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Im Alter von acht Tagen. Jüdischer Säugling bei einer Beschneidungszeremonie. Auch bei den Muslimen gehört das Ritual zum guten Glauben.

© dpa

Ruck, zuck, Resolution: Der Bundestag will Beschneidung weiter zulassen

Der Bundestag will religiöse Riten weiter zulassen. Doch viele Abgeordnete hätten gern mehr Bedenkzeit gehabt. Die Resolution sei im "Hauruckverfahren" durchgesetzt worden, kritisieren die Grünen.

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Mit einer fraktionsübergreifenden Resolution gegen ein Verbot religiös motivierter Beschneidungen in Deutschland hatten die Parlamentarier den Juden und Muslimen ein „starkes Signal“ geben wollen. Doch nach der Linkspartei, die dabei von Anfang an nicht mitgegangen war, scherten am Donnerstag auch die Grünen aus. Der Antrag an die Bundesregierung, bis zum Herbst einen Gesetzentwurf zur Zulässigkeit einer „medizinisch fachgerechten Beschneidung von Jungen ohne unnötige Schmerzen“ vorzulegen, wurde am späten Nachmittag lediglich von den Koalitionsfraktionen und der SPD im Bundestag eingebracht. Eine überwältigende Mehrheit stimmte dann für die Resolution, nach der die rituelle Entfernung der Vorhaut bei Jungen grundsätzlich für zulässig erklärt werden soll.

Das „Hauruckverfahren der Koalition“ sei nicht angemessen, sagte Grünen-Fraktionschefin Renate Künast vor der Abstimmung. Im „hohen Bewusstsein für die Brisanz“ des Themas habe man die Abstimmung über die Resolution deshalb freigegeben. Ziel der Grünen sei es, jüdisches und muslimisches Leben hierzulande „in allen Facetten zu ermöglichen“, stellte Künast klar. Dabei müsse aber die Frage, wie die Grundrechte auf körperliche Unversehrtheit, Religionsfreiheit und elterliche Sorge zusammenzubringen seien, gründlich erörtert werden.

Die Resolution ist eine Reaktion auf das Urteil des Kölner Landgerichts, das die Beschneidung von Minderjährigen aus religiösen Gründen vor kurzem als Körperverletzung gewertet hatte. Juden und Muslime, bei denen dieses Ritual zur religiösen Praxis gehört, hatten dagegen aufs Heftigste protestiert. Initiiert worden war der Bundestags-Vorstoß von Unionsfraktionschef Volker Kauder .

Video: Die Rabbiner-Konferenz hatte das Gerichtsurteil scharf kritisiert

Außenminister Guido Westerwelle (FDP) begrüßte, dass das Parlament bei dem Thema so „schnell und beherzt“ handle. Mit dem Beschluss zeige Deutschland, dass es ein weltoffenes und tolerantes Land sei. Auch SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier bekräftigte die Notwendigkeit des Bundestagsappells an die Regierung, „um Unsicherheiten, die es bei religiösen Gruppen gibt, aber auch bei Ärzten und Eltern, zu bereinigen“. Im Parlament selbst nannte der CDU-Abgeordnete Günter Krings die Resolution ein klares Signal an jüdische und muslimische Gemeinden. Die SPD-Politikerin Christine Lambrecht forderte eine Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht. Sie sagte, es wäre inakzeptabel, die entstandene Rechtsunsicherheit weiter bestehen zu lassen, auch um Beschneidungen in Hinterzimmern oder einen „Beschneidungs-Tourismus“ zu verhindern.

Eine Reihe von Abgeordneten blieb unsicher. Bei einer Probeabstimmung in der Grünen-Fraktion gab es nach Tagesspiegel-Informationen zwölf Gegenstimmen und 16 Enthaltungen. Zu den Kritikern des fraktionsübergreifenden Vorstoßes gehört der migrationspolitische Sprecher der Grünen, Memet Kilic. Er meint, durch die Zugehörigkeit zu jüdischen oder muslimischen Religionsgemeinschaften laste ein moralischer Druck auf den Eltern, den ihnen der Gesetzgeber nehmen müsste. Diese Chance werde jetzt verpasst. Statt deutlich zu machen, dass sich religiöse Traditionen und Gebräuche im Lichte von Medizin und Wissenschaft verändern müssten, signalisiere man die Bereitschaft, „die Rechtslage diesen Gebräuchen anzupassen“. Kinder seien nicht das Eigentum von Eltern, Religionsgemeinschaften oder Staat, heißt es in Kilics persönlicher Erklärung, die auch von der Grünen-Abgeordneten Viola von Cramon unterzeichnet wurde. Zu den Gegnern des Beschlusses zählte auch der FDP-Bundestagsabgeordnete Heiner Kamp. „Die körperliche Unversehrtheit von Säuglingen und Kleinkindern ist ein hohes Gut“, erklärte er.

Die Linke kann sich nicht einigen.

Die Linke kam bei dem aus ihrer Sicht heiklen Thema weiter nicht auf einen Nenner. Eine Mehrheit enthielt sich – dies aber weniger aus inhaltlichen Gründen, wie ein Fraktionssprecher erläuterte, sondern mehr aus Ärger über das Vorgehen der anderen Fraktionen, die die Linke an der Erarbeitung der Resolution nicht beteiligt hatten. Fraktionsvize Sahra Wagenknecht rügte das Vorgehen der anderen Fraktionen als „sehr problematisch“.

Der religionspolitische Sprecher der Linken, Raju Sharma, sagte dem Tagesspiegel, die Resolution an sich sei „nichtssagend, die Fragwürdigkeit ergibt sich erst aus der Begründung“. Sharma kündigte an: „Wir steigen in die inhaltliche Debatte ein, wenn der Gesetzentwurf der Bundesregierung vorliegt.“ Am Montag hatte Linken-Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn erklärt. „Ich glaube nicht, dass wir einen verbindlichen Beschluss herbeiführen müssen.“ Als Kritiker von Sharma, der das Kölner Urteil gutheißt, sieht sich Höhn ausdrücklich nicht. Der Linken-Abgeordnete Jens Petermann schlug im Bundestag vor, zunächst eine symbolische Beschneidung der Babys vorzunehmen und medizinische Eingriffe den Heranwachsenden zu überlassen. Dies sei unter Juden in Großbritannien Praxis.

Auch in der Bevölkerung gibt es kein klares Bild. Anders als im Bundestag ist dort allerdings eine knappe Mehrheit für ein Verbot. Bei einer Befragung von 1020 Bürgern durch das Institut You-Gov im Auftrag der Nachrichtenagentur dpa erklärten 45 Prozent, sie fänden es richtig, die jahrtausendealte Tradition von Juden und Muslimen unter Strafe zu stellen. 42 Prozent wandten sich dagegen, 13 Prozent hatten keine Meinung. Am Ende dann doch erleichtert zeigte sich nach der Bundestagsdebatte Dieter Graumann, der Präsident des Zentralrats der Juden. Von einem „starken politischen Zeichen“ an Juden und Muslime sprach Graumann. Er hoffe, dass das angekündigte Gesetz auch tatsächlich innerhalb der nächsten Monate beschlossen wird.

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