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Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU)

© Reuters/Hannibal Hanschke

Schäubles Vergleich zur Flüchtlingskrise: "Lawine": Falsches Bild, richtiger Appell

Wolfgang Schäuble hat den Zuzug der Flüchtlinge mit einer Lawine verglichen. Die Metapher ist falsch gewählt. Der Minister hat aber recht, wenn er auf die Dynamik des Flüchtlingsproblems hinweist. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albrecht Meier

Bei einer Veranstaltung im ehemaligen DDR-Staatsratsgebäude kam Finanzminister Wolfgang Schäuble am Mittwochabend auf Nicolas Sarkozy zu sprechen. Schäuble und Sarkozy waren mal Kollegen als Innenminister, und damals brachte Schäuble die Idee auf, künftig auf EU-Ebene auf die Übersetzung zu verzichten und sich statt dessen gemeinschaftlich des Englischen zu bedienen. Im Publikum bei der Festveranstaltung des „Centrum für Europäische Politik“ kam Heiterkeit auf, als Schäuble von Sarkozys Einwand berichtete, dass doch dann die englischsprachigen „native speakers“ einen Vorteil hätten.

Zuvor war Schäuble in seinem Festvortrag auf die Flüchtlingskrise eingegangen. Und da war niemanden zum Lachen zumute.

Schäuble benutzte einen Vergleich, der an eine Äußerung des früheren französischen Präsidenten Sarkozy erinnerte. Sarkozy hatte im vergangenen Sommer den Zustrom der Flüchtlinge mit einem Rohrbruch verglichen. Prompt handelte er sich in Frankreich lautstarke Kritik der regierenden Sozialisten ein.

Auch Sarkozy wählte einst eine ähnliche Metapher

Es ist fünf Monate her, dass Sarkozy seine umstrittene Metapher wählte. Inzwischen sind Hunderttausende weitere Flüchtlinge vor allem nach Deutschland gekommen. Schäuble verglich nun in Berlin den Zuzug der Flüchtlinge mit einer Lawine. "Lawinen kann man auslösen, wenn irgendein etwas unvorsichtiger Skifahrer an den Hang geht und ein bisschen Schnee bewegt", sagte Schäuble. Er wisse nicht, ob die Lawine schon im Tal angekommen sei oder im oberen Drittel des Hanges, sagte der Minister. Wenn sich aber die Lawine im oberen Drittel des Hanges befinde, dann sei das Bild von der Lawine eine „ziemliche Herausforderung“. Und er fügte hinzu: „Die können wir Deutsche nicht alleine meistern.“

Gefährlicher Vergleich mit einer Naturkatastrophe

Das Bild von der Lawine ist unglücklich gewählt. Denn in den Köpfen bleibt vor einem eines hängen: Flüchtlinge werden mit einer Naturkatastrophe verglichen, die im schlimmsten Fall Menschen unter sich begräbt.

Dabei rückt in den Hintergrund, dass sowohl Sarkozy als auch Schäuble – einmal abgesehen von ihrer aufputschenden Rhetorik – auf ein reales Problem hingewiesen haben: den Kontrollverlust, den die Politik angesichts des Flüchtlingsproblems erlebt. Schäuble hat, anders als Sarkozy, auf die Dynamik der Flüchtlingskrise hingewiesen. Zu Recht: Zu den Aufgaben der Politik gehört es es auch, Szenarien für die Zukunft zu entwickeln. Dies gilt insbesondere für die Flüchtlingskrise, deren Ende derzeit nicht absehbar ist.

Hilferuf an die EU-Partner

Es ist nun müßig darüber zu spekulieren, wen Schäuble gemeint haben könnte, als er sagte, dass ein „etwas unvorsichtiger Skifahrer“ eine Lawine auslösen kann. Aber wenn schon die Einschätzung des Ministers, dass Deutschland im Worst-Case-Szenario die Krise „nicht allein meistern“ kann, keine Abkehr vom immer und immer wieder zitierten Diktum der Kanzlerin bedeuten muss, so ist sie vor allem eines: ein Hilferuf an die übrigen Europäer, bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise mitzutun – ein Hilferuf, der deutlicher war als alle bisherigen Appelle von Angela Merkel an die EU-Partner.

Schäubles Metapher war falsch gewählt. Aber der Hinweis, dass sich die Bundesregierung angesichts der Dynamik der Lage in Alarmstimmung befindet, sollte bei den EU-Partnern nicht überhört werden. Schäuble ist der Ansicht, dass es "ziemlich schlecht für uns alle werden" könne, wenn die Europäer keine gemeinsame Lösung der Krise hinbekommen. Die Warnung kommt hoffentlich in den anderen EU-Hauptstädten an.

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