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Was tun? Präsident Obama hält die Lage in Syrien derzeit für kaum lösbar.

© Kevin Lamarque/Reuters

Obama und der Krieg in Syrien: Wie Aleppo den Machtverlust der USA aufzeigt

US-Präsident Obama wird seinen Kurs in der Syrien-Frage nicht mehr ändern. Nahost-Experten sehen die Glaubwürdigkeit der USA unterminiert. Eine Analyse.

Der Regierung von US-Präsident Barack Obama erhöht im Syrien-Konflikt den rhetorischen Druck auf Russland, wird in ihren letzten Monaten im Amt ihre passive Haltung gegenüber dem Konflikt nach Einschätzung von Experten aber wahrscheinlich nicht mehr ändern. Während die syrischen Regierungstruppen und die russische Luftwaffe ihre Angriffe auf die ehemalige Wirtschaftsmetropole Aleppo immer weiter verstärken und einem Sieg über die Opposition näher rücken, bleibt Obama bei seinem Nein zu einem stärkeren militärischen US-Engagement. Einige Experten befürchten langfristige Folgen für die Position Amerikas im Nahen Osten.

Nach zahlreichen russischen Luftangriffen in der Nacht setzte die syrische Armee auch am Sonntag ihren Vormarsch in der umkämpften Großstadt Aleppo fort. Die Regierungstruppen seien mit Unterstützung der russischen Flugzeuge bis an die Grenze des von Rebellen kontrollierten nördlichen Viertels Al-Halak vorgestoßen, erklärte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Das UN-Büro für humanitäre Hilfe (Ocha), setzte sich dafür ein, wenigstens Kranke und Verletzte in Sicherheit zu bringen.

Wegen der Lage in Aleppo droht US-Außenminister John Kerry mit einer Absage der geplanten amerikanisch-russischen Zusammenarbeit gegen Extremisten in Syrien. Medienberichten zufolge wird in Washington über Optionen wie eine bessere militärische Ausrüstung für syrische Rebellen nachgedacht. Russland warnt die Amerikaner davor, Regierungstruppen in Syrien anzugreifen.

Auch ohne diese Warnung würde es wahrscheinlich bei der Zurückhaltung der USA bleiben. Obama lässt zwar mit Kampfflugzeugen und Drohnen den "Islamischen Staat" (IS) in Syrien angreifen und unterstützt die syrischen Kurden in deren Kampf gegen die Dschihadisten. Washington übt jedoch keinen militärischen Druck auf den syrischen Präsidenten Baschar al Assad aus, um ihn zur Aufnahme ernsthafter Verhandlungen mit der Opposition über eine politische Lösung des Konflikts zu bewegen.

Nur Berichte über neue Gräueltaten könnten die Stimmung ändern

Mit dieser Haltung überlässt Obama Russland das Feld, sagen Kritiker. Kerrys Bemühungen, gemeinsam mit Russland eine Waffenruhe in Syrien durchzusetzen, sind in diesem Jahr bereits zweimal gescheitert – auch an der Haltung Moskaus, wie Kerry und Obama beklagen. Mit dem russischen Kriegseintritt vor einem Jahr hat sich Moskau einen Vorteil gegenüber Washington verschafft.

Da Obama nicht militärisch eingreifen will, um eine politische Lösung zu erzwingen, müssen die USA der Entwicklung in Syrien auch nach mehr als fünf Jahren Krieg und einer halben Million Toten mehr oder weniger hilflos zuschauen. "Sie reichen das Thema einfach an die nächste Administration weiter", sagte der Politik-Professor Andrew Peek von der Pepperdine-Universität im kalifornischen Malibu dem Tagesspiegel in Washington. "Nur ein Desaster kann noch helfen", fügte er hinzu: Lediglich große Empörung in der amerikanischen Öffentlichkeit über neue Gräueltaten in Syrien werde die Regierung zum Handeln bewegen können.

Nicht alle Beobachter unterstellen der US-Regierung eine solch herzlose Motivation. Obama halte die Lage in Syrien tatsächlich für derzeit kaum lösbar, meint Michael O’Hanlon von der Denkfabrik Brookings Institution in Washington. Der Präsident versuche, in der schwierigen Situation die Risiken für die USA zu minimieren, sagte O’Hanlon.

Zudem verspüren die amerikanischen Wähler nach den militärischen Abenteuern in Afghanistan und im Irak, die vielen US-Soldaten das Leben kosteten, Milliardensummen verschlangen, aber kaum als strahlende Erfolge angesehen werden können, keinen Appetit auf einen weiteren Kriegseinsatz in Nahost. In einer Fernsehsendung sagte Obama jetzt, nur ein massiver US-Truppeneinsatz könne den Krieg in Syrien stoppen – wohl wissend, dass die Bürger das nicht wollen.

Selbst als Assad mit dem Einsatz chemischer Waffen eine von Obama definierte "rote Linie" überschritt, unternahmen die USA nichts. Damit habe Obama die Glaubwürdigkeit der USA unterminiert, sagt Zager Sahloul, ein amerikanisch-syrischer Arzt, der sich für die humanitäre Hilfe in Syrien engagiert, dem Tagesspiegel. "Der syrische Völkermord wird ein Schandfleck in der Bilanz von Obamas Präsidentschaft sein."

Experten sehen einen strategischen Fehler des US-Präsidenten

Auch Professor Peek sieht einen strategischen Fehler in Obamas Syrien-Politik. Amerika erscheine im Nahen Osten als Akteur, der um jeden Preis Vereinbarungen mit Russland anstrebe, statt Moskau die Grenzen aufzuzeigen. Zum ersten Mal überhaupt werde Russland so zur entscheidenden Nahost-Macht.

Selbst innerhalb der US-Regierung selbst ist Obamas Linie umstritten. Im Juni forderten 51 Diplomaten des US-Außenamtes in einem internen Memo amerikanische Angriffe auf syrische Regierungstruppen, um Assad an den Verhandlungstisch zu bringen. Presseberichten zufolge stimmt Kerry dieser Position zu, kann sich in der Regierung aber nicht durchsetzen.

Das wird sich wohl auch nicht mehr ändern. Nicht zuletzt die bevorstehende Präsidentenwahl am 8. November spricht aus Obamas Sicht gegen riskante Manöver, mit denen die Siegchancen seiner ehemaligen Außenministerin Hillary Clinton gefährdet würden. Doch nach der Wahl werde die neue Regierung vor noch größeren Problemen stehen, weil Obamas Passivität längst Fakten geschaffen haben werde, sagt Sahloul voraus: "Diplomatie ohne Macht dahinter ist sinnlos." (mit AFP)

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