zum Hauptinhalt
Obama definiert sein Land wieder als Ordnungsmacht.

© dpa

Obama handelt, die Deutschen geben Ratschläge: Endlich, der Weltpolizist USA kehrt zurück!

Amerika kämpft gegen die IS-Terrormiliz. Dabei ist das Land vom Krisenherd ziemlich weit weg, weiter jedenfalls als Europa. Obama hätte ja auch Nein sagen können. Dann hätte Deutschland jedoch noch mehr zu jammern. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

In Syrien und Teilen des Irak wüten seit Monaten die Terrormilizen der IS. Ihre Brutalität stellt die von Al Qaida in den Schatten. Millionen Menschen sind auf der Flucht, viele auch in Richtung Deutschland. Insbesondere Christen und Jesiden leben in akuter Angst vor einem Völkermord.

Das ist die Lage, und das sind ein paar Schlagzeilen aus den vergangenen Tagen: „Angriff auf die Gotteskrieger – Schaffen das die Amerikaner?“ („Die Zeit“); „Alter Glaube, alte Fehler – Amerika führt Krieg gegen IS und bringt verbündete Rebellen gegen sich auf“ („Der Spiegel“); „Barack Obama – vom Friedensnobelpreisträger zum Kriegspräsidenten“ („Bild“). Derweil stellt sich Außenminister Frank-Walter Steinmeier vor die Vereinten Nationen und meint, die Welt scheine aus den Fugen geraten zu sein. Einzig die „tageszeitung“ merkt, wie hohl die Phrasen von einst heute klingen und titelt ironisierend: „Völkerrechtswidrige imperialistische US-Aggression gegen souveränes Kalifat (IS). Flächenbrand brennt“.

Die 11/9-Urerfahrung der Deutschen heißt: alles wird irgendwann gut

Ist das wirklich Amerikas Krieg, den die Deutschen, die bekennendermaßen bis hin zum Außenminister komplett verwirrt sind, aus ruhiger Distanz auf seine Erfolgschancen hin analysieren können? Oder setzt sich in dieser Wahrnehmung fort, was seit 11/9 (Mauerfall in Berlin) und 9/11 (Terroranschläge auf Amerika) den transatlantischen Graben stetig vertieft hat?

Die 11/9-Urerfahrung der Deutschen heißt ja, alles wird irgendwann gut, totalitäre Staaten wandeln sich durch Annäherung, friedliche Revolutionen und Runde Tische sind mächtiger als die Sprache der Gewalt. Die 9/11-Urerfahrung der Amerikaner heißt dagegen, das Böse ist real, es muss bekämpft werden, selbst Pakte mit Teufeln können sinnvoll sein, wenn es gegen den Satan geht.

Die 9/11-Urerfahrung der Amerikaner heißt: das Böse ist real

Obama hätte auch Nein sagen können: Lass den IS doch morden, wir ziehen uns weiter weltweit zurück, Amerika will nicht auf ewig die Rolle des Weltpolizisten spielen. Zu anstrengend, zu teuer, zu riskant. Von Ölimporten sind wir dank Fracking bald unabhängig, und der Nahe und Mittlere Osten lässt sich ohnehin nicht befrieden. Wozu sollen wir uns erneut in diesen Irrsinn verstricken lassen?

Und dann? Dann wäre das Gejammer in Deutschland über amerikanische Passivität noch größer gewesen, als es die Leidenschaft jetzt ist, die Interventionsplanungen als unausgegoren zu kritisieren. Statt aus Scham angesichts der militärischen und logistischen Kapazitäten der Bundeswehr dauerhaft zu erröten – und etwas zurückhaltender bei strategischen Ratschlägen zu werden –, brüsten sich die Experten hierzulande mit ihrer Ahnungslosigkeit, wissen aber ganz genau, was Amerika schon wieder alles falsch macht.

Ukraine-Konflikt, IS-Terror, Ebola: Amerika ist von alledem ziemlich weit weg, weiter jedenfalls als Europa, und Amerikas vitale Interessen sind durch diese Krisen weniger tangiert als die der Europäer. Dennoch handelt Obama, erliegt nicht den isolationistischen Versuchungen, definiert sein Land wieder als Ordnungsmacht. Vielleicht klingt es zu schwülstig, aber die öffentlich zum Ausdruck gebrachte Erleichterung darüber – denn Dankbarkeit ist keine politische Kategorie – sollte zumindest nicht viel leiser ausfallen als die Sorge, aus Obama könne ein Bush geworden sein.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false