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Thüringens Innenminister Jörg Geibert (CDU) steht in der Kritik. Hat er zu viel Transparenz gewagt?

© dpa

NSU-Untersuchungsausschuss: Thüringen verteidigt Weitergabe ungeschwärzter Akten

Hunderte ungeschwärzte Akten hat Thüringen an den NSU-Ausschuss im Bundestag geliefert. Was wiegt schwerer: Geheimschutzinteressen oder Aufklärungswillen? Das Bundesinnenministerium sieht Klärungsbedarf.

Die Weitergabe von ungeschwärzten Akten aus Thüringen an den NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages sorgt für Ärger. Die Landesregierung in Erfurt verteidigte ihr Vorgehen gegen Kritik von Verfassungsschützern. Thüringens Innenminister Jörg Geibert (CDU) sagte der Deutschen Presse-Agentur am Montag: „Wenn man Transparenz will, kann man sich nicht anders verhalten.“ Den Vorwurf des Landesverrats, wie ihn Verfassungsschützer geäußert hatten, wies er zurück. Das Bundesinnenministerium sieht Klärungsbedarf.

Die Thüringer Landesregierung hatte 778 Aktenordner an den NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag geliefert. Die Unterlagen stammen von den Thüringer Sicherheitsbehörden, vor allem vom Verfassungsschutz. Sie enthalten auch Dokumente, die die Thüringer von anderen Verfassungsschutzämtern aus Bund und Ländern bekommen haben. In den Akten sind auch Papiere, die als geheim oder vertraulich eingestuft sind - etwa die Klarnamen von V-Mann-Führern.

Verfassungsschützer von Bund und Ländern hatten die Weitergabe der Unterlagen heftig kritisiert. In einer Telefonkonferenz von leitenden Verfassungsschützern wurde gegen Geibert der Vorwurf des Verdachts auf Landesverrat laut. Auch von möglichen strafrechtlichen Konsequenzen war die Rede. Die Position hatte in der Runde jedoch keine Mehrheit.

Geibert wies den Vorwurf zurück. „Das ist völlig abwegig“, sagte er der Nachrichtenagentur dpa. Schließlich seien die Parlamente keine fremden Mächte, sondern hätten einen rechtlich verbürgten Informationsanspruch. Der Minister rechtfertigte auch die besonders umstrittene Weitergabe von Klarnamen von V-Mann-Führern. Schließlich seien die Geheimhaltungseinstufungen bei den Akten für die Ausschüsse nicht aufgehoben worden.

Zuvor hatte schon Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) die Weitergabe der Akten verteidigt und sich hinter ihren Innenminister gestellt. „Wer nicht aufklärt, fliegt auf“, sagte Lieberknecht auf dem Weg zu einem Russland-Besuch. Es dürfe keinen parlamentarisch kontrollfreien Raum geben. Maßstab für Thüringen seien die Worte von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die lückenlose Aufklärung im Fall NSU versprochen hatte.

Das Bundesinnenministerium sieht dagegen Klärungsbedarf. Das Ausliefern der ungeschwärzten Unterlagen werfe Fragen auf, sagte ein Ministeriumssprecher in Berlin. Es gebe aus guten Gründen Regeln für eine solche Datenweitergabe. Unter anderem müssten Behörden, deren Schriftstücke betroffen seien, grundsätzlich vorher gefragt werden.

Der Sprecher betonte, das Innenressort bemühe sich nun gemeinsam mit dem Ausschuss, dem Aufklärungsinteresse des Gremiums nachzukommen und zugleich die Geheimschutzinteressen der Sicherheitsbehörden zu wahren. Der NSU-Untersuchungsausschuss verteidigte die Lieferung ungeschwärzter Akten. Das Gremium begrüßte am Montag die Kooperationsbereitschaft der Landesregierung in Erfurt und wies Kritik an Thüringens Innenminister Jörg Geibert (CDU) zurück. Durch die Übersendung der Unterlagen an die Geheimschutzstelle des Parlaments und die vollständige Einstufung der Akten als geheim habe Thüringen ein hohes Schutzniveau gewährleistet. Der Untersuchungsausschuss sagte allerdings zu, die Akten vorerst - bis zum 18. Oktober - nicht einzusehen.

Das Thüringer Innenministerium hat bereits angekündigt, auch weiterhin Geheimakten offenzulegen. Die bislang gelieferten rund 780 Aktenordner stammen einem Sprecher zufolge aus den Jahren 1991 bis 2002 und sind an die Geheimschutzstelle des Bundestages gegangen. Ende Oktober sollen weitere 1000 ungeschwärzte Akten aus dem Zeitraum 2003 bis 2012 an die NSU-Ausschüsse von Bundestag und Landtag gehen.

Die Ausschüsse der Parlamente befassen sich seit Monaten mit der Mordserie, die der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) zugeschrieben wird. Die drei aus Thüringen stammenden Mitglieder - Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt - waren Ende der 90er Jahre untergetaucht. Der rechtsextremistischen Gruppe werden zehn Morde zur Last gelegt. (dpa)

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