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Beate Zschäpe ist die Hauptangeklagte im NSU-Prozess.

© AFP

Psychiater im NSU-Prozess: Sachverständiger hält Beate Zschäpe für voll schuldfähig

Der psychiatrische Sachverständige im NSU-Prozess sieht keine Hinweise auf krankhafte seelische Störungen bei Beate Zschäpe. Dies geht aus seinem Gutachten hervor.

Von Frank Jansen

Der Befund dürfte Beate Zschäpe nicht gefallen. Die Hauptangeklagte im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München ist nach Ansicht des psychiatrischen Sachverständigen Henning Saß ohne Einschränkung schuldfähig. Es hätten sich „keine Hinweise für das Vorliegen einer krankhaften seelischen Störung, einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder eines Schwachsinnes geben“, schreibt der renommierte Experte in seinem vorläufigen Gutachten, dessen Inhalt jetzt dem Tagesspiegel bekannt wurde.

Saß, der Zschäpe in den dreieinhalb Jahren Prozess an vielen Tagen beobachtet hat und zahlreiche Zeugenaussagen mitbekam, reichte das 173 Seiten umfassende Papier vergangene Woche beim Oberlandesgericht München ein. Auch wenn Zschäpes Alkoholkonsum zeitweise „das Ausmaß eines schädlichen Gebrauches“ erreicht habe, sei nach allen vorhandenen Informationen keine „Abhängigkeitserkrankung, die nicht mehr steuerbar gewesen wäre“ eingetreten, sagt Saß.

Das war für ihn auch am 4. November 2011, dem Datum des dramatischen Endes der rechtsxtremen Terrorzelle, der Fall. Zschäpe steckte an dem Tag die Wohnung in Zwickau in Brand, in der sie mit den NSU-Mördern Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gelebt hatte. Die beiden hatten sich drei Stunden zuvor in einem Wohnmobil in Eisenach erschossen. Zschäpe gab im Prozess an, am Vormittag des 4. November eine Flasche Sekt getrunken zu haben. Doch Saß sieht keinen Hinweis auf eine stärkere „Berauschung“.

Saß beschreibt sie als Person mit deutlich antisozialen Zügen

Der Psychiater sieht Zschäpe, die mit ihm kein Wort gesprochen hat, als eine mutmaßlich starke Frau mit negativer Prägung. Saß hat den „Verdacht auf eine akzentuierte Persönlichkeit“ mit deutlich antisozialen „Zügen“. Für den Gutachter ist das „Szenario“ denkbar, Zschäpe habe mit Mundlos und Böhnhardt eine verschworene Gemeinschaft gebildet und den „politisch-ideologischen Begründungsrahmen“ für die Taten „aus fremdenfeindlichem, rassistischem und nationalistischem Gedankengut“ akzeptiert.

Saß hält bei Zschäpe einen „tief eingeschliffenen inneren Zustand“ für möglich. Diese Sichtweise entspräche der Anklage der Bundesanwaltschaft. Sie wirft Zschäpe vor, Mittäterin bei den zehn Morden, zwei Sprengstoffanschlägen und 15 Raubüberfällen gewesen zu sein, die Mundlos und Böhnhardt bundesweit verübten.

Saß will allerdings nicht ausschließen, dass die fast 14 Jahre im Untergrund so verlaufen sind, wie Zschäpes es in ihren Einlassungen über die zwei neuen Verteidiger mitgeteilt hat. Die Angeklagte sprach von Entsetzen über die Morde, die Mundlos und Böhnhardt begingen. Andererseits habe ihr die emotionale Kraft gefehlt, sich von den beiden Männern zu lösen.

Der Psychiater hat jedoch Zweifel, dass Zschäpe das Geschehen wahrheitsgemäß schildert. Im „Ausdrucksverhalten“ der Angeklagten lassen sich für Saß „keine deutlichen Hinweise beobachten, die für eine Authentizität sprechen können“. Saß vermisst „Anzeichen einer persönlichen Betroffenheit, eines gefühlsmäßigen Mitschwingens und einer spürbaren Anteilnahme an den Aussagen der Zeugen in entsprechenden Prozesssituationen, die zeitweise durchaus emotional berührenden Charakter trugen“. Damit sind vor allem die Auftritte von Angehörigen der Ermordeten gemeint. Im Oktober 2013 hatte die Mutter des vom NSU in Kassel erschossenen Halit Yozgat Zschäpe angefleht, sich zu den Taten zu äußern. „Ich bitte Sie, dass Sie all diese Vorfälle aufklären“, sagte Ayse Yozgat. „Denken Sie bitte immer an mich, wenn Sie sich ins Bett legen. Denken Sie daran, dass ich nicht schlafen kann.“ Zschäpe blieb jedoch stumm. Erst Ende 2015 begann sie, auszusagen.

Vorsichtig äußert sich der Gutachter zur Sicherungsverwahrung

Doch zu der für die Hinterbliebenen zentrale Frage, wie Mundlos und Böhnhardt ihre Opfer aussuchten, weiß Zschäpe angeblich nichts. Sie weigert sich auch weiterhin, Fragen der Nebenkläger und ihrer Anwälte zu beantworten.

Vorsichtig äußert sich Saß zu der von der Bundesanwaltschaft in der Anklage angeregten Sicherungsverwahrung für Zschäpe. Der Psychiater macht die Antwort abhängig von den Aussichten einer therapeutischen Behandlung in der Haftzeit. Da sei von einem „langjährigen Geschehen“ auszugehen, vermutet er, „das zudem sehr stark davon abhängt, ob und in welcher Geschwindigkeit Frau Zschäpe bereit ist, sich von bisherigen politisch-ideologische Vorstellungen zu lösen, sofern diese noch vorhanden sein sollten“.

Das Gutachten wird nun wahrscheinlich im November nach der Herbstpause Thema im Prozess sein. Obwohl Saß eher zurückhaltend argumentiert, dürfte sein Papier zumindest gemischte Reaktionen auslösen, vor allem bei Zschäpes Verteidigern. Das Gutachten ist allerdings nicht das erste, das der Psychiater vorlegt. Schon vor Beginn des Prozesses hatte er, auf Basis der ihm vorliegenden Akten, Zschäpes mentalen Zustand analysiert. Saß kam zu dem Schluss, die Angeklagte habe sich trotz einer schwierigen Jugend zu einer lebhaften, selbstbewussten und burschikosen Frau entwickelt und sei „eher auf männlichen Umgang“ ausgerichtet.

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