offengelegt. Der Rechtsextremismus wurde über Jahre flächendeckend in ganz Deutschland verharmlost. Das zeigte sich an allen Stellen, wo wir hingeschaut haben. Vom Untertauchen des Trios bis hin zu den Morden. Wir sind auch häufig auf unbewusste Prozesse institutioneller Diskriminierung gestoßen.

Wie meinen Sie das genau?

Bei den Ermittlungen zu den Morden und auch zu den Sprengstoffanschlägen wurde in alle Richtungen ermittelt – nur nicht wirklich in die Richtung Rassismus oder Rechtsextremismus als Tatmotiv. Routinemäßig wurden Vorurteile bedient, sprich: Statt einen rechten Tathintergrund in Betracht zu ziehen, wurde das Motiv im Bereich Ausländerkriminalität oder Mafia gesucht. Das muss sich ändern.

Die Berliner SPD-Bundestagsabgeordnete Eva Högl ist Obfrau ihrer Fraktion im NSU-Untersuchungsausschuss.
Die Berliner SPD-Bundestagsabgeordnete Eva Högl ist Obfrau ihrer Fraktion im NSU-Untersuchungsausschuss.

© dapd

Wie will man denn solche Einstellungen reformieren?

Als erstes muss diese Tatsache von allen Beteiligten mal angenommen werden. Noch immer tun einige das ab, nach dem Motto: bei uns gibt es keinen Rassismus, weil es den laut Vorschrift nicht geben darf. Doch das Problem ist präsent und muss angegangen werden.

Wie?

Ein wichtiger erster Schritt wäre eine unabhängige Untersuchung zu vorurteilsbehafteten Einstellungsmustern in den Sicherheitsbehörden. Dann müssen Aus- und Fortbildung verbessert werden. Die interkulturelle Kompetenz muss bei der Polizei, dem Verfassungsschutz und auch in der Justiz gestärkt werden. Außerdem müssen die Behörden bunter werden, vor allem in der Führungsebene. Wir brauchen mehr Menschen mit Migrationshintergrund in allen Bereichen, vor allem an der Spitze.

Mit einer Quote?

Nein, ich bin gegen eine feste Quote aber für eine Selbstverpflichtung mit bestimmten Zielmarken.

"Das Thema Rechtsextremismus darf nicht von der Agenda verschwinden."

Auch bei der Zusammenarbeit der Behörden gab es große Probleme. Was muss sich da ändern?

Eine Menge Eitelkeiten haben sich da aufgetan, weshalb die Kommunikation zwischen den Bundesländern, mit dem Bund und zum Teil auch zwischen Behörden in einem Bundesland nicht funktioniert hat. Das gilt es abzustellen.

Wie soll das gehen? Sollen beispielsweise einzelne Landesämter für Verfassungsschutz aufgelöst werden?

Der Verfassungsschutz muss grundlegend reformiert werden, ich bin aber dagegen, einzelne Ämter aufzulösen, schon allein wegen der Probleme bei der parlamentarischen Kontrolle. Die Zentralstellenfunktion des BfV muss gestärkt werden. Außerdem halte ich einen Umzug der Abteilung Rechtsextremismus des BfV nach Berlin für wichtig.

Nur diese Abteilung?

Damit könnte man zumindest mal anfangen. Man hat damit in der Vergangenheit schon bei einer anderen Abteilung gute Erfahrungen gemacht. Denn das BfV braucht frischen Wind. Die Analysekompetenz muss verbessert werden, personell muss das Amt pluraler zusammengesetzt sein, es muss sich mehr nach außen auch gegenüber wichtigen gesellschaftlichen Gruppen öffnen.

Bestätigt sich der Eindruck vom Verfassungsschutz auch durch die jüngste Spähaffäre?

Das passt vor allem in einem Punkt zusammen. Einen transparenten Nachrichtendienst wird es nicht geben, aber eine Öffnung ist sinnvoll. Was sind Ziele, Aufgaben und Arbeitsweisen dieser Institution, darüber muss es eine öffentliche Debatte geben. Außerdem zeigt die Diskussion über den amerikanischen Geheimdienst NSA und mögliche Verstrickungen der deutschen Dienste auch die Notwendigkeit einer Reform der parlamentarischen Kontrolle.

Wie soll die aussehen?

Das Kontrollgremium muss gestärkt werden, personell besser ausgestattet werden mit einem schlagkräftigen Arbeitsstab und einem „leitenden Beamten“, der sich ausschließlich mit der systematischen und strukturellen Kontrolle der Nachrichtendienste beschäftigt. Außerdem muss die G-10-Kommission beim Einsatz von V-Leuten eingebunden werden. Wir brauchen dort eine Kontrollinstanz außerhalb der Exekutive.

Brauchen wir nach den Erfahrungen, die auch der Ausschuss mit V-Leuten gemacht hat, überhaupt noch V-Personen?

Wir wollen einen wirkungsvollen Verfassungsschutz, dafür brauchen wir V-Leute. Verdeckte Ermittler können sie nicht ersetzen, weil der organisatorische Aufwand zu groß ist und es viel zu lange dauert, bis diese in der Szene ein entsprechendes Vertrauen aufgebaut haben.. Die Auswahl der V-Leute muss aber anders laufen als bisher. Schwerverbrecher dürfen nicht herangezogen werden und auch  die Führung der V-Leute muss regelmäßig wechseln, damit es keine zu enge Beziehung gibt.

Ist die Sache jetzt parlamentarisch aufgearbeitet oder muss es einen neuen Ausschuss geben in der nächsten Legislaturperiode?

Nein. Der Ausschuss endet jetzt und ich halte es nicht für sinnvoll, ihn in der nächsten Legislaturperiode fortzusetzen. Da geht es dann vielmehr um die Umsetzung der Reformen.

Das dürfte doch bei der großen Einigkeit kein Problem sein?

Wir haben zwar einen gemeinsamen Beschluss gefasst, aber im Detail gibt es Unterschiede. Einige wählen radikalere Ansätze. Wir als SPD halten verantwortlich Maß und Mitte. Und dafür brauchen wir Mehrheiten.

Haben Sie die Befürchtung, dass mit dem Ende des Ausschusses das Thema NSU und Rechtsextremismus ganz von der Tagesordnung verschwindet?

Die Gefahr besteht. Es besteht auch die Gefahr, dass die Schlussfolgerungen des Abschlussberichts in einer Schublade verschwinden. Dagegen werde ich auch ganz persönlich ankämpfen. Das Thema Rechtsextremismus darf nicht von der politischen Agenda verschwinden. Wenn man sich ansieht, wie aggressiv die NPD und andere rechte Parteien hier in Berlin für sich werben, zeigt sich, wie aktuell das Thema ist.

Eva Högl ist Berliner SPD-Bundestagsabgeordnete und Obfrau ihrer Fraktion im NSU-Untersuchungsausschuss. Das Gespräch führte Christian Tretbar.

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