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In Brand geschossenes ukrainisches Patrouillenboot im Asowschen Meer nahe Mariupol.

© AFP

Russland und die Ukraine: Schrille Töne, große Worte

Der ukrainische Verteidigungsminister warnt: Russland werde Atomwaffen gegen sein Land einsetzen. In Moskau stößt das auf Empörung.

Der dramatische Appell, den der ukrainische Verteidigungsminister Waleri Geletej Montag in sozialen Medien an seine Landsleute richtete, verfehlte auch in Moskau seine Wirkung nicht. Dies sei eine „Provokation“, die „das Volk der Ukraine noch tiefer in die blutige Konfrontation treibt“, heißt es in einer Erklärung des Moskauer Außenamtes vom Dienstag. Der Grad der Zurechnungsfähigkeit des Ministers sei „Gegenstand einer Untersuchung durch nicht militärische Experten“.

Geletej hatte bei Facebook seine Landsleute gewarnt, sich „auf weitere zehntausende Opfer einzustellen“. Die Operation zur Befreiung der Ostukraine von den Terroristen – gemeint waren die prorussischen Separatisten – sei abgeschlossen, nun beginne ein „Großer Vaterländischer Krieg“, wie Europa ihn seit 1945 nicht mehr erlebt habe. Russland, so der ukrainische Minister, werde beim Einmarsch sogar taktische Atomwaffen einsetzen. Das habe Moskau über inoffizielle Kanäle bereits mehrmals zu verstehen gegeben.

Geletej ist bereits der dritte Verteidigungsminister der Ukraine seit Beginn der Kämpfe im Südosten des Landes im April. Derart in Rage gebracht hatten ihn offenbar die jüngsten Auslassungen von Wladimir Putin. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso hatte den Kremlherrscher bei einem Treffen der Staatschefs am Wochenende, bei dem es um neue Sanktionen gegen Moskau ging, mit den Worten zitiert: „Wenn ich will, nehme ich Kiew in zwei Wochen.“

Die Äußerung, so Putins außenpolitischer Berater Juri Uschakow gegenüber der Nachrichtenagentur Ria Nowosti, sei aus dem Kontext gerissen worden und hätte einen völlig anderen Sinn gehabt: Es sei eine Warnung gewesen, Russland nicht mit neuen Sanktionen zu provozieren. Provoziert und bedroht fühlt Moskau sich auch durch die von der Nato angekündigte Verstärkung der Präsenz an Russlands Grenzen und durch Pläne für eine schnelle Nato-Eingreiftruppe in Osteuropa. Das, so der Vize-Koordinator des Nationalen Sicherheitsrates, Michail Popow gegenüber Ria Nowosti, seien „Schlüsselfaktoren“ für Moskaus künftige Militärstrategie.

Wie diese genau aussehen wird, dürfte in hohem Maße auch von den Verhandlungsergebnissen der Kontaktgruppe abhängen, die aus der Ukraine, den Separatisten, Russland und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) besteht und am Montag nach längerer Pause im weißrussischen Minsk tagte. Vertreter der prorussischen „Volksrepubliken“ forderten dabei einen Sonderstatus mit ähnlich umfassenden wirtschaftlichen und kulturellen Autonomierechten, wie sie beispielsweise Dänemark Grönland gewährt. Das Mutterland ist EU-Mitglied, die Insel nicht mehr. Auch die Separatisten sperren sich gegen die von Kiew unterzeichnete Assoziierung mit Europa und wollen stattdessen eng mit den von Moskau dominierten Wirtschaftsbündnissen kooperieren. Ein Sonderstatus für den überwiegend russischsprachigen Südosten, so ein Unterhändler der Separatisten, sei die einzige Möglichkeit für die Erhaltung der staatlichen Einheit der Ukraine.

Was nach Kompromiss klingt, dürfte in der Praxis scheitern, selbst wenn die Ukraine, die derzeit Einheitsstaat ist, sich per Verfassungsreform zum Bundesstaat umformatiert. Ein de facto geteilter Wirtschaftsraum ist mit einer Föderation kaum vereinbar, sondern nur mit einer Staaten-Konföderation.

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