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Blockade-Aktion der Identitären Bewegung im Dezember 2016 vor der CDU-Parteizentrale in Berlin.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Rechtsextremismus: AfD grenzt sich nicht strikt gegen Identitäre ab

Anhänger der Identitären wollen am Samstag durch Berlin ziehen. Die AfD behauptet, nichts mit der rechtsextremen Bewegung zu tun zu haben. Aber das stimmt nicht.

Offiziell ist die Angelegenheit schnell erklärt. Die AfD macht keine gemeinsame Sache mit der rechtsextremen Identitären Bewegung. Das ist die Parteiposition. Vor knapp einem Jahr, im Juni 2016, hat sich die AfD-Spitze verbindlich darauf festgelegt. "Der Bundesvorstand stellt fest", heißt es in einem Beschluss, "dass es keine Zusammenarbeit der Partei Alternative für Deutschland und ihrer Gliederungen mit der so genannten 'Identitären Bewegung' gibt."

Auf diesen Satz verweist die AfD seither, wann immer der Verdacht aufkommt, ihre Beziehungen zu der extrem rechten Gruppe könnten doch enger sein. "Mit einer Organisation, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird, machen wir uns nicht gemein", bekräftigt AfD-Chef Jörg Meuthen im Gespräch mit "Zeit online". Deshalb müsse der Unvereinbarkeitsbeschluss natürlich eingehalten werden.

Doch mit dem, was wirklich an der Parteibasis läuft, lassen sich Meuthens Äußerungen kaum in Einklang bringen.

Haftbefehl gegen Doppelaktivisten

Freitag, 19. Mai 2017. Aktivisten der Identitären versammeln sich vor dem Bundesjustizministerium in Berlin, um dort gegen die Politik des Ministers Heiko Maas zu protestieren. Ein Identitären-Mitstreiter hat einen Transporter gemietet. Als der Wagen vorfährt, ist die Polizei schon da. Ihre Ermittler sind überzeugt: Am Steuer sitzt der Schatzmeister der Berliner AfD-Parteijugend, Jannik Brämer. Die Identitären-Aktion geht schief. Brämer wird vorgeworfen, mit dem Mietfahrzeug beinahe einen Polizisten umgefahren zu haben. Die Polizei hat sogar mit Haftbefehl nach dem Vorstandsmitglied der Jungen Alternative (JA) gesucht. Das kommt nicht alle Tage vor in einer Partei wie der AfD, die inzwischen in 13 Landesparlamenten vertreten ist.

Brämer ist für eine Stellungnahme nicht zu erreichen. Und Parteichef Meuthen weiß von nichts, als sich "Zeit online" erkundigt, wie die Doppelrolle des Berliner AfD-Jungfunktionärs und Identitären-Aktivisten zum Unvereinbarkeitsbeschluss seiner Partei passt. Ihm sei dieser Fall völlig unbekannt, sagt der AfD-Vorsitzende. Dabei bemühen sich die AfD-Führung in Berlin und der Bundesvorstand der Jungen Alternative zu diesem Zeitpunkt längst um Schadensbegrenzung.

Meuthens Reaktion ist typisch. Wegschauen, kleinreden, taktieren: So geht die AfD-Spitze seit Monaten mit den Identitären-Helfern in ihrer Partei um. Die wechselseitige Unterstützung von Identitären und AfD-Mitgliedern findet längst nicht mehr nur im Ausnahmefall statt. Das muss auch die Parteiführung wissen. Sanktionen veranlasst sie allerdings nur im Ausnahmefall, wenn es sich gar nicht mehr vermeiden lässt. Auch die Junge Alternative lässt bewusst Hintertüren im Umgang mit den Identitären in den eigenen Reihen. offen, wie ein von tagesschau.de veröffentlichtes Dokument zeigt. Denn die Partei und ihr Jugendverband haben noch ein weiteres Problem. Einige einflussreiche Funktionäre lehnen die Abgrenzung von der extrem rechten Gruppe ab und halten sich einfach nicht an den verordneten Sicherheitsabstand.

AfD-Fraktionsvize beschäftigt Identitären-Aktivisten

Auch das lässt sich an der misslungenen Protestaktion vor dem Justizministerium beobachten. Dort war auch Albert G. aus Mecklenburg-Vorpommern mit dabei. Er arbeitet im Wahlkreisbüro von Holger Arppe, dem Vizevorsitzenden der AfD-Landtagsfraktion. Dieser Job hält G. nicht davon ab, sich an Kampagnen der Identitären zu beteiligen. Er gehörte sogar zu den Gründungsmitgliedern des Rostocker Identitären-Vereins "Heimwärts e.V.", das belegen Auszüge aus dem Vereinsregister. Seinen Arbeitgeber Holger Arppe stört all das nicht.

Von "Zeit online" auf die Teilnahme seines Mitarbeiters an Kampagnen der Identitären angesprochen, sagt der AfD-Fraktionsvize: Er begrüße es, dass sich Albert G. "für die Bewahrung unserer verfassungsmäßigen Grundrechte" einsetze. Schließlich sei die Meinungsfreiheit in Deutschland in Gefahr. Wenn "junge Menschen gegen diese unheilvolle Entwicklung in friedlicher und gewaltfreier Form aufbegehren", freue er sich. Natürlich werde er Albert G. auch weiter in seinem Wahlkreisbüro beschäftigen, kündigt Arppe an. G. leiste dort "Recherchearbeit zum Thema Linksextremismus". Den Unvereinbarkeitsbeschluss lässt er einfach unerwähnt.

Identitären-Mode für Junge Alternative

In Berlin hatten AfD-Funktionäre bis zum Zwischenfall vor dem Justizministerium ihre Nähe zu den Identitären sogar zur Schau gestellt: Kai L. zum Beispiel saß als "kooptiertes Mitglied" im JA-Landesvorstand. Trotzdem warb er 2016 in einem offiziellen Mobilisierungsvideo für eine Identitären-Demonstration in Berlin. Kein Problem, argumentiert ein Sprecher der Berliner JA: "Zu diesem Zeitpunkt gab es noch keinen Unvereinbarkeitsbeschluss der Jungen Alternative mit der Identitären Bewegung." Es laufe also auch kein Parteiordnungsverfahren gegen L. Warum aber verschwand der Name Kai L. dann kürzlich aus der Vorstandsliste auf der Parteiwebsite? Ist er freiwillig zurückgetreten oder zum Rückzug gedrängt worden, weil er womöglich wie Brämer an der missglückten Protestaktion beteiligt war? Dazu verweigert die Junge Alternative eine Stellungnahme. 

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JA-Schatzmeister Brämer war 2016 sogar als Ordner auf jener Identitären-Demonstration in Berlin im Einsatz gewesen, für die Kai L. per Videobotschaft warb – ebenfalls ohne Folgen. Ein Berliner Identitären-Funktionär postete seither bei Instagram für alle Welt sichtbar Fotos, die Brämer als Aktivisten der rechtsextremen Gruppe zeigten. "IB Berlin auf dem Weg zu einer Aktion im Norden", stand beispielsweise darunter. Konsequenzen: keine.

Vor einigen Monaten gründete Brämer zusammen mit einem Identitären-Aktivisten ein Modelabel, das Pullis und T-Shirts für die Identitären-Szene vertreibt. JA-Vorstandsmitglieder aus Berlin ließen sich in Kleidungsstücken des Labels fotografieren. Auf einem Landesparteitag durften Brämer und sein Mitstreiter von den Identitären einen Stand mit ihrer Ware aufbauen. Der JA-Landesvorsitzende Thorsten Weiß stellte sich mit dem Identitären-Modehändler zum Gruppenfoto auf. 

Zugleich gehörte Brämers Identitären-Mode-Mitstreiter der Facebookgruppe "JA Berlin" an. Diese Gruppe ist laut ihrer Selbstbeschreibung für "Mitglieder der Jungen Alternative Berlin" gedacht und soll "dem gegenseitigen Austausch" dienen. Der junge Mann sei inzwischen "kein Mitglied der JA mehr", teilt ein Sprecher der Berliner Parteijugend mit. Zu den Gründen schweigt er.  

Unerkanntes Einsickern?

Der JA-Landesverband Berlin scheute sich auch nicht, Identitären-Funktionäre auf seiner Facebookseite zu promoten. Erst kürzlich erschien dort ein Gruppenfoto von einem Grillfest der AfD-Jugend: Es zeigt mehrere Landtagsabgeordnete der Partei beim Bier mit Aktivisten der Identitären.

Der Berliner JA-Chef Thorsten Weiß bemühte sich erst gar nicht um einen Sicherheitsabstand zu den Identitären. Anfang des Jahres bestätigte er sogar öffentlich eine Zusammenarbeit mit der vom Verfassungsschutz beobachteten Gruppe. Es sei "überhaupt nicht verwerflich", sagte Weiß damals, dass Personen aus der AfD und der IB "Veranstaltungen gegenseitig besuchen oder gemeinsam an Demonstrationen teilnehmen". Auch in der Mitgliedschaft gebe es Überschneidungen. Die Mitglieder der Identitären "ticken gar nicht so unterschiedlich zu uns, sie drücken sich nur anders aus". 

Interne Absprachen mit extrem rechten Aktivisten

Nach den massiven Vorwürfen gegen Jannik Brämer schwenkte der AfD-Politiker abrupt um. Von ZEIT ONLINE nach den offenkundigen Schnittmengen mit der Identitären Bewegung etwa bei dem erwähnten Grillfest gefragt, sagt Weiß nun: "Das stimmt mich sehr besorgt." Falls es stimme, müsse man "von einem vorsätzlichen Versuch" der Identitären ausgehen, "die JA und die AfD durch ihr unerkanntes Einsickern öffentlich für sich vereinnahmen zu wollen". Er stehe "uneingeschränkt" zum Unvereinbarkeitsbeschluss. Für AfD und JA seien "Kontakte und Zusammenarbeit mit Extremisten" ausgeschlossen. 

Sachsen, Brandenburg, Hessen, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen

Solche Beteuerungen ändern allerdings noch nichts an den Tatsachen. Denn die Verbindungen zwischen AfD und Identitärer Bewegung sind auch jenseits von Berlin eng. An einer Protestaktion der Identitären vor der CDU-Parteizentrale im Dezember 2016 in Berlin nahmen ebenfalls junge AfD-Funktionäre teil: die Studentin Ina A., die kurz zuvor in den Kreisvorstand der JA-Leipzig gewählt worden war, oder Franz D., ein Landesvorstandsmitglied der Jungen Alternative in Brandenburg.

Als sich in der hessischen Region Marburg-Biedenkopf kürzlich ein neuer Kreisverband der AfD-Jugend bildete, tauchte im Vorstand Nils G. auf, ein ehemaliger Identitären-Aktivist aus Berlin. Auch Luca H., JA-Gebietsverbandsvorsitzender aus Sachsen-Anhalt, mischt bei den Identitären mit. In der AfD-Fraktion im Schweriner Landtag arbeitet Jan-Philipp T., ein weiterer Unterstützer der Identitären, der im vergangenen Jahr unter anderem an einer Identitären-Kundgebung in Ribnitz-Damgarten teilgenommen hat.

Auch der Bezirksvorsitzende der JA Braunschweig, Lars S., hat sich für die Identitären engagiert. Im Juni 2016 berichtete der AfD-Nachwuchsfunktionär sogar als Videoreporter über eine Identitären-Demonstration in Wien. Die rechtsextreme Organisation hat das Video auf ihrem offiziellen Facebookaccount verbreitet. Der JA-Funktionär aus Niedersachsen gehört außerdem zu einer Facebookgruppe, die sich "Identitäre Redaktion (Athenaeum)" nennt. Mitglied der Gruppe ist auch Patrick Lenart, einer der Leiter der Identitären Bewegung in Österreich. Das gleichnamige Onlinemagazin "Athenaeum" trägt in seinem Logo ein schwarz-gelbes Lambda. Ein solches Symbol verwenden auch die Identitären.

Die AfD Niedersachsen hat gegen S. nach Angaben eines Sprechers zwar ein Parteiordnungsverfahren eingeleitet. Aber das ist schon mehr als ein Jahr her. Passiert ist nichts. "Der Landesvorstand bedauert diese ungeklärte Situation sehr", versichert der Sprecher der niedersächsischen AfD. Im Landesschiedsgericht seien Posten nicht besetzt gewesen, das habe die Entscheidung blockiert.

"Schutzschild für Identitäre Bewegung"

Ähnlich milde verfuhr die AfD mit dem bayerischen Landesvorsitzenden Petr Bystron. Er hatte die Identitären als "tolle Organisation, eine Vorfeldorganisation der AfD" bezeichnet. Deren Aktionen seien "intelligent" und hätten Respekt verdient. "Die AfD muss ein Schutzschild für die Identitäre Bewegung sein." So zitierte ihn der Präsident des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz.

Erst als der Verfassungsschutzbericht schließlich Schlagzeilen machte, mahnte der AfD-Bundesvorstand den Landesvorsitzenden ab. Der Beschluss sei einstimmig gefallen, sagt AfD-Chef Meuthen. Allerdings hatte die Abmahnung für Bystron keine unmittelbaren Folgen, er behält seinen Listenplatz für die Bundestagswahl am 24. September. Auf die öffentliche Kritik reagierte Bystron mit einer Rundmail an die bayerischen AfD-Mitglieder: "Wir haben als Partei keine Berührungspunkte mit der IB", schrieb er darin.

Dass das nicht stimmt, weiß er wohl selbst. Aus interner Kommunikation von Aktivisten der Identitären in Bayern geht hervor, dass Bystron dort schon seit mehr als einem Jahr als Unterstützer wahrgenommen wurde. Der AfD-Landesvorsitzende begrüßte die Identitären auf einer Demonstration seiner Partei in Geretsried im Frühjahr 2016 sogar öffentlich.

In der Folge kam es mehrfach zu Absprachen zwischen der AfD und den Identitären. Zwar gestatteten AfD-Funktionäre nicht mehr, dass während ihrer Demonstrationen Identitäre mit Lambda-Fahnen auftraten. Sie äußerten aber schriftlich ihre Freude, wenn sich Identitäre quasi inkognito als Unterstützer anmeldeten.

Nur einer zieht Konsequenzen

Nur in Ausnahmefällen hat die AfD bisher versucht, offensichtliche Verstöße gegen ihren Abgrenzungsbeschluss schärfer zu sanktionieren. Die Berliner AfD-Parteijugend distanziert sich inzwischen von ihrem prominenten Mitstreiter Brämer. Nach der verpatzten Protestaktion mit den Identitären drängte sie den Schatzmeister aus dem Amt und schloss ihn aus der Jungen Alternative aus. Die AfD hat ebenfalls ein Ausschlussverfahren eingeleitet.

Doch genau das sorgt für Ärger an der Basis. Auf Facebook beschweren sich AfD-Mitglieder und Identitäre über den Kurswechsel. Sie sehen darin einen Verrat. Eine AfD-Nachwuchsfunktionärin postet das Symbol für Hundekacke und schreibt dazu: "Bei dem Rückgrat frage ich mich, wie gewisse Leute es noch schaffen den Müll rauszubringen." "Scheißverein", bekräftigt ein Berliner Identitären-Kader. Ein Mitstreiter schreibt über die JA: "Wollen das Land erneuern – lassen ihre Leute beim kleinsten Gegenwind wie heiße Kartoffeln fallen."

Andere in der Partei halten den Abgrenzungsbeschluss nur für Schaufensterpolitik – und ziehen daraus Konsequenzen. Der Magdeburger Landtagsabgeordnete Jens Diederichs schwieg monatelang frustriert, wenn die Rechtsausleger in seiner Fraktion ihre Sympathien mit den Identitären äußerten. Als aber ein Abgeordneter in internen WhatsApp- und Facebookgruppen auch noch Fotos der jüngsten Protestaktion postete, reichte es Diederichs. "Warum löscht das hier keiner?", habe er sich gefragt. Die Unvereinbarkeitsbeschlüsse der AfD zu den Identitären seien "nur Lippenbekenntnisse", lautet seine Antwort. "Das Gedankengut ist ein anderes." Diederichs trat deshalb aus der AfD-Landtagsfraktion aus und verließ auch die Partei. Die Identitären-Fans sind geblieben.

Dieser Bericht erschien zuerst auf "Zeit online".

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