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Das Bild zeigt Säcke mit Papierschnipseln von Stasi-Akten, die noch vom Ministerium für Staatssicherheit geschreddert wurden.

© dpa

Chef der Stasiunterlagenbehörde im Interview: "Die Reduzierung auf Stasi verharmlost die Rolle der SED"

Roland Jahn leitet die Stasiunterlagenbehörde. Als SED-Gegner wurde er 1983 aus der DDR zwangsausgebürgert. Im Interview spricht er über IM-Kategorien und über das menschliche Ur-Interesse an Verrat und am Geheimen.

Von Matthias Schlegel

Herr Jahn, befürchten Sie, dass eine Neubewertung von ehemaliger inoffizieller Stasi-Mitarbeit, wie sie der in Ihrer Behörde beschäftigte Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk ins Gespräch gebracht hat, juristische Folgen haben könnte?

Inwiefern?

Wenn zum Beispiel Leute, von denen im Rahmen von Überprüfungen IM-Akten herausgegeben wurden, jetzt dagegen vorgehen, weil sie meinen, gar kein „richtiger“ IM gewesen zu sein.
Man muss grundsätzlich unterscheiden zwischen der Akten-Herausgabepraxis der Behörde und der Forschung zur IM-Tätigkeit, aus der Zahlen abgeleitet werden. Wenn es um die Herausgabe von Akten zu Überprüfungen im öffentlichen Dienst geht: Wir selbst überprüfen nicht, wir geben auf der Basis des Stasiunterlagengesetzes Unterlagen heraus. Dort sind in Paragraf 6 Inoffizielle Mitarbeiter als Personen definiert, „die sich zur Lieferung von Informationen an den Staatssicherheitsdienst bereit erklärt haben“. Das ist das für uns verbindliche Kriterium. Aber wir bewerten nicht Menschen, sondern Akten. Wir erläutern beschriebenes Papier. Die Entscheidungen, wie damit umgegangen wird, treffen allein die öffentlichen Arbeitgeber. Juristisch gesehen sind wir deshalb nur für die Aktenherausgabe verantwortlich.

Das heißt, nachträgliche arbeitsrechtliche Auseinandersetzungen könnten höchstens auf öffentliche Arbeitgeber zukommen?
Ich glaube nicht, dass es überhaupt solche Auseinandersetzungen gibt. Es geht in den Einzelfallprüfungen nicht um IM-Kategorien, sondern stets um das ganz konkrete Verhalten der Betreffenden. Und da wird schon differenziert, denn der Arbeitnehmer muss ja auch angehört werden.

Der Stasiunterlagenbeauftragte Roland Jahn versichert, seine Behörde sei nur für die Aktenherausgabe verantwortlich. Menschen würden von seiner Behörde nicht bewertet..
Der Stasiunterlagenbeauftragte Roland Jahn versichert, seine Behörde sei nur für die Aktenherausgabe verantwortlich. Menschen würden von seiner Behörde nicht bewertet..

© Kai-Uwe Heinrich

Muss die bisherige IM-Forschung auf den Prüfstand gestellt werden?
Hinterfragen gehört zur Forschung. Wenn man inoffizielle Mitarbeit umfassender beschreiben will, dann ist es schwierig, sie in Zahlen zu fassen, weil die Kriterien sehr schwierig zu formulieren sind. Mein Anliegen ist es seit Amtsantritt, einen neuen Zugang zu den Themen Anpassung und Denunziation zu finden. Kowalczuk schreibt ja in seinem Buch auch: Die Zahlen könnten auch nach oben gerechnet werden, wenn man die Denunziation, die gar nicht als IM-Mitarbeit von der Stasi erfasst ist, einbezieht. Bei den Zahlen liegt man in der Sache schnell daneben, es geht eigentlich um Größenordnungen. Mir ist wichtig, in der IM-Forschung oder in der Denunziationsforschung hin zu mehr qualitativer Bewertung zu kommen, die Rahmenbedingungen zu erforschen.

Damit sagen Sie aber auch, dass bislang einiges falsch gelaufen ist in der Forschungsarbeit.
Wir haben in Deutschland weltweit als Erste die Akten einer Geheimpolizei aufgearbeitet. Und es ist normal, dass dabei Wege beschritten werden, die man dann auch wieder hinterfragt.

... auch weil sich die Betrachtung der Vergangenheit zu sehr auf die Stasi und zu wenig auf die SED konzentrierte?
Das ist ein weiteres Thema. Die Reduzierung auf Stasi verharmlost auch die Rolle der SED. Wir müssen davon wegkommen, dass sich die öffentliche Diskussion nur auf die Stasi-Spitzel konzentriert, und müssen die Gesamtheit betrachten. Natürlich weiß ich, wie Medien funktionieren und dass das Thema „Verrat“ schon seit Urzeiten die Menschen interessiert. Auch das Geheime hat eine gewisse Faszination. Aber wenn es um Forschung geht, muss das, was in den vergangenen 20 Jahren geschaffen wurde, weiterentwickelt werden. Die Basis dafür ist gut.

Roland Jahn (59) ist seit Januar 2011 Chef der Stasiunterlagenbehörde. Als SED-Gegner wurde er 1983 aus der DDR zwangsausgebürgert. Im Westen arbeitete er als Journalist. Das Gespräch führte Matthias Schlegel.

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