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Dietmar Bartsch, Vorsitzender der Fraktion der Partei Die Linke.

© Annegret Hilse/dpa

Reaktionen auf die GroKo-Einigung: Linke: „Das Personalgeschacher überlagert die Inhalte“

Der Koalitionsvertrag steht. Die Unterhändler von Union und SPD loben den Kompromiss - das aber tun längst nicht alle.

Union und SPD loben nach extrem zähen Verhandlungen ihre Einigung und streichen Errungenschaften ihrer Parteien heraus. Nun kann es erneut zu einer großen Koalition kommen. Derart viele Erfolge für Deutschland sehen viele Beobachter allerdings keineswegs. Ausgewählte Reaktionen:

Die FDP: „Diese GroKo müsste eigentlich GeKo heißen. Denn sie ist nicht groß, sondern eine Koalition des gestern“, sagte Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann. Bei der Bildung werde weniger investiert als versprochen, bei der Rente mehr ausgegeben, als der jungen Generation zumutbar sei.

Die LINKE: Fraktionschef Dietmar Bartsch warf Union und SPD einen durchweg schwachen Koalitionsvertrag vor. „Die Wahlverlierer präsentieren sich heute wie die großen Gewinner mit einem Vertrag des kleinsten gemeinsamen Nenners“, sagte Bartsch. Es fehle eine gerechte Besteuerung und Umverteilung. „Das Personalgeschacher überlagert dazu die Inhalte.“

Die GRÜNEN: Die Parteichefs Annalena Baerbock und Robert Habeck lobten die geplante Finanzierung der Bildung. Der Koalitionsvertrag sei aber ein „Frickelwerk“ und hinterlasse zu große Leerstellen. „Der Klimaschutz als die zentrale Zukunftsaufgabe kommt faktisch nicht vor.“ Außenpolitisch sei fatal, wenn Rüstungsexporte weiter an Kriegsakteure im Jemen geliefert würden.

Die AFD: Die AfD stellte vor allem den Christdemokraten ein schlechtes Zeugnis aus. Aus Angst vor dem Mitgliederentscheid der SPD habe sich die CDU ideologisch entleert, sagte Parteichef Alexander Gauland. „Die CDU ist sozusagen nur noch eine leere Hülle.“

Die Jusos: Juso-Chef Kevin Kühnert zeigte sich auf Twitter „fassungslos“ über die Einigung. „#NoGroko bedeutet nicht nur die Ablehnung eines Koalitionsvertrags (über den plötzlich niemand mehr spricht). #NoGroko bedeutet auch die Absage an den politischen Stil, der heute aufgeführt wird“, schrieb er.

„Beim Geldausgeben besteht eine klare Schieflage in Richtung Umverteilung anstatt in Zukunftssicherung“

Die Arbeitgeber: „Der Koalitionsvertrag ist in weiten Teilen enttäuschend und für die Unternehmen in Deutschland ein herber Schlag ohne Zukunftsperspektive“, sagte Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer. Er beklagte ein Mehr an Belastung und Regulierung. Der Vertrag sei geprägt „von rückwärtsgewandter Umverteilung und unverantwortlicher Belastung der jungen Generation“.

Sozialverbände: Dem Sozialverband SoVD fehlt ein „sozialpolitisches Leitprojekt“. Es sei etwa versäumt worden, die Rentenpolitik grundlegend zu korrigieren. Auch der Sozialverband VdK fordert Nachbesserungen, „um neue Ungerechtigkeiten zu vermeiden“. Von der Mütterrente müssten alle Mütter profitieren.

Wirtschaftsforscher: Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), bezeichnete den Koalitionsvertrag als „ermutigendes Signal“. Die Absprachen zu Europa, Digitalisierung und Bildung seien die positivsten Signale. Die GroKo müsse muss nun endlich Europa reformieren, die Digitalisierung erfolgreich gestalten und die Qualität des Bildungssystems für alle nachhaltig verbessern.

Die Industrie: „Beim Geldausgeben besteht eine klare Schieflage in Richtung Umverteilung anstatt in Zukunftssicherung“, sagte BDI-Präsident Dieter Kempf. In der Steuerpolitik fehle trotz guter wirtschaftlicher Lage der Mut zu spürbaren Entlastungen und zu Strukturreformen. Der BDI vermisse ein klares Bekenntnis zur steuerlichen Förderung von Forschung und Entwicklung. In der Digitalisierung sei der „große Wurf“ nicht erkennbar.

Die Digitalwelt: Der Digitalverband Bitkom beurteilte den Koalitionsvertrag im Vergleich zum Sondierungspapier als „einen riesigen Schritt nach vorne“, weil die Digitalisierung nun eine stärkere Stellung erhalte. Der Internet-Verband eco vermisst jedoch den großen Wurf und bedauerte, dass dem Thema Digitalisierung weiterhin kein eigenes Ressort zugedacht werde.

Die Bauern: Der Präsident des Deutschen Bauernverbands, Joachim Rukwied, zeigte sich zuversichtlich. „Die Koalitionsvereinbarung ist eine gute Arbeitsgrundlage für die neue Bundesregierung.“ Mit Blick auf anstehende Entscheidungen in Brüssel brauche es eine stabile und handlungsfähige Regierung.

Die Handelskammern: DIHK-Präsident Eric Schweitzer sagte: „Die Wirtschaft freut sich zwar über einige gute Zukunftsinvestitionen, sie ist aber zugleich besorgt über teure Zukunftslasten, die insbesondere die Unternehmen treffen.“ Er hätte sich nach eigenem Bekunden mutigere Entscheidungen gewünscht. Ein „großer Schwachpunkt“ sei der Verzicht auf Steuerentlastungen für Unternehmen.

Die Metaller: „Dieser Vertrag ist noch scheußlicher als erwartet“, schimpfte der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, Oliver Zander. „Die Leistungsträger werden enttäuscht und der Sozialstaat explosionsartig ausgeweitet.“ Unruhig werde man, wenn man an die mittel- und langfristigen Folgen denke. „Das ist ein trauriger Tag für dieses Land.“

Die Automobilindustrie: Matthias Wissmann, Präsident des Verbands der Automobilindustrie (VDA), sieht das Regierungsprogramm „in Teilen kritisch“. Der Koalitionsvertrag berge die Gefahr, zu sehr auf das Verteilen und zu wenig auf das Erwirtschaften des Wohlstands zu setzen.

„Diesem Anfang wohnt kein Zauber inne"

Die Banker: Der Privatbankenverband zeigte sich zufrieden. „Trotz einiger Schwächen, etwa in der Steuerpolitik, ist dieser Koalitionsvertrag eine gute Grundlage für eine erfolgreiche Regierungsarbeit“, sagte der Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken, Hans-Walter Peters. Bemerkenswert sei, „dass die Politik der Attraktivität des Finanzplatzes Deutschland wieder mehr Aufmerksamkeit schenken wird“. Die Überprüfung der Bankenregulierung auf Widersprüche und unbeabsichtigte Nebenfolgen sei wichtig.

Die Umweltschützer: Greenpeace beklagt vor allem unbeantwortete Fragen zum Kohleausstieg und zum Verbrenner-Aus. „Indem sie das deutsche Klimaziel für 2020 aufgeben, verzögern die Koalitionäre den überfälligen Kohleausstieg“, hieß es. „Diesem Anfang wohnt kein Zauber inne. Der GroKo fehlten Mut und Weitsicht, Klima und Umwelt konsequent zu schützen“, sagte Geschäftsführerin Sweelin Heuss.

Der Steuerzahlerbund: Die Steuerbilanz der GroKo-Einigung sei „erschreckend und enttäuschend“, kritisierte der Präsident des Steuerzahlerbundes, Reiner Holznagel. Auf die Steuerzahler kämen viele Aufgaben zu, aber keine Entlastungen. Notwendige Reformen beim Einkommensteuertarif würden nicht durchgeführt. Steuermehreinnahmen würden nicht für die Entlastung der Steuerzahler genutzt. Holznagel sieht sogar die Schwarze Null in Gefahr. Damit würden auch künftige Generationen belastet. „Schlechter kann eine Regierung kaum starten.“

Die Kommunen: Der Deutsche Städtetag erkennt in dem Vertrag eine „kommunalfreundliche Handschrift“. „Mehr Investitionen in die Schulen, den Wohnungsbau, die kommunale Verkehrsinfrastruktur und die Digitalisierung sind dringend notwendig und erfreulicherweise verabredet worden“, sagte der Präsident des Deutschen Städtetages, Markus Lewe. Es fehle eine weitere Entlastung der Kommunen. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund lobte die Investitionsoffensive für die Schulen und die angekündigte Lockerung des Kooperationsverbotes laut „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Den Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung kritisieren beide Kommunalverbände.

Die Bauwirtschaft: Die deutsche Bauwirtschaft kritisiert, dass das Innenministerium auch für Bauen zuständig sein soll. „Wir hätten uns etwas anderes gewünscht“, sagte eine Sprecherin des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe (ZDB). Mit dem Verkehrsressort gebe es mehr Überschneidungen, etwa beim Straßenbau. Der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie (HDB), der vor allem große Unternehmen vertritt, äußerte sich ebenfalls zurückhaltend zum Zuschnitt. „Das ist eher ein Wermutstropfen“, sagte ein Sprecher.

Das Ausland: Die Türkei erhofft sich von der großen Koalition eine Verbesserung der deutsch-türkischen Beziehungen. Die Türkei erwarte, dass eine „neue Seite in den deutsch-türkischen Beziehungen“ aufgeschlagen werde, sagte der Sprecher von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, Ibrahim Kalin. Italiens Ministerpräsident Paolo Gentiloni würdigte die Einigung als „wichtig“.

Brüssel: EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici erkennt eine Chance für Europa: „Die Tatsache, dass wir in Berlin eine stabile, solide, ambitionierte, pro-europäische Regierung haben werden, wird es uns ermöglichen [...] Entscheidungen über die Eurozone zu treffen.“ (dpa)

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