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Peter Struck, passionierter Pfeifenraucher, Verteidigungsminister und Parlamentarier.

© dpa

Peter Struck: Ehrlich geradeaus

Pfeife und Lederkluft: Peter Struck war als Verteidigungsminister äußerst beliebt. Doch seine Liebe galt dem Parlament. Dort prägte er als Fraktionsvorsitzender die Schröder-Jahre und sorgte in der Großen Koalition für Verlässlichkeit. Nun ist der Sozialdemokrat überraschend gestorben.

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Es ist nur wenige Wochen her, da saß Peter Struck in der Friedrich-Ebert-Stiftung mit Journalisten zusammen und kam ins Reden. Eigentlich ging es bei dem Termin um den Kongress „Werte und Politik“, den die von ihm geleitete Stiftung im Oktober ausrichtete. Doch der frühere SPD-Fraktionschef und Verteidigungsminister nutzte die Gelegenheit, um nach dem Ende des offiziellen Teils seine trockenen Kommentare abzugeben und mit guten Bekannten über die Bundespolitik zu diskutieren, der er auch drei Jahre nach seinem Abschied aus dem Bundestag noch immer ein bisschen nachzutrauern schien.

Die Stimmung war gelöst, die Meisten in der Runde duzte Struck ohnehin, denn abgehoben war er nie, eher raubauzig und klar zugleich. Jemand, der Nähe herstellen konnte, ohne sich gemein zu machen. Wie immer gab der studierte Jurist auch jetzt Sottisen und harte Urteile zum Besten, sparte auch Politiker der eigenen Partei nicht aus, und so brachte er seine Zuhörer zum Schmunzeln und Lachen. Man ahnte schon, dass da noch etwas kommen würde.

Und es kam dann auch. Ganz nebenbei erzählte er, welcher Sozialdemokrat im Jahr 2008 dafür gesorgt hatte, dass nicht Kanzlerin Angela Merkel allein die Spareinlagen in der Finanzkrise garantiert hat. In den SPD-Präsidiumssaal sei damals im Oktober die Nachricht hineingereicht worden, dass Merkel gleich vor die Presse treten würde. In diesem Moment, so erinnerte sich zumindest Struck, forderte er Peer Steinbrück auf: „Da musst du auch hin.“ Was der damalige Finanzminister und heutige SPD-Kanzlerkandidat bekanntlich dann auch tat.

Vier Jahre brauchte diese Anekdote, bis der Mann mit dem Schnauzbart sie nicht mehr für sich behielt. Denn Peter Struck war weder als Politiker noch als Mensch ein Aufschneider. Im Gegenteil: Gern erzählte er große Vorgänge so, dass sie ganz klein erschienen. Im Understatement fühlte er sich offenbar wohl. So wie im Jahr 2003 kurz vor dem Irakkrieg, als der damalige Verteidigungsminister im Reichstag mit Journalisten zusammenstand und von einem Treffen mit seinem amerikanischen Amtskollegen berichtete: „Der Rumsfeld hat mir gesagt, es geht in ein paar Wochen los“, brummelte Struck und riss dabei nicht einmal die Augen auf. Dabei wusste jeder, dass er wie die gesamte rot-grüne Regierung den Feldzug von George W. Bush für höchst gefährlich hielt. Aber Hysterie war nicht sein Metier.

Auch Gerhard Schröder hat diese Gelassenheit lange mit Gleichgültigkeit oder Desinteresse verwechselt. Struck organisiere in der Bundeshauptstadt Bonn „das Kartell der Mittelmäßigkeit“, ätzte der damalige niedersächsische Ministerpräsident in den 90er Jahren über seinen Landsmann Struck, nachdem der ihm die Fähigkeit zum Kanzlerkandidaten abgesprochen hatte. Als Struck Fraktionschef und Verteidigungsminister war, schätzten sich die beiden dann allerdings sehr.

Raubeinig, manchmal missgestimmt, aber ehrlich

Bei den Soldaten war der Mann mit dem Schnauzbart und der Pfeife durch seine unverblümte Art so beliebt wie vor ihm nur Georg Leber. Der leidenschaftliche Motorradfahrer trat bei Festen mit schwarzer Sonnenbrille und Pepita-Hütchen auch schon mal auf die Bühne und sang Lieder der Blues Brothers. Nur wenige Monate nach seinem Ruf ins Verteidigungsministerium prägte Struck die Formel, die mit dem Afghanistan-Einsatz verbunden bleiben wird: „Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt.“

Aber es gibt noch einen anderen Satz, der sein politisches Leben geprägt hat. Was Struck für die Politik in Deutschland bedeutete, das zeigt die Häufigkeit, mit der in einer Sitzungswoche in Berlin unter den Abgeordneten aller Fraktionen, von der CSU bis hinüber zur Linkspartei, das nach ihm benannte „Strucksche Gesetz“ zitiert wird. Das besagt, dass „kein Gesetz den Bundestag so verlässt, wie es hineingekommen ist.“ Struck war das einmal herausgerutscht. Aber in diesem kurzen Satz hat er die ganze Macht des Parlamentes beschrieben.

Struck, der langjährige Abgeordnete, hat nie vergessen, dass nicht die Regierung sondern die sie tragende Koalition die Macht des Volkes verkörpert. Er war ein Realist. Einer, der immer wusste, wenn er in eine Verhandlung mit dem Koalitionspartner ging, dass es nicht darauf ankam, als Sieger vom Platz zu gehen, sondern darauf, einen Kompromiss zu finden, mit dem alle an der Regierung Beteiligten leben konnten.

Das machte ihn zum erfahrenen Makler einer sozialdemokratischen Politik, oft rauhbeinig, manchmal missgestimmt, aber immer ehrlich, verlässlich für seine Partner und an der Sache orientiert. Und das Erstaunen in seinen oft sprechenden blauen Augen verriet, wie sehr ihn Überraschungen anzuregen vermochten.

Kein anderer als der langjährige Fraktionschef der Union, Volker Kauder, hat sich erst unlängst an diese verlässliche Seite Strucks erinnert. Vier Jahre, von 2005 bis 2009, haben Kauder und Struck die Fraktionen von Union und SPD in der großen Koalition geführt. Und manches Mal schien es, als sei es auch dem Verhältnis der beiden alten Haudegen zu verdanken, dass diese Regierung den Deutschen in so guter Erinnerung geblieben ist. Sie waren ehrlich zueinander, sie haben sich vertraut, sie konnten wohl ganz einfach miteinander.

Als Kauder jüngst, in kleiner Runde, über die Probleme des koalitionären Handelns mit der FDP mal wieder zu stöhnen begann, da erinnerte er sich an den Duzfreund Peter von damals. Diese fortwährenden Absprachen zwischen CDU, CSU und FDP, die immer wieder neuen Ansätze und Quertreibereien, weil das gerade Verabredete plötzlich neu gedreht und gewendet werden muss, all das wäre ihm, resümierte Kauder, mit Struck wohl nicht passiert.

Als Struck Ende September 2009 den Bundestag verließ, da tat er das mit Wehmut. Nicht sein Motorrad, nicht sein Amt als Verteidigungsminister, nein, das Dasein als Bundestagsabgeordneter war „nach wie vor das Größte für mich“ bilanzierte Struck sein politisches Leben nach 29 Jahren als Parlamentarier.

Er war es aus Leidenschaft. Von 1980 bis 2009 war er Mitglied des Deutschen Bundestages, mehrmals direkt gewählter Abgeordneter des Wahlkreises Celle-Uelzen. Wie viel Anteil sein Wahlspruch „Celle - Uelzen - Struck“ daran hatte, ist unklar.

Schon 2004 hatte Struck noch im Regierungsamt einen Schlaganfall erlitten – und wurde als Notfall in die Berliner Charite gebracht. Es folgte eine fast zehnwöchige Zwangspause, in der ausgiebig über Strucks Konstitution und auch über eine womöglich unvermeidliche Kabinettsumbildung spekuliert wurde. Schließlich hatte der Verteidigungsminister bereits in den 80er Jahren zwei Herzinfarkte erlitten – als noch nicht einmal 50jähriger.

Struck hat diese Grenzerfahrung im Nachhinein als eine positive verkauft. Er habe damals „dem Tod in die Augen gesehen“ und sei dadurch gelassener geworden, behauptete er. Nun erlag er einem schweren Herzanfall. Am 24. Januar wäre Peter Struck 70 Jahre alt geworden. Er freute sich schon darüber, dass seine Stiftung zu diesem Anlass ein Symposium zum Thema „Neue Herausforderungen der Außen- und Sicherheitspolitik“ plante, auf dem auch Ex-Kanzler Gerhard Schröder sprechen sollte. Nun werden die großen Reden auf Peter Strucks Verdienste früher gehalten werden.

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