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Simone Peter, seit Oktober 2013 Bundesvorsitzende der Partei Bündnis 90/Die Grünen, will erneut antreten.

© Thilo Rückeis

Simone Peter im Interview: „Parteipolitik ist kein Ponyhof“

Die Grünen-Chefin Simone Peter über ihre Kandidatur als Parteichefin, ihre Zusammenarbeit mit Cem Özdemir und die Notwendigkeit der grünen Flügel. Ein Interview.

Frau Peter, wie empfindsam darf man als Spitzenpolitikerin sein?

Ich finde es gut, wenn Politiker Gefühle zeigen. In Zeiten, in denen viele Menschen den Eindruck haben, dass die Politik sich von ihrer Lebenswelt entkoppelt, ist es wichtig zu zeigen, dass Politiker auch menscheln. Letztlich ist so ein Spitzenjob aber eine sehr rationale Angelegenheit.

Alle reden im Moment über Robert Habeck und Annalena Baerbock als künftige Grünen-Chefs. Keiner ruft, Simone Peter müsse Parteichefin bleiben. Trifft Sie das?

Die beiden haben Neuigkeitswert, und ich freue mich, dass es jetzt mehrere Kandidaturen gibt. Bei der Urwahl für die Spitzenkandidaten gab es unter den Frauen keinen Wettbewerb. Das haben damals viele bemängelt.

Hat Ihre Partei Sie schon abgeschrieben?

Nein. Ich habe in den letzten Tagen mit vielen Menschen gesprochen, die mich in meiner Kandidatur bestärkt haben. Viele Parteifreunde wollen wie ich, dass beide Flügel unserer Partei in der Spitze abgebildet sind, gerade auch nach dem guten Zusammenspiel in der grünen Jamaika-Sondierungsgruppe.

Sie treten auf jeden Fall wieder an?

Ich habe meinen Hut erneut in den Ring geworfen. Ich sage aber auch klar: Ich will mich einer Neuaufstellung nicht verwehren. Allerdings muss der Parteivorstand die gesamte Breite der Partei abbilden.

Das heißt, Sie würden Ihre Kandidatur zurückziehen, wenn eine andere Grünen-Politikerin vom linken Flügel antritt?

Ich wünsche mir, dass am Ende ein überzeugendes Personaltableau steht.

Wozu wollen Sie gegebenenfalls noch einmal Parteichefin werden?

Mir ist wichtig, dass wir Grünen unser Kernthema Ökologie mit den Themen soziale Gerechtigkeit und weltoffene Gesellschaft verbinden. Um der Klimakrise zu begegnen, müssen wir Gerechtigkeitsdefizite beseitigen und das Vertrauen in die Demokratie stärken. Dafür will ich mich weiter einsetzen.

Sehen Sie sich als das linke Gewissen der Grünen?

Ich stehe dafür, dass wir unsere Wurzeln nicht vergessen. Manche in der Partei finden, dass wir stärker in die Mitte gehen oder um liberale Wähler werben sollten. Ich halte es für falsch, wenn alle Parteien in die Mitte streben. Dann sind sie weniger unterscheidbar. Das führt zu Politikverdrossenheit bis hin zum Rechtsruck, wie man in Österreich sehen kann. Daher sollten wir eine links verortete, emanzipatorische Partei bleiben. Die Jamaika-Sondierungen haben doch gezeigt, wie hart wir heute noch für Gleichstellung und Gleichberechtigung, den sozial-ökologischen Umbau und für Bürger- und Menschenrechte kämpfen müssen.

Mit Habeck und Baerbock verbindet sich die Hoffnung auf ein Ende der Flügelkämpfe bei den Grünen. Beide wollen eben nicht als Flügelvertreter kandidieren. Warum finden das viele in Ihrer Partei attraktiv?

In manchen Orts- oder Landesverbänden spielen die Flügel tatsächlich eine geringere Rolle. Vor Ort strukturiert sich die Partei oftmals nach anderen Kriterien. Aber hier auf Bundesebene halte ich die Flügel nach wie vor für wichtig, weil sie die unterschiedlichen Milieus und Einstellungen zwischen Stuttgart und Kreuzberg gut einbinden und zusammenführen können. Es ist sinnvoll, Interessen in Gruppen zu organisieren, was Annalena Baerbock und Robert Habeck bisher auch genutzt haben.

Sie trauen den beiden nicht über den Weg?

Das hat nichts mit Misstrauen zu tun. Es tut der Gesellschaft insgesamt nicht gut, unterschiedliche Positionen als etwas Negatives darzustellen. Parteien brauchen den inhaltlichen Streit, solange er produktiv ist und fair ausgetragen wird. Das gehört zur Demokratie, auch zur innerparteilichen.

Ist es nicht so, dass Realos und Linke sich in der Vergangenheit oft blockiert haben?

Kontroversen und Kompromisse sind unverzichtbar in demokratischen Prozessen. Und wenn wir vor Parteitagen nicht mit hunderten von Anträgen konfrontiert würden, ginge doch die Lebendigkeit der Grünen verloren.

Würden Sie Ihre Zusammenarbeit mit Cem Özdemir als produktiv bezeichnen?

Es war sicher nicht immer einfach. Aber darum geht es auch nicht. Wichtig ist, dass wir es immer wieder geschafft haben, uns bei wichtigen Entscheidungen zusammenzuraufen. In den letzten vier Jahren haben wir die Partei gut aufgestellt. Bei der Bundestagswahl haben wir zwar nicht alle Ziele erreicht, aber das zweitbeste Ergebnis unserer Geschichte erzielt und eine halbe Million Wähler dazugewonnen.

Aber angenehm war die Zusammenarbeit nicht immer?

Parteipolitik ist kein Ponyhof. Da streitet man auch mal heftiger. Entscheidend ist, dass man sich danach wieder in die Augen gucken kann.

Wäre die Zusammenarbeit mit Robert Habeck denn leichter?

Als Parteivorsitzende sollte man nie auf leichte Aufgaben hoffen (lacht). Aber Robert ist ein klasse Typ.

Was hat er, was andere Politiker nicht haben?

Er vertritt Politik aus Leidenschaft und kommuniziert sie elegant, auch dann, wenn er mit sich hadert. Das ist glaubwürdig.

Für Habeck sollen die Grünen ein Prinzip opfern, nämlich die Trennung von Regierungs- und Parteiamt. Unterstützen Sie das?

Ich kann gut nachvollziehen, dass er eine Übergangszeit braucht, in der er die Übergabe im Kieler Ministerium organisiert. Das kann man auch in der Satzung klarer regeln. Aber der Übergang muss nachvollziehbar sein. Für mein Empfinden ist ein Jahr zu lang, das wäre die Hälfte der gewählten Amtszeit als Parteichef. Aber das entscheidet am Ende der Parteitag. Ich hoffe, dass Habeck auch ohne Vorbedingung antritt.

Was wäre denn akzeptabel?

Es braucht eine gewisse Zeit, um ein Amt geordnet zu übergeben. Das mag in jedem Einzelfall ein wenig anders sein, aber man sollte sich hier auf eine angemessene Zeit verständigen.

Was ist, wenn Habeck dazu nicht bereit ist? Stehen die Grünen dann vor einem Scherbenhaufen?

Es wird keinen Scherbenhaufen geben. Wir haben gute Kandidaten, oder solche, die sich eine Kandidatur noch offen halten, wie Sven Giegold. Und wer weiß, vielleicht kommen noch welche hinzu. Ich bin mir sicher: Die Partei wird am Ende ein gutes Führungsduo haben.

Den Grünen stehen als schwächste Oppositionspartei schwere Jahre bevor. Was wollen Sie gegen den drohenden Bedeutungsverlust tun?

Mit der AfD sind rechtsnationale bis rechtsextreme Vorstellungen in den Bundestag eingezogen. Wir Grünen verstehen uns als Gegenpol zur AfD, und wir werden denen ganz sicher nicht die Agenda überlassen. Auch von den anderen Parteien fordern wir eine klare Haltung. Die hat in letzter Zeit zu oft gefehlt. Wer über Obergrenzen, Einwanderung in Sozialsysteme oder die Abschottung Europas fabuliert, stärkt am Ende nur die AfD. Statt Ressentiments und Angst braucht es Zusammenhalt und Zuversicht.

Aber in einer Jamaika-Koalition hätten die Grünen doch auch einen Kurs der Begrenzung des Flüchtlingszuzugs mitgetragen.

Oh nein. Für uns stand das individuelle Grundrecht auf Asyl immer unverhandelbar an erster Stelle. Es gab eine klare Absage an eine Obergrenze und daran, den Familiennachzug weiter auszusetzen. Erschreckend war das Verhalten der FDP, die die Union vielfach rechts überholen wollte.

Halten Sie eine Zusammenarbeit mit der FDP auf Bundesebene in nächster Zeit noch für möglich?

Man kann nicht Bürgerrechtspartei sein wollen und gleichzeitig Menschen ausgrenzen. Die FDP muss da ihren Kurs klären und sollte die One-Man-Show ihres Vorsitzenden überwinden. Ich bin überzeugt: Mit dem jetzigen Kurs beerdigt Christian Lindner das liberale Profil der FDP endgültig.

Rechnen Sie mit einer großen Koalition oder mit Neuwahlen?

Ich gehe davon aus, dass am Ende wohl eine große Koalition zustande kommt. Die SPD selber hadert mit der Minderheitsregierung und würde am Ende auch Neuwahlen scheuen.

Manche in der SPD träumen von einer Koko, also einer Kooperation, bei der sich SPD und Union nur auf grundlegende Projekte einigen, für alles andere aber Mehrheiten im Parlament suchen. Wäre das für die Grünen interessant?

Ich fände es spannend, wenn wir in Deutschland auch mal unkonventionelle Modelle ausprobieren, sofern sie Verlässlichkeit und Stabilität gewährleisten. Das Parlament könnte so vielleicht sogar gestärkt werden.

Was passiert, wenn die Gespräche über eine große Koalition scheitern?

Wir Grüne stehen für Gespräche jederzeit bereit und bleiben für alle Optionen mit den demokratischen Parteien offen – außer für Kenia, also eine Koalition mit Union und SPD, weil wir dafür nicht gebraucht werden.

In der Öffentlichkeit, aber auch in Ihrer eigenen Partei werden Sie oft als schwache Vorsitzende dargestellt. Warum ist das so?

Ich habe mir abgewöhnt, zu sehr auf die öffentlichen Zuschreibungen zu hören. Ich bin viel im Land unterwegs, und von den Mitgliedern vor Ort bekomme ich viele positive Rückmeldungen, zuletzt auf der Wahlkampftour durch alle Bundesländer. Für viele war ich in den letzten vier Jahren eine klare Stimme gegen Ungleichheit, für eine humanitäre Flüchtlingspolitik und für die Energiewende.

Gibt es eine Differenz zwischen der Berliner Brille und dem, was Sie an der Basis erleben?

In Berlin ist man sicherlich immer etwas mehr Kritik ausgesetzt. Aber das härtet mit der Zeit auch ab.

Muss man sich irgendwann abpanzern, um die öffentliche Kritik zu ertragen?

Man weiß ja, worauf man sich einlässt. Aber es tut gut, immer mal wieder die Perspektive zu wechseln und im Land unterwegs zu sein.

In den vier Jahren als Grünen-Chefin waren Sie immer wieder Anfeindungen auch aus den eigenen Reihen ausgesetzt. Wie oft haben Sie dann gedacht: Macht euren Kram doch alleine?

Das muss man abkönnen, sonst ist man als Parteivorsitzende am falschen Platz. Hinwerfen wollte ich nie. Aber natürlich ist Politik ein hartes Geschäft. Und es ist immer eine Gratwanderung, Politik und Familie zu verbinden.

Wie haben Sie sich eigentlich in den vier Jahren verändert?

Ich glaube wenig. Aber sicher habe ich viele neue Perspektiven hinzugewonnen. Ich vertrete meine Themen mit Herzblut. Manchmal führt das dazu, dass ich anecke und Fragen stelle, die andere vielleicht nicht stellen würden.

Vor einem Jahr haben Sie bundesweit Empörung ausgelöst, als Sie Zweifel an der Verhältnismäßigkeit des Polizeieinsatzes in der Silvesternacht in Köln äußerten. War das Ihr größter Fehler?

Das Problem war damals, dass von meinen differenzierten Aussagen in den Überschriften nur eine Pauschalkritik an der Polizei übrig blieb. Dabei hatte ich die so nicht formuliert, sondern die Polizei für ihren Einsatz auch explizit gelobt. Aber für Differenzierung war in dieser aufgeheizten Stimmung damals offenbar kein Platz.

Also doch kein Fehler?

Meine Äußerungen haben ungewollt dazu geführt, dass die Debatte in die falsche Richtung lief. Dafür habe ich mich entschuldigt. Auch für den Zeitpunkt, wenige Monate vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen. Mich hat es damals schon getroffen, dass an meiner Integrität gezweifelt wurde.

Was haben Sie daraus gelernt?

Wir müssen Hass und Hetze in den sozialen Medien zurückdrängen. Und es muss weiter möglich sein, Polizeieinsätze zu hinterfragen, gerade auch nach dem G-20-Gipfel in Hamburg. Denn Sicherheit und Bürgerrechte schließen sich für mich nicht aus. Aber es ist auch klar, dass die Polizei für den Schutz des öffentlichen Raums gegenüber der anlasslosen Überwachung aller Bürger eindeutig vorzuziehen und dafür zu stärken ist.

Auch aus der eigenen Partei ist Ihnen damals kaum jemand beigesprungen.

Das stimmt nicht, ich habe auch Zuspruch erhalten. Und es hat gut getan, dass es ja auch durchaus differenzierte Kommentare und Diskussionen darüber gab.

Wenn Sie sich selbstkritisch fragen, was Sie in den vergangenen Jahren erreicht haben – wie fällt die ungeschönte Antwort aus?

Es war eine große Herausforderung, nach der Verunsicherung im Wahljahr 2013 das grüne Selbstbewusstsein und den Markenkern ökologisch, gerecht, weltoffen zu stärken. Ich glaube, das ist uns ganz gut gelungen.

Simone Peter ist seit Oktober 2013 Vorsitzende der Grünen. Anders als ihr Ko-Chef Cem Özdemir will die 52-Jährige auf dem Parteitag Ende Januar noch einmal antreten.

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