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Wladimir Putin.

© Reuters

Putins Russland: Zivilgesellschaft in der Defensive

In Putins Russland haben es Minderheiten schwer. Ein Beispiel sind die Tscherkessen. Deren Proteste werden zwar geduldet - doch Fotos darf es keine geben.

Es gab noch Hoffnung für Timur Aschmow, als dieser am 11. Mai im südrussischen Krasnodar ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Vermummte hatten eine in der Nähe gelegene Pizzeria gestürmt und alle, die sich nicht als ethnische Russen identifizieren konnten, brutal zusammengeschlagen und mit Messern attackiert. Darunter auch Aschimow, einen 25-jährigen Juristen, und dessen Freunde. Sie gehören zur Volksgruppe der Tscherkessen, den Ureinwohnern der Region.  Das Krankenhaus wies Aschimow trotz schwerster Verletzungen ab. Für die Aufnahme fehlten wichtige Papiere. Vor allem aber: Aus dem Stempel im Ausweis ging hervor, dass er in der Nachbarregion, der Teilrepublik Adygeja, gemeldet war. Sehr viel wertvolle Zeit sei verloren worden, sagten die Ärzte, als Freunde den Verletzten im dortigen Krankenhaus ablieferten. Am 14. Mai starb er.  

Gewaltverzicht gegen Bilderverzicht

Aufgebracht protestierten tags darauf über 3000 junge Tscherkessen, für Stunden legten sie den Verkehr auf einer der Hauptstraßen von Krasnodar lahm. Zuvor hatten sie mit der Polizei ausgehandelt, dass diese auf Gewalt verzichtet, so lange Protestler und Journalisten keine Fotos machen. Die Machthaber im Nordkaukasus wie in Moskau, glaubt eine der beteiligten Aktivistinnen, wollten verhindern, dass die internationale Öffentlichkeit erneut Moskaus Umgang mit Minderheiten kritisch hinterfragt. Wegen der Probleme mit den Krimtataren und weil sich am Mittwoch zum 150. Mal der Tag jährte, an dem das Zarenreich die Tscherkessen - Motor des Widerstands gegen die russische Herrschaft im Nordkaukasus– kollektiv ins Osmanische Reich deportieren ließ.

Geringe Erfolge

Organisationen der Tscherkessen – ihnen gehört einst auch das Land um Sotschi - hatten schon im Vorfeld der Olympischen Wintersspiele versucht, die Weltöffentlichkeit für ihr Schicksal zu sensibilisieren. Der Erfolg hielt sich in Grenzen. Russlands Zivilgesellschaft steht nach wie vor auf sehr schwachen Füßen. Mehr noch: Schon die Spiele in Sotschi zeigten einen Trend, der sich durch die Ukraine-Krise noch verfestigte. Die persönlichen Zustimmungsraten von Präsident Wladimir Putin steigen kontinuierlich und erreichten dieser Tage das Allzeithoch von 86 Prozent. Entsprechend sinkt die Akzeptanz von Opposition und Zivilgesellschaft.

Von Feinden umzingelt

Laut Umfrage des Lewada-Zentrums, derzeit das einzige unabhängige Meinungsforschungsinstitut Russlands, halten weit über 50 Prozent gemeinnützige Vereinigungen für überflüssig und nutzlos. Ein 2013 in Kraft getretenes Gesetz, das politisch orientierte nichtstaatliche Organisationen, die mit ausländischen Fördergeldern arbeiten, verschärften Kontrollen unterwirft und sie verpflichtet, sich als „ausländische Agenten“ registrieren zu lassen, befürworteten 53 Prozent. 66 Prozent sprachen sich sogar für ein Komplettverbot finanzieller Zuwendungen aus dem Ausland für die russische Zivilgesellschaft aus. Fast ebenso viele gaben als Begründung an, damit wolle der Westen dem russischen Staat schaden. Soziologen erklären das Phänomen damit, dass den Massen seit Gründung der Sowjetunion 1922 eingetrichtert wird, ihr Land sei von Feinden umzingelt.

Stumm blieb die Öffentlichkeit daher auch, als die Duma das „Agentengesetz“ kürzlich weiter verschärfte. Vor allem die Strafen für solche, die sich nicht auf den Index setzen lassen wollen. Zur Begründung musste ein Bericht des Justizministeriums herhalten, wonach der Westen die russische Zivilgesellschaft allein 2013 mit insgesamt 36 Milliarden Rubel - etwa 750 Millionen Euro - alimentierte. Knapp ein Drittel davon, rügten die Autoren, sei an die „Agenten“ geflossen. Nach Erkenntnissen der Generalstaatsanwaltschaft in 17 Fällen sogar über die Botschaften der Geberländer in Moskau, was ein Verstoß gegen die Wiener Übereinkunft über diplomatische Beziehungen von 1964 sei.

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