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Gibt es Grenzen der Satire? Darf jeder Witz gerissen werden, wenn er als solcher gekennzeichnet ist?

© dpa

Tahar Ben Jellouns Essays: Paris im Kopf

Der frankofone marokkanische Schriftsteller schreibt in seinem neuen Buch über den "Islam, der uns Angst macht". Eine Rezension

Einsamkeit fühlt der Intellektuelle islamischer Kultur, der den Spagat machen muss zwischen der in Frankreich gewährten Gedankenfreiheit und der Zugehörigkeit zur Umma Islamiya, die ihn diese Freiheit nicht ausüben lässt.“ Die Beschreibung dieses Dilemmas hat Tahar Ben Jelloun, der bedeutendste frankofone marokkanische Schriftsteller seinem neuen Buch vorangestellt. Damit ist der Ton gesetzt in einer Sammlung von Essays, die zum Teil unter dem Eindruck des Angriffs auf „Charlie Hebdo“ im Januar 2015 entstanden sind, bei dem er zwei Freunde verloren hat. Durch die verheerenden Anschläge in Paris gewinnt sein Buch erst recht an Aktualität. Sein erster Beitrag war eine unmittelbare Reaktion auf den Anschlag im Januar, „Sieben Worte“, kurze Stücke zu Worten, „die man hört und deren Bedeutung sich auflöst“: Er nennt Freiheit als erstes, dann Wut, Islam, Lächeln, Rache, Unwissenheit und Widerstand – erste Versuche, sich zu wehren, den Islamisten auch den Koran vorzuhalten, denn der Prophet habe die Rache der Islamisten überhaupt nicht nötig. „Unwissenheit und Angst verursachen, beschwören und begründen Rassismus und Intoleranz.“

Höhepunkt des Buches ist ein fiktiver Dialog mit seiner Tochter zum Thema „Muss man vor dem Islam Angst haben“. Die Tochter fragt, ob man sich im Krieg befinde, ob es mehr als einen Islam gebe, warum die muslimischen Führer den Terror nicht verurteilten. Warum benehmen sich Kinder von Einwanderern wie Barbaren? „Sie sind Franzosen, aber fühlten sie sich wirklich als Franzosen? Sehr früh waren sie auf sich alleine gestellt, ohne Erziehung, ohne nachhaltige Schulbildung, Kleinkriminelle, die im Knast gewesen sind, herauskamen mit leerem Kopf … Sie waren die idealen Opfer für die Werber des Dschihad.“ Der Ruf nach Bildung durchzieht das ganze Buch, Ben Jelloun spielt damit vor allem auf die Situation in Frankreich an, aber angesichts der vielen Flüchtlinge in Deutschland wirkt sein Appell umso nachhaltiger. Den jungen Menschen aus der arabischen Welt muss eine Perspektive geboten werden. Andererseits sorgt er sich darum, dass die Mehrheitsgesellschaft nur ein pauschales Bild des missbrauchten Islam vor Augen hat. Von den Muslimen fordert er Anerkennung der Spielregeln der freiheitlichen, laizistischen Gesellschaft. Und er wirft dem Westen vor, zweischneidig zu argumentieren, wenn er mit den wahhabitischen Saudis Geschäfte macht. Tahar Ben Jelloun macht es sich nicht leicht, seinen Weg zwischen den Extremen zu finden. Das macht die Essays lesens- und nachdenkenswert.

Tahar Ben Jelloun: Der Islam, der uns Angst macht. Aufbau Verlag, Berlin 2015. 128 Seiten, 10 Euro.

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