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Rumäniens umstrittener Ministerpräsident: Ponta klammert sich an die Macht

Der EU-Fortschrittsbericht wird seinem Namen nicht gerecht: Bei Rumänien zählt er vor allem Rückschritte auf. Brüssel sieht die rumänische Rechtstaatlichkeit in Gefahr. Das liegt an Premierminister Viktor Ponta, der die Justiz manipuliert. Doch der Protest nimmt zu.

Was sich anstaut, ist mehr als die Hitze. Aber die Hitze macht eine physische Not aus den Ereignissen, deren Konsequenzen noch vor allem in den Köpfen der Menschen durchgespielt werden.

Der Siegesplatz im Herzen von Bukarest ist ein verkehrsumtoster Moloch mit vierspurigen Straßen, laut, nach Benzin stinkend und geprägt von einem rechteckigen Bau, der Sitz der Regierung ist. Und gegen die richtet sich ein immer wütender werdender Protest.

Seit fast drei Wochen demonstrieren Studenten und Professoren, Architekten und Filmemacher, Menschen aus einer Art kulturellen Elite des Landes, gegen die Politik des sozialistischen Ministerpräsidenten Viktor Ponta, 39.

Sie kommen immer abends, selten vor 19 Uhr, denn bei den andauernd hohen Temperaturen von um die 40 Grad im Schatten ist die Dauerdemonstration für viele längst zum physischen Kraftakt geworden. Die Teilnehmerzahl schwankt entsprechend. Mal sind es 200, mal 500. Aber auch 500 Menschen, deren Plakate und Sprechchöre scheint der riesige Platz einfach zu verschlucken.

Angefangen haben die Proteste wegen Pontas Dissertation, die unter Plagiatsverdacht stand. Ein hochkarätiges akademisches Gremium ging den Vorwürfen nach und fand heraus, dass 85 der 307 Seiten langen Doktorarbeit „Wort für Wort abgeschrieben“ sind. Doch noch bevor das Ergebnis offiziell präsentiert werden konnte, wurde das Gremium aufgelöst – auf Geheiß Pontas.

„Eine Schande ist das!“, wettert George, ein emeritierter Dozent für Wirtschaftswissenschaften, über den abschreibenden Premier, „eine Schande für Rumänien, für unser akademisches System und Bildungswesen überhaupt!“. Der untersetzte, weißhaarige Mann regt sich auf und fällt dann in den Sprechchor der restlichen Demonstranten ein: „Ponta, Rücktritt!“

Das rufen in Bukarest die wenigen auf dem Siegesplatz und drücken damit aus, was europaweit viele denken. Denn zu der Schande des akademischen Betrugs ist in den vergangenen Wochen noch etwas anderes und viel Größeres gekommen: Pontas Angriff auf den fragilen Rechtsstaat Rumänien.

Gemeinsam haben seine sozialliberale Koalitionsregierung und ihre Parlamentsmehrheit unter anderem die Befugnisse des Verfassungsgerichtshofs beschnitten und am 6. Juli den vom Volk direkt gewählten Präsidenten Traian Basescu vom Amt suspendiert. Die Begründung: Basescu schütze politische Verbündete vor Strafverfolgung und habe die Antikorruptionsbehörde mit seinen Anhängern besetzt. Kommissarischer Präsident ist nun Crin Antonescu – der ein Partner Pontas ist. Für den 29. Juli wurde ein Referendum angekündigt. Dann soll das Volk entscheiden, ob Basescu Präsident bleibt oder nicht.

Geht es nach den Demonstranten auf dem Siegesplatz, heißt die Antwort: Ja. Dabei ist Basescu nach fast zwei Amtszeiten keineswegs lupenrein. Sein Führungsstil ist oft autoritär, er bewegte sich einige Male selbst am Rande der Verfassung. Gegen sie verstoßen hat er jedoch nie. Er übernahm die heikle Aufgabe, die Rumänen auf Krisenzeiten einzuschwören und die Hiobsbotschaften über Lohnkürzungen, Entlassungen und drastische Sparmaßnahmen zu verkünden. Entsprechend sank seine anfangs hohe Popularität ins Bodenlose.

Darauf bauen nun seine Gegner, also Ponta, dessen Regierung und die Mehrheit der Parlamentarier – die derzeit bei manchen im Ruf stehen, das Land in putschartiger Manier zu manipulieren und zu beherrschen.

Die Architekturstudentin Bianca jedenfalls, erschöpft von Wut und Hitze, fragt erbittert: „Wohin sollen Pontas jüngste Vorstöße denn führen? Zu einer Scheindemokratie? Zum Totalitarismus?“

In weniger drastischen Worten, aber im selben Unterton äußert sich auch das europäische Ausland. Die deutsche Bundesregierung formuliert offen „Zweifel an der Legitimität der von der Regierung Ponta ergriffenen Maßnahmen“. Die EU-Kommission lud den Premier zum Rapport, wo der zahm gelobte, künftig Rechtsstaat, Gewaltenteilung und Urteile des Verfassungsgerichts respektieren zu wollen. Zurück in Bukarest, tönte er dann allerdings, Rumänien sei keine „Kolonie“, weder von Brüssel noch von Berlin. Als hätte man das geahnt, enthält der am gestrigen Mittwoch präsentierte „Fortschrittsbericht“ der EU-Kommission wenig Positives über die Lage in Rumänien, dafür aber nochmals die ausdrückliche Sorge um die Rechtsstaatlichkeit. Die „aktuellen Kontroversen gefährden die bisher erreichten Fortschritte stark und werfen ernsthafte Fragen nach der Zukunft der bereits eingeleiteten Reformen auf“, steht in dem Bericht, außerdem, dass die Brüsseler Behörde nach wie vor „schwerwiegende Bedenken“ habe und dass es vor Jahresende einen weiteren Bericht zur Lage im Land geben werde.

Pontas "Staatsstreich" - ein Rückschritt auf dem Weg zur Besserung

Die Kontrolle über die Justiz – das ist es, worum es sich vor allem dreht in dem Bukarester Machtkampf. Basescu wollte die Rechtsinstitutionen des Landes kräftigen, indem er sie stets zu Unabhängigkeit anhielt. Er ist der erste hohe Amtsträger, der die eiserne Regel brach, nach der die Justiz vor korrupten Spitzenpolitikern Halt zu machen hat. Für viele Mitglieder der von Filz und Korruption geprägten rumänischen Politikerklasse ist Basescu deshalb ein Verräter.

Was eine unabhängige Justiz kann, wurde zuletzt Ende Juni offenbar, als Adrian Nastase ins Gefängnis gebracht wurde. Nastase war von 2004 bis 2008 Premierminister, er gilt als der politische Mentor des aktuellen Regierungschefs Ponta und war bezeichnenderweise auch dessen Doktorvater. Und doch war er verurteilt worden – wie ein ganz gewöhnlicher Bürger! Als sich die Tore der Bukarester Haftanstalt Rahova hinter dem wegen illegaler Parteienfinanzierung und Einflussnahme zu zwei Jahren Haft verurteilten 62-Jährigen schlossen, geriet etwas in Bewegung.

Politiker und Expolitiker sehen sich plötzlich auf bisher ungewohnte Weise bedroht. Bisher galt, dass zwar gegen viele rumänische Spitzenpolitiker Gerichtsverfahren wegen Korruption, Amtsmissbrauch, Einflussnahme laufen, dass aber deren Heer von Anwälten zuverlässig dafür sorgte, dass die Verfahren bis zur Verjährung der Taten hinausgezögert wurden. Sollte das nun nicht mehr gelten? Wie ein Fanal wirkte da noch der verunglückte Selbstmordversuch Nastases kurz vor seiner Einlieferung.

Einer, der über korrupte Politiker gut Bescheid weiß, sitzt inmitten seiner Mitarbeiter an einem Schreibtisch. Drei große Räume füllt die Redaktion von „Hotnews“ inzwischen. „Hotnews“ ist dem boulevardesken Namen zum Trotz eines der wenigen noch unabhängigen Nachrichtenportale des Landes. An zehn Schreibtischen arbeiten Journalisten. Großbildschirme senden den ganzen Tag über, was die Welt an „Breaking News“ bereithält.

Dan Tapalaga, ein kurzhaariger, stoppelbärtiger Mittdreißiger, ist Chefredakteur.  Er gilt als einer der Starjournalisten des Landes. Auf Nastases Fahrt ins Gefängnis, sagt er, sei ein regelrechter „Aufstand der Schurken“ gefolgt. Panik sei ausgebrochen unter den zahllosen einflussreichen Politikern und Unternehmern. Tapalaga erzählt von Dan Voiculescu. Der war ein langjähriger Spitzel der früheren Geheimpolizei Securitate und vor der Wende einer von Ceausescus Devisenbeschaffern. Heute ist er Medienunternehmer und einer der Superreichen des Landes. Er ist Ehrenvorsitzender der zum regierenden Mitte-Links-Bündnis gehörenden konservativen Zwergpartei, war bis jüngst Vizepräsident des Senats und gilt graue Eminenz hinter Premier Ponta und hinter Interimspräsident Antonescu – und er setzt sein Medienimperium bedenkenlos ein, um gegen unliebsame Personen, Parteien und Institutionen zu agitieren. Hauptfeind seit Jahren schon ist: Basescu. Wie diesmal auch hat Voiculescu mit seinen Fernsehsendern, Zeitungen und Radiostationen schon 2007 bei einem ersten Amtsenthebungsverfahren gegen Basescu die PR für den Coup geliefert.

Gleich nach Nastases Inhaftierung hat Dan Voiculescu seinen Rücktritt von dem Senatsposten angekündigt. Er will mit der Aufgabe des hohen Amtes ein gegen ihn in höchster Instanz anhängiges Strafverfahren auf eine niedrigere Gerichtsebene verlegen. Die Verjährung der Taten steht 2013 an; da das Amtsgericht nun den Fall neu aufrollen muss, habe Voiculescu beste Aussichten, ungestraft davonzukommen. So erläutert es Tapalaga. Und er sagt, dass er um den Rechtsstaat bange.

Dieselbe Sorge, ein anderes Büro. Expert Forum ist ein von der EU geförderter Thinktank. Die Tische sind überhäuft mit Projektmappen und Aktenordnern, mit PCs, Telefonen, Fax- und, Kopiergeräten. An den Wänden hängen Terminkalender und Kunstdrucke. Hier arbeiten Politik- und Rechtswissenschaftler, die meisten von ihnen haben in den USA studiert oder in Großbritannien, wie Laura Stefan. Das Vorgehen Pontas bezeichnet sie „aus juristischer Sicht“ als perfiden Staatsstreich, vergleichbar mit einem Bombenattentat auf die wesentlichen Institutionen des Staates – „als ob man sie tatsächlich in die Luft gesprengt hätte“, sagt sie. Laura Stefan befürchtet wie viele andere, dass die Putschisten letztlich insofern erfolgreich sein werden, als beim Referendum am 29. Juli keine Mehrheit für Basescu herauskommt. Das liege an der Bevölkerungsstruktur des Landes, sagt sie. Die überwiegende Mehrheit der Rumänen lebt in den ländlichen Regionen und verfolgt die hauptstädtischen Debatten um ausgehebelte Gesetze kaum oder gar nicht. Was sie aber registriert, ist, wenn Übergangspräsident Antonescu sagt, Basescu habe sich mit seiner Sparerei als „Feind des Volkes“ erwiesen.

Drei Kundgebungen will Basescu bis zum Referendum organisieren, mit 40 Anti-Basescu-Großkundgebungen kontern die Sozialliberalen. Und nicht nur das: Die Wahllokale im Ausland für die fast drei Millionen Auslandsrumänen, die als traditionell konservative Wähler gelten, wurden auf die Hälfte reduziert, die Regelung über die vom Verfassungsgericht geforderte Beteiligung von mehr als 50 Prozent der Stimmberechtigten erst nach langem Zögern knapp zwei Wochen vor dem Referendum abgesegnet.

Am Referendumstag plant das sozialliberale Bündnis zudem landesweit Tombolas und Preisausschreiben, um das Wahlvolk anzulocken. „Weshalb nicht gleich Volksfeste, eventuell mit Freibier, steigen lassen, um die Deppen zu ködern?“, empört sich der Demonstrant Andrei am Bukarester Siegesplatz. Er ist Gesangsstudent und schickt mit weittragendem Bariton ein „Ponta, Rücktritt!“ hinüber zum Regierungssitz. Und kann nur hoffen, dass er gehört wird.

Lilo Millitz-Stoica

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