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Kind betrachtet Sarotti-Mohr im Aachener Couven-Museum

© dpa

Rassismus im Stadtbild: Sprache ist Macht

Auch eine Form von Wortgewalt: Was gegen Berlins Mohrenstraße spricht - und gegen andere Reste des Kolonialismus im Deutschen.

In wenigen Tagen liegt es ein Jahr zurück, dass in Deutschland die Kinderbuchdebatte ausbrach. Anfang Januar wurde bekannt, dass der Verlag Thienemann das Wort „Neger“ aus der Neuauflage von Otfried Preußlers Klassiker „Die kleine Hexe“ streichen wollte. Auch andere Verlage korrigierten, unter anderem Astrid Lindgrens "Pippi Langstrumpf". Einige Kommentatoren sahen dadurch wochenlang die Literatur, ja die deutsche Sprache in Gefahr.
Ein Jahr später lässt sich bereits der Donner der nächsten heraufziehenden Wortschlacht hören: Der Vorschlag, den Platz vor Berliner Schloss-Neubau nach Nelson Mandela zu benennen, hat alle die erbost, die seit Jahren gegen die kolonialistische Geschichte vieler – freilich nicht nur Berliner – Straßennamen protestieren. Statt für die Ausstellung afrikanischer Raubkunst im entstehenden Humboldt-Forum auch noch den Freiheitshelden Mandela zu missbrauchen, solle lieber endlich die Mohrenstraße seinen Namen bekommen.

Nur ein Streit um Worte? Und am Ende das Aus für einen Namen, der doch unschuldig ist und schon deshalb unangreifbar wirkt, weil die Straße, einen Steinwurf vom Brandenburger Tor entfernt, ihn schon seit etwa 300 Jahren trägt? Benannt wurde sie, darauf weisen die Kritiker hin, nach ihren frühen Einwohnern, versklavten afrikanischen Kindern, die am brandenburg-preußischen Hof dienen mussten. Susan Arndt, die ein Nachschlagewerk über „Afrika und die deutsche Sprache“ herausgegeben hat, schreibt über den „Mohren“, er sei das älteste deutsche Wort für schwarze Menschen, das auf griechisch „moros“ für töricht, einfältig, dumm oder auch gottlos zurückgeht. Später verdrängte der „Neger“ den „Mohren“, ohne dass der allerdings aus Sprache und kollektiver Bilderwelt verschwand: Den Sarotti-Mohren, der erstmals unmittelbar nach Ende der deutschen Kolonialherrschaft auf den Schokoladenpackungen der Berliner Firma aufgetaucht sei, kennten 95 Prozent aller Deutschen, so Arndt. Mit „Mohr“ verbindet sich auch der „stumme Diener“ in Livree, der unterwürfige Domestik mit dem Tablett in der Hand. Andere Wörter in Arndts Lexikon des Kolonialrassismus sind "Eingeborene", "Naturreligion" oder "Häuptling".

Alles Museum, war vor einem Jahr, kurzgefasst, das Argument der Sprachstandsbewahrer in der Kinderbuchdebatte. Sprache dürfe und müsse auch Altes bewahren und dadurch produktiv irritieren. Kinder wüssten schon, wie’s gemeint sei. Stimmt, erwiderte die afrodeutsche Theaterregisseurin Simone Dede Ayivi damals im Tagesspiegel, wenn auch anders als von den N-Wort-Verteidigern gemeint: Wenn sie über Pippi Langstrumpfs Vater, den „Negerkönig“, las, habe sie als schwarzes Kind sehr wohl verstanden: „Weiße herrschen über Schwarze. schwarze Menschen sind weniger wert.“ Worte seien eben nicht unschuldig, sondern sie könnten auch Waffen sein.
Victor Klemperer sah in ihnen Jahrzehnte zuvor heimtückische Chemiewaffen. Arndt zitiert den Romanistik-Professor, den die Nazis als Juden verfolgten und der nach dem Krieg eine Analyse der Sprache des Dritten Reichs veröffentlichte ("Lingua tertii imperii“): Wörter könnten wie winzige Dosen Arsen wirken: „Sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.“

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