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AfD-Spitze: Die Bundesvorsitzenden Frauke Petry und Jörg Meuthen (rechts) und Stellvertreter Alexander Gauland

© dpa

Rechtspopulismus: Wir gehen mit der AfD falsch um

Die AfD profitiert davon, dass die Gesellschaft auseinandertreibt. Um ihr beizukommen, helfen Nazivorwürfe allein nicht aus. Nötig sind mehr Streit – und mehr Gelassenheit. Ein Essay

Ein Essay von Fabian Leber

Mit der AfD zusammen im Fernsehen streiten, ja oder nein? Das beschäftigte Mitte Januar die deutsche Öffentlichkeit. Der Südwestrundfunk (SWR) hatte die AfD-Spitzenkandidaten in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zu Elefantenrunden vor den Landtagswahlen geladen. SPD und Grüne kündigten an, die Sendung zu boykottieren. Der Vorwurf stand im Raum, hier übten Regierungsparteien direkt Druck auf einen öffentlich-rechtlichen Sender aus. Bei einem Landesparteitag der SPD wurde die Mainzer Ministerpräsidentin Malu Dreyer kurze Zeit später genau dafür frenetisch gefeiert. „Ich verstehe nicht, warum ohne Not einer rechtspopulistischen Partei eine Plattform gegeben werden soll“, sagte sie. Ohne Not?

In Baden-Württemberg könnte die AfD an der SPD vorbeiziehen

Zumindest in Baden-Württemberg läuft die SPD am 13. März Gefahr, hinter die AfD zurückzufallen. Es wäre das erste Mal in der deutschen Nachkriegsgeschichte, dass Rechtspopulisten bei einer Wahl im Bund oder in einem Land an einer der beiden Volksparteien vorbeiziehen. Das jedenfalls legen aktuelle Umfragen nahe – die gemacht wurden, bevor es eine einzige Elefantenrunde gab. Nach seiner Ausladung durch den SWR sagte der baden-württembergische AfD-Spitzenkandidat Jörg Meuthen, SPD und Grüne hätten aus seiner Sicht ein „seltsames Demokratieverständnis“. Die AfD als die besseren Demokraten also, SPD und Grüne als die Antidemokraten? Verkehrte Welt.

Der AfD aus dem Weg zu gehen, hilft nicht weiter

Zu spät merkte man beim SPD-Landesverband in Stuttgart, dass hier ein veritables Eigentor geschossen wurde. Konnten doch all jene sich auf voller Linie bestätigt fühlen, die auch sonst von angeblichen Machtkartellen und politisch beeinflusstem Zwangsgebührenfunk sprechen. Mit Verzögerung versuchte man dann das, was Experten für Rechtspopulismus eigentlich als Allererstes empfehlen: Auf den Gegner mit Argumenten zu reagieren. Die stellvertretende SPD-Landesvorsitzende Leni Breymaier schob nun nach, man gehe der AfD nicht nur deshalb aus dem Weg, weil diese aus „geistigen Brandstiftern“ bestehe. Sondern auch daher: „Die AfD gefährdet Arbeitsplätze durch die Abschaffung des Euro und will zurück zur Atomkraft.

Diskutiert die SPD also schon mit jenen nicht mehr, die die Währungsunion für eine Fehlkonstruktion oder die Energiewende für überstürzt halten? Breymaiers Reaktion machte die Sache nicht besser – im Gegenteil. Gleich zweimal war die SPD genau in jene Falle getappt, der Rechtspopulisten in ganz Europa einen Großteil ihres Erfolgs verdanken: dem Gefühl, hier seien etablierte Parteien am Werk, die sich ihre Gesprächspartner und sogar die Meinungen, mit denen sie konfrontiert werden, am liebsten selbst aussuchen. Ein „Geschenk“, so hieß es später aus der AfD, sei die Ausladung durch den SWR gewesen – mehr wert als jede Minute zur besten Sendezeit. Dass der Sender Meuthen zum Ausgleich nun ein Einzelinterview nach der Elefantenrunde gewährt, machte die Sache für die AfD nur noch besser.

Wer in der AfD immer nur eine NSDAP-Wiedergängerin sieht, verharmlost

Es gibt eine Richtung der Argumentation, wo der Diskurs aufhören sollte. Mit jeder Einbeziehung der AfD, mit jeder politischen Auseinandersetzung wird sie aufgewertet, solange nicht klar und eindeutig gegen sie Stellung bezogen wird.

schreibt NutzerIn Silviolo

Es ist erstaunlich, wie schwer den etablierten Parteien die Auseinandersetzung mit der neuen Konkurrenz von rechts fällt – und auch wie hilflos große Teile der deutschen Öffentlichkeit auf den erstarkenden Rechtspopulismus reagieren. Europäisch betrachtet ist der kein neues Phänomen. Vermutlich war es nur eine Frage der Zeit, bis das etablierte Parteienspektrum auch hier auf die Probe gestellt werden würde. Der europäische Normalzustand jedenfalls ist das Vorhandensein einer rechtspopulistischen Partei, die mit den Methoden der modernen Mediengesellschaft operiert. Und die nicht allein abgestandenen Geschichtsrevisionismus präsentiert. Politikwissenschaftler waren sich schon seit Langem einig darin, dass auch in Deutschland die Voraussetzungen dafür gegeben sind. Weicht doch die deutsche Sozial- und Gesellschaftsstruktur nicht grundlegend von der in Frankreich, Dänemark, den Niederlanden oder Österreich ab. Allein einen Unterschied gab es: Bisher ließ noch jeder Verweis auf Bezüge zum Nationalsozialismus Parteien rechts von der Union auf längere Sicht scheitern.

Man kann die Verzweiflung spüren, wenn Politiker vor allem bei SPD, Grünen oder Linken – weniger bei der Union – auch jetzt noch auf diesen Mechanismus vertrauen. SPD-Chef Sigmar Gabriel zum Beispiel äußert sich viel und oft zur AfD. In den vergangenen Wochen sagte er unter anderem, die Mitglieder der AfD seien „offen rassistisch“ gesinnt, strebten eine „völkische Gesellschaft“ an, seien „rechtsradikal“, verstießen „offen gegen die Verfassung“ und pflegten „die Sprache der NSDAP“. Es ist nicht falsch, was Gabriel sagt. Auch wenn er bewusst immer von einzelnen Mitgliedern und deren Äußerungen spricht. Denn ein zusammenhängendes Programm, das diesen Namen verdient, hat die AfD auch drei Jahre nach ihrer Gründung und ein halbes Jahr nach ihrer Spaltung nicht. Man kann darauf wetten, dass sich in ihrem ersten Grundsatzprogramm, das im Frühjahr verabschiedet werden soll, kaum Verfängliches finden wird. So unbedarft ist die AfD nun auch wieder nicht.

Mehr Trennschärfe zwischen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus

Mit Nazivorwürfen allein ist der Partei offensichtlich nicht beizukommen. „Die Ausgrenzung der AfD ist ein Rohrkrepierer. Das bringt überhaupt nichts“, sagt Matthias Jung, der Chef der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen. Ein Trugschluss wäre es auch, ihr Erstarken allein mit der Flüchtlingskrise in Verbindung zu bringen. Sicher wäre der Wiederaufstieg der AfD nach der Spaltung im Sommer ohne sie viel schwieriger gewesen. Oft vergessen wird aber, dass die Partei schon unter dem inzwischen als gemäßigt geltenden Exvorsitzenden Bernd Lucke in Umfragen bundesweit auf bis zu acht Prozent kam. Eine grundlegend andere Partei war sie auch unter ihm nicht, wenngleich die Zusammensetzung ihrer Wählerschaft sich seitdem durchaus verändert hat. Rechtspopulistisches Potenzial wusste die AfD schon damals zu entfalten. Zum Beispiel, wenn Lucke in seinen Reden bestimmte Gruppen von Einwanderern erwähnte („Ein Bodensatz, der lebenslang in unseren Sozialsystemen verharrt“) oder das Coming-out des schwulen Fußballspielers Thomas Hitzlsperger auf merkwürdige Art zum Thema machte („Ich hätte es gut gefunden, wenn er sein Bekenntnis zu seiner Homosexualität verbunden hätte mit einem Bekenntnis dazu, dass Ehe und Familie für unsere Gesellschaft konstitutiv sind“).

Frauke Petry ist im Kern unpolitisch

Lucke fehlte die Geschmeidigkeit und die Ausstrahlung, die erfolgreiche europäische Rechtspopulisten ansonsten auszeichnen. Am Ende hatte er wohl auch zu viele Skrupel. Seine Nachfolgerin Frauke Petry verfügt ebenfalls nicht über Charisma im Übermaß. Eines aber macht sie zur perfekten Anführerin einer rechtspopulistischen Partei: Sie ist im Kern eine unpolitische Politikerin. Nicht gestählt in ideologischen Auseinandersetzungen, sondern angetrieben durch den Willen, ohne Rücksicht auf Verluste Karriere zu machen.

Das erregt Misstrauen in der AfD, deren Basis nicht nur die etablierte Politik, sondern auch die eigenen Führungsfiguren potenziell für verdächtig hält. So ist aus der Parteispitze mitunter zu hören, Petry stehe wegen ihrer protestantisch-christlichen Prägung der Flüchtlingspolitik Angela Merkels in Wahrheit viel näher, als man sich das vorstellen könne. Wer sie – allerdings noch vor Beginn der großen Flüchtlingsbewegung – im Sommer mit Vertretern sächsischer Antiflüchtlingsheiminitiativen diskutieren sah, mag das zumindest nicht völlig abwegig finden. Und diese Frau fordert, im Zweifelsfall die Schusswaffe gegen Flüchtlinge zu richten!

Wie passt das zusammen? Es muss nicht zusammenpassen – was die Sache aber keinesfalls besser macht. Für ihre Schusswaffenäußerung wurde Petry innerparteilich kritisiert. Das lag aber eher an ihrer zurzeit schwachen Stellung in der Partei. Nicht daran, dass der Tabubruch grundsätzlich für problematisch befunden wird. Auf kontinuierliche Verletzungen der politischen Korrektheit ist die AfD geradezu angewiesen. Auf die meist im Anschluss folgende Relativierung auch. Nur wenn die dazwischen stattfindende Empörung des politischen Establishments und der Medien laut und deutlich zu hören ist, geht die populistische Gleichung auf: dass nämlich erst Polarisierung für Mobilisierung sorgt.

Äußerungen wie die von Petry mögen noch so unappetitlich sein, die Partei als Organisation noch so dilettantisch auftreten – die Erzählung, dass die Spitzenkräfte der AfD nicht wie andere Politiker sind – auf Macht und Geltung aus –, sondern ein Abbild des einfachen Bürgers darstellen, gewinnt erst so an Glaubwürdigkeit. Umso mehr, wenn es tatsächlich starke Indizien für eine Vertrauenskrise zwischen Regierenden und Regierten gibt. 80 Prozent der Deutschen meinen laut aktuellen Umfragen, dass die Bundesregierung in der Flüchtlingsfrage die Kontrolle verloren habe. Umgekehrt messe man im Moment „keine unterentwickelte Bekenntnisbereitschaft“ der Wähler, was die AfD betreffe, sagt Meinungsforscher Jung. Das sei bei Parteien wie der NPD anders.

Deshalb erscheint es angemessen, im Sinne einer Bekämpfung der AfD analytisch schärfer zu trennen. Zwar besitzt die Partei, etwa was Wortwahl und Auftreten betrifft, klare Überschneidungen zum Rechtsextremismus. Eine Figur wie der ultrarechte Thüringer AfD-Chef Björn Höcke würde auch zur NPD passen. Ihre momentanen Erfolge aber erzielt die AfD – zumindest im Westen – gerade deshalb, weil sie nicht von lauter Höckes geführt wird. Es gehört zu den Besonderheiten in der deutschen Diskussion, dass der Unterschied zwischen Rechtsextremismus und -populismus zu wenig beachtet wird – aus Angst, der Begriff des Rechtspopulismus könnte verharmlosend wirken. Zielführender wäre es, in der AfD nicht stets einen NSDAP-Wiedergänger zu erblicken – was umgekehrt auch den Nationalsozialismus verharmlosen könnte. Sondern als Erfahrungsschatz Erfolge und Misserfolge zum Beispiel der österreichischen FPÖ oder der SVP, der Schweizerischen Volkspartei, heranzuziehen.

Demokratien leben vom Widerstreit

Diese agitieren schon seit Jahren und Jahrzehnten stramm rechts von der Christdemokratie, ohne gleichzeitig die Abschaffung der Demokratie zu propagieren. Im Gegenteil: Gerade die SVP hat die Verabsolutierung des Mehrheitsgedankens perfektioniert. Aus ihrer Sicht ist das demokratische Recht auf Mehrheitsherrschaft durch den rechtlich verbrieften Schutz von Minderheiten bedroht. Im Schweizer System der direkten Demokratie brachte die SVP so die Arbeitnehmerfreizügigkeit mit der EU zu Fall oder sorgte dafür, dass der Bau von Minaretten verboten wurde. Auch die AfD fordert bei jeder Gelegenheit bundesweite Volksabstimmungen – eine eigentlich linke, emanzipatorische Forderung. Gegen sie ist schwerer zu argumentieren, als pauschal Rechtsextremismus zu unterstellen.

Der Aufstieg der AfD sollte nicht nur als temporäre Begleiterscheinung der Flüchtlingskrise aufgefasst werden oder als Zeichen eines angeblichen generellen Rechtsrucks in der deutschen Gesellschaft. Ganz unabhängig von Links/Rechts-Einordnungen ist er auch ein Signal des Misstrauens an die politische Elite und ein Indiz für deren mangelnde Zugewandtheit. Der niederländische Sozialdemokrat und Publizist René Cuperus erklärt das Erstarken der rechtspopulistischen Partei von Geert Wilders in seiner Heimat unter anderem mit einer tiefen Spaltung der Gesellschaft. Die verlaufe entlang des Bildungsstandes und gar nicht so sehr entlang von Einkommensgruppen. Akademiker würden in den Industrieländern des Westens heutzutage in einer eigenen, abgeschlossenen Welt leben: „Aus diesem Biotop schauen sie dann verächtlich auf die weniger Gebildeten herab. Sie verachten deren Humor, deren Geschmack und deren politische Überzeugungen.“

Unterschiedliche Bildungsstandards spalten die Gesellschaft

Die höher Gebildeten gelten demnach als kosmopolitischer, sie kommen besser mit Globalisierung, Europäisierung und Migration zurecht. Falsch sei es aber, so Cuperus, die Wähler von Rechtspopulisten als nicht ausreichend gebildet zu verdammen und als zu wenig Europa-enthusiastisch zu beschimpfen; ihnen gewissermaßen selbst zum Vorwurf zu machen, mit den Folgen der Globalisierung kulturell und psychologisch nicht klarzukommen. Vielleicht meint er damit Äußerungen wie die von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU), der im November sagte, die Flüchtlingsbewegung sei nun einmal das „Rendezvous unserer Gesellschaft mit der Globalisierung“. Die Wähler, die Cuperus beschreibt, werden das eher als Provokation denn als Verständnis für ihr Empfinden aufgefasst haben.

Unbesiegbar sind Rechtspopulisten allerdings nicht – und auch die Etablierung der AfD ist noch längst nicht ausgemacht. Mehr als von ihr selbst dürfte das von der Reaktion der anderen Parteien abhängen. Nicht umsonst sind Rechtspopulisten in Ländern stark geworden, die schon länger von großen Koalitionen geprägt sind, der Schweiz, den Niederlanden, Österreich. Die gesellschaftlichen Trennlinien zwischen Christ- und Sozialdemokraten mögen sich vielfach aufgelöst haben. Dennoch leben Demokratien vom Widerstreit und von der Fähigkeit demokratischer Parteien, Reibung herzustellen. Für die SPD muss es deshalb dringlich sein, eine langfristige Machtperspektive jenseits der Union zu erarbeiten. Und die Union muss das Ziel haben – und nicht nur die CSU –, wieder ein Verhältnis zu den Nationalkonservativen der Gesellschaft zu finden.

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