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Karl Lauterbach ist Gesundheitsexperte der SPD und im Kompetenzteam von Peer Steinbrück.

© dpa

Reform des Pflegebegriffs: "Das ist doch keine Raketentechnik!"

Nach 15 Monaten legt die Expertenkommission der Bundesregierung den Bericht zur Reform des Pflegebegriffs in Deutschland vor. Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach erklärt im Interview, was die Reform kostet und wo sich Geld einsparen lässt.

Wie Pflegebedürftigkeit in Zukunft definiert werden soll, darüber haben Wissenschaftler und Verbandsvertreter 15 Monate lang im Auftrag der Bundesregierung beraten. Rund 250 Seiten stark sind die Empfehlungen, die das Expertengremium an diesem Donnerstag an Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) übergeben wird. Der Gesundheitsexperte der SPD, Karl Lauterbach, äußert sich dazu im Interview:

Herr Lauterbach, warum ist ein neuer Pflegebegriff notwendig?

Der jetzige Pflegebegriff ist sehr kompliziert und hat viel Bürokratie zur Folge. Wir sollten den Pflegebegriff stärker danach ausrichten, was der Pflegebedürftige noch kann, statt wie bisher Verrichtungen zu beschreiben. Dann hätten auch die Pflegenden mehr Freiraum. Es wäre außerdem gerechter, weil der Aufwand besser abgeschätzt werden könnte.
Wer würde davon profitieren?

Der jetzige Pflegebegriff funktioniert bei mindestens einem Drittel der Pflegebedürftigen nicht. Er berücksichtigt nicht ausreichend psychische Erkrankungen, Depressionen oder Angstzustände. Er berücksichtigt nicht mentale oder geistige Einschränkungen vor der Demenz. Und er berücksichtigt keine bestehenden Behinderungen.

Die schwarz-gelbe Koalition hatte sich ursprünglich vorgenommen, schon in dieser Legislaturperiode den Pflegebegriff zu überarbeiten, hat diese Reform dann aber vertagt. Ist das Thema zu kompliziert?

Es ist mir vollkommen unverständlich, warum diese Regierung in vier Jahren nichts zustande gebracht hat. In der großen Koalition hatten wir die Reform schon fast fertig. Das ist doch keine Raketenwissenschaft. Wenn der Gesundheitsminister sich nicht imstande sieht, ein eigenes Konzept vorzulegen, hätte er wenigstens einen modernen, guten Pflegebegriff aus einem anderen Land übernehmen können. Peer Steinbrück wird die Pflege in den nächsten Wochen zur Chefsache machen. Für die SPD hat eine Pflegereform nach der Bundestagswahl höchste Priorität. Und dazu gehört auch ein neuer Pflegebegriff.

In der Expertenkommission ist umstritten, was eine solche Reform kostet. Wie viel Geld ist aus Sicht der SPD notwendig?

Wenn wir die Leistungen der Pflege verbessern wollen, brauchen wir fünf Milliarden Euro zusätzlich. Das geht nicht ohne eine Anhebung des Beitragssatzes um 0,5 Prozentpunkte. Wir müssen in die Pflege investieren. Das lohnt sich aber auch: Es schafft Arbeitsplätze und entlastet Familien direkt.

Lässt sich denn in der Pflege auch Geld einsparen?

Wir müssen die Arzneimitteltherapie überprüfen. Wir verschwenden zu viel Geld für teure Arzneimittel, die bei den zu Pflegenden nie getestet wurden. Diese Medikamente haben oft mehr Nebenwirkungen, als sie Wirkung haben. Wenn wir das Geld nutzen, um die Psychotherapie in der Pflege zu stärken, senkt das nicht nur die Arzneimittelausgaben, sondern verbessert auch die Lebensqualität. Viele zu Pflegende haben Depressionen, die auch Demenz beschleunigen können. Mit Therapie kann man dem entgegenwirken.

Schon jetzt fehlen Fachkräfte in der Pflege. Woher soll in Zukunft das Personal kommen?

Wir müssen den Pflegeberuf attraktiver machen, damit wir mehr junge Bewerber finden, aber auch, damit wir die bereits in der Pflege Tätigen halten können. Dafür sind Mindestpersonalstandards notwendig. In den ambulanten und stationären Einrichtungen muss eine Mindestanzahl an Fachkräften beschäftigt sein, damit die Mitarbeiter nicht völlig überlastet werden. Es müssen aber auch bessere Löhne gezahlt werden.

Karl Lauterbach (50) ist Gesundheitsexperte der SPD und Mitglied im Kompetenzteam von Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. Das Gespräch führte Cordula Eubel.

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