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Pakistan und die USA: Auge um Auge, Million um Million

Das Urteil gegen einen Mediziner, der Washington unterstützte, ist ein Racheakt Islamabads.

Ginge es nicht um Menschenleben, wäre der Fall Shakil Afridi zum Lachen. So ist er aber zum Gruseln. Weil er zeigt, wie miserabel es um das pakistanische Justizwesen bestellt ist. Und weil sich an der Person des Arztes verdeutlicht, auf welch tiefes Niveau die Beziehungen zwischen Pakistan und den USA gesunken sind. Die Drohnenangriffe vom Wochenende dürften nun ihres dazu beitragen, dieses Verhältnis weiter zu belasten.

Shakil Afridi war im Mai vergangenen Jahres von pakistanischen Behörden festgenommen worden, kurz nachdem eine US-Spezialeinheit Osama bin Laden in dessen Refugium in Abbottabad getötet hatte. Afridi hatte offenbar im Auftrag der CIA in der Garnisonsstadt ein Polio-Impfprogramm vorgetäuscht, um DNA-Proben der Bewohner des Bin-Laden-Anwesens zu bekommen und so die Identität des Terrorchefs zu verifizieren. Ob der Plan glückte, ist nicht bekannt. Doch Afridi war für pakistanische Offizielle, die von der US-Aktion nichts gewusst hatten, der einzig greifbare „Schuldige“. Der Prozess gegen ihn ist zur völligen Farce verkommen.

Am 24. Mai ist Afridi unter pakistanischem Stammesrecht in den so genannten Stammesgebieten zu 33 Jahren Haft verurteilt worden. Im Vorfeld hatte es geheißen, er werde für seine Kooperation mit der CIA wegen Hochverrates angeklagt. Neben der Tatsache, dass seine Hilfe beim Finden des Terrorchefs, der auch Pakistan den Krieg erklärt hatte, als Hochverrat gewertet wurde, war erstaunlich, dass für den Prozess die Stammesgebiete und nicht das normale pakistanische Staatsgebiet mit der dort gültigen Jurisdiktion gewählt wurde – wo ja Afridi sein „Verbrechen“ begangen hatte. Im Laufe des Verfahrens drang an die Öffentlichkeit, dass eine Verurteilung wegen Hochverrats in den Stammesgebieten rechtlich nicht möglich ist. Wenige Tage nach dem Schuldspruch wurde der Urteilstext bekannt, und darin war dann auch keine Rede mehr von der CIA: Der Arzt wurde beschuldigt, die islamistische Terrororganisation Lashkar-e-Islam unterstützt zu haben. Doch eben jene Gruppe hat dies jetzt empört zurückgewiesen, jede Verbindung zu ihm bestritten und den verurteilten Arzt selbst mit dem Tod bedroht – die vorerst letzte Wendung jener pakistanischen Justizfarce.

„Afridi ist zum Spielball in den Spannungen zwischen Islamabad und Washington geworden“, sagt der pakistanische Autor Abbas Rashid. „Beide Seiten missbrauchen ihn, um Härte zu demonstrieren.“ Rashid meint die Kürzung der US-Militärhilfe um 33 Millionen Dollar – eine Million für jedes Jahr Haft. Obwohl die US–Regierung ihrem wichtigsten Nicht-Nato-Alliierten nach wie vor jedes Jahr mindestens eine Milliarde Dollar vorwiegend an Militärhilfe zukommen lassen, vertraut sie spätestens seit der Entdeckung bin Ladens nicht mehr auf Pakistans Wort – und Einsatz – im Antiterrorkampf. Pakistan wiederum sieht seine Opfer nicht genug gewürdigt und empfindet vor allem die Einsätze der unbemannten Predator-Drohnen in den Stammesgebieten an der afghanischen Grenze als ständige Verletzung seiner Souveränität.

Erst am Sonntag haben Hellfire-Raketen in Südwaziristan, ein Rückzugsort für Taliban und Al Qaida, acht mutmaßliche Extremisten getötet, am Samstag waren es zwei. Insgesamt wurden alleine in den vergangenen Wochen sechs Luftangriffe bekannt. Immer wieder sterben dabei Zivilisten, was auch seitens der USA bestätigt wird. Doch ist der menschenrechtliche Aspekt (siehe Interview links) nicht Islamabads Hauptkritik. In Gesprächen mit Militärs geht es vielmehr darum, dass sie die Technik von den Amerikanern wollen, um die Angriffe selbst fliegen zu lassen – was wiederum für die US-Armee nicht in Frage kommt.

Opfer großer Interessen. Der Arzt Afridi – hier auf den Titelseiten pakistanischer Zeitungen – ist in einem zweifelhaften Prozess zu 33 Jahren Haft verurteilt worden. Fotos: AFP (2), dpa
Opfer großer Interessen. Der Arzt Afridi – hier auf den Titelseiten pakistanischer Zeitungen – ist in einem zweifelhaften Prozess zu 33 Jahren Haft verurteilt worden. Fotos: AFP (2), dpa

© AFP

Ein weiterer Streitpunkt, bei dem jetzt die pakistanische Seite hart verhandelt, ist die Wiederöffnung der Nato-Versorgungsrouten nach Afghanistan. Diese waren geschlossen worden, nachdem im November bei einem fehlgeleiteten Luftangriff der Alliierten auf einen Grenzposten 24 pakistanische Soldaten getötet worden waren. Die Nato musste auf die nördlichen Routen über Usbekistan und Tadschikistan ausweichen, was die Transportkosten erhöhte. Deshalb will jetzt auch Pakistan mehr Geld. „Bisher waren es wenige hundert Dollar pro Laster, wären es jetzt 5000, würde die Nato immer noch sparen“, behauptet ein pakistanischer Offizieller. Zudem wird eine Entschuldigung von US-Präsident Barack Obama für die November-Attacke gefordert, die in US-Wahlkampfzeiten eher schwer zu bekommen sein dürfte.

Es sieht nicht so aus, als ob das Verhältnis sich bald bessern dürfte. Für den Arzt Shakil Afridi bedeutet das nichts Gutes. In der pakistanischen „Express Tribune“ schrieb jetzt der frühere Chef des Geheimdienstes ISI, Asad Durrani, Afridi würde vielleicht bald wieder Polio-Impfungen durchführen können – im „gelobten Land“. Offen blieb dabei, und das wohl mit voller Absicht, ob damit eine Übergabe des Arztes an die USA gemeint sein könnte oder aber dessen baldiger Tod in seinem pakistanischen Gefängnis.

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