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Anatomisches Modell eines Menschen

© dpa

Prozess im Organspende-Skandal: Die virtuellen Opfer

An diesem Montag beginnt in Göttingen der Prozess im Organspende-Skandal. Die Beweisführung gegen den Arzt könnte jedoch schwierig werden.

Die im vergangenen Jahr aufgedeckten Manipulationen bei Organverpflanzungen in Göttingen und anderen Städten sorgten nicht nur monatelang für Schlagzeilen. Der Skandal hatte auch dramatische Folgen: Die Zahl der Organspenden brach ein – und der Abwärtstrend ist immer noch nicht gestoppt.
Die Vorgänge werden von diesem Montag an vor der Schwurgerichtskammer des Göttinger Landgerichts verhandelt. Angeklagt ist der frühere Leiter der Transplantationschirurgie am Universitätsklinikum. Dem Medizinprofessor wird versuchter Totschlag in elf sowie Körperverletzung mit Todesfolge in drei Fällen vorgeworfen. Der 46 Jahre alte Arzt, der seit 11. Januar in Untersuchungshaft sitzt, soll bei der Meldung von Daten seiner Patienten an die zentrale Vergabestelle von Spenderorganen Eurotransplant absichtlich falsche Angaben gemacht haben.

Ein Göttinger Arzt soll Patienten auf der Warteliste für Organtransplantation fälschlich nach oben rücken lassen haben

Konkret habe er unzutreffende Blutwerte angegeben und fälschlich gemeldet, dass bei diesen Patienten wöchentlich zwei Dialysen vorgenommen werden müssten – deshalb seien die Kranken auf der Warteliste so weit nach oben gerückt, dass ihnen innerhalb kürzester Zeit ein Spenderorgan zugewiesen und eingepflanzt wurde. Zudem seien fünf Patienten, so die Anklage, Eurotransplant gemeldet worden, obwohl die nach den Richtlinien der Bundesärztekammer vorgeschriebene Alkoholabstinenz von sechs Monaten nicht eingehalten war.

Weil Spenderorgane knapp sind, ist nach Angaben der Staatsanwaltschaft davon auszugehen, dass andere Patienten kein Spenderorgan erhielten und möglicherweise aus diesem Grunde starben. Der Angeklagte habe die Todesfälle zumindest billigend in Kauf genommen. Der Nachweis könnte das Gericht allerdings vor eine schwere Aufgabe stellen. Die Opfer sind unbekannt. Wer ohne die Manipulationen noch am Leben wäre, wird konkret nicht zu ermitteln sein. Der Göttinger Medizinrechtler Gunnar Duttge spricht von einem „bislang beispiellosen Musterfall“. Niemand könne nachweisen, ob wirklich jemand geschädigt worden oder gar zu Tode gekommen sei. Den wohl leichter zu beweisenden Vorwurf der Körperverletzung mit Todesfolge begründet die Staatsanwaltschaft so: Der Arzt habe Patienten Lebern eingepflanzt, obwohl diese gar nicht so lebensgefährlich erkrankt waren, dass eine Transplantation notwendig gewesen wäre.

Patienten wurden bei der Organverpflanzung bevorzugt behandelt

Alle drei Patienten starben infolge der Eingriffe. So soll der Arzt an einer Frau, die stabile Leberwerte aufwies, aber eine andere gefährliche Vorerkrankung hatte, eine nicht erforderliche Lebertransplantation vorgenommen haben. Aufgrund der Vorerkrankung und in Verbindung mit der Transplantation sei es zu einer drastischen Verschlechterung des Gesundheitszustandes gekommen, sodass die Frau schließlich an den Folgen der Transplantation verstarb. Dem Beschuldigten sei bei der Transplantation bekannt gewesen, dass diese nicht erforderlich und aufgrund der weiteren Erkrankung mit erheblichen Risiken verbunden war, so die Staatsanwaltschaft.

Bei einem weiteren Patienten, der an einer Leberzirrhose erkrankt war, bei dem aber eine Lebertransplantation aufgrund stabiler Leberwerte nicht indiziert gewesen sei, habe der Beschuldigte ebenfalls eine Transplantation mit einer nicht über die Warteliste, sondern im beschleunigten Verfahren vergebenen Leber vorgenommen. Infolge der Transplantation hätten sich Komplikationen ergeben, die eine weitere Transplantation erforderlich machten. Der Patient starb aufgrund chronischen Leberversagens.

Organhandel kann nicht nachgewiesen werden

Nicht bestätigt sehen die Ermittler Vorwürfe der Bestechlichkeit und des Organhandels. Möglicherweise seien Geltungssucht oder Eitelkeit Motive des Arztes gewesen. Nach Bekanntwerden des Skandals im vergangenen Sommer war zunächst darüber spekuliert worden, dass bei der bevorzugten Behandlung von Patienten auch Geld geflossen sei.

Erst im Zuge des Skandals wurde bekannt, dass der Chirurg schon früher aufgefallen war. In Regensburg soll er 2005 jordanische Patienten verbotenerweise auf die europäische Warteliste für Transplantationen gesetzt haben, eine in Deutschland gespendete Leber hatte er zudem in Jordanien verpflanzt. Überdies sollen Mediziner auch in München und Leipzig Krankenakten gefälscht haben, um ausgewählte Patienten bevorzugt mit Spenderorganen zu versorgen.

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