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Galileo ist das Stichwort, wenn über Satellitenprojekte der EU geredet wird. Dass es auch ein Hiros-Projekt gibt, verraten Veröffentlichungen von Wikileaks.

© picture alliance / dpa

Späh-Affäre: Deutsche Geheimdienste liefern selbst Daten

Die deutschen Geheimdienste nutzen wohl nicht nur US-Software, sondern liefern selbst Daten – Satellitenforschung inklusive. Dem Kanzleramt kann das schwerlich verborgen geblieben sein. Dennoch bemühen sich die Verantwortlichen um Vertuschung.

Die Bundesregierung erklärt, sie habe von den US-Spähprogrammen aus den Medien erfahren. Doch das ist nicht plausibel. Schon seit den 1970er Jahren existiert das flächendeckende Abhörsystem Echelon, das unter anderem im bayerischen Bad Aibling betrieben und nun von Prism und Tempora ergänzt wurde. NSA und BND arbeiteten Tür an Tür. Es gab sogar eine gemeinsame Ortsbegehung, wie ein Bundestagsdokument belegt.

Die Verbindungen sind keine Neuigkeit. Im Jahr 2011 veröffentlichte die Enthüllungsplattform Wikileaks eine diplomatische Depesche der US-Botschaft über das Satellitensystem „Hiros“ (High Resolution Optical Satellite System), das damals im Wust der Dokumente unterging und heute in einem ganz anderen Licht erscheint: Die Bundesrepublik plante mit den USA 2014 einen Satelliten ins All zu schießen, der Objekte von 50 Zentimetern Größe erkennen konnte. Das Satellitensystem, das vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) entwickelt wurde, hätte auch zu Spionagezwecken genutzt werden können. Eine Präsentation des Instituts für Photogrammetrie (IfP) an der Universität Stuttgart belegt die Präzision der Kameratechnik. Gestochen scharfe Fotos von Militärstützpunkten, 3-D-Aufnahmen von Städten, Zielerkennung. „Jedes Gebiet auf der Erde kann binnen 24 Stunden von einem der Satelliten gescannt werden“, heißt es in der Analyse. Der BND setzte zu lange auf veraltete Geräte – und wollte offenbar nachrüsten. DLR-Sprecher Andreas Schütze sagt, es handele sich um ein System für „hochaufgelöste optische Daten für staatliche Nutzungsbereiche“.

Meint „staatliche Nutzungsbereiche“ Spionage? Offiziell sollte der Satellit zur Prävention von Naturkatastrophen eingesetzt werden. Es gab allerdings keine rechtliche Zweckbindung der Aufnahmen. Die Bundestagsfraktion der Linken kam in einer Kleinen Anfrage zu der Einschätzung: „Die Affäre kann indes nur so interpretiert werden, dass die Bundesregierung über den Bundesnachrichtendienst von der EU und insbesondere in Konkurrenz zu Frankreich unabhängige Spionagesatelliten anschaffen möchte, die das bereits vorhandene deutsche radargestützte System ergänzen.“ Die Bundesregierung wies die Vorwürfe zurück und bestritt jede Beteiligung an dem Vorhaben. In der Antwort vom 28.3.2011 heißt es: „Die Bundesregierung hat nie ein eigenes HiROS-Satellitenaufklärungs-Projekt bzw. Beteiligung an einem solchen Projekt verfolgt und infolgedessen auch keine Gespräche bzw. Verhandlungen zu HiROS geführt.“ Und: „Der Bundesnachrichtendienst führte keine Verhandlungen mit US-Stellen bzw. US-Firmen.“

In dem Botschafterschreiben, das Wikileaks enthüllte, stellt sich der Sachverhalt ganz anders dar. Die Depesche dokumentiert: „BND-Beamte werden Kanzlerin Merkel am 8. und 9. Februar unterrichten und dann am 10./11. (2011) nach Washington reisen, um die NSA und NGA zu besuchen.“ Der Draht der NSA und NGA – die NGA ist eine Art Weltraumgeheimdienst – reichte bis ins Kanzleramt. Der BND lobbyierte direkt bei Angela Merkel für das Satellitensystem Hiros. Joachim Karl Trenker, zu dieser Zeit beim BND zuständig für Geografische Information, setzte den Geheimdienstableger NGA in Kenntnis, dass er am 9. Februar einen Termin im Kanzleramt habe.

Projekt für Satelliten wurden zu teuer - doch eingestellt ist es nicht

Dort sollte er um finanzielle Unterstützung für das Projekt werben. Oberst Trenker war einst von der Luftwaffe zum BND abgeordnet worden. Der BND-Beamte P. Carril wurde dem Schreiben zufolge von Generalmajor Armin Hassenpusch begleitet, der seit Ende 2004 Stabsabteilungsleiter Militärisches Nachrichtenwesen und Geoinformationswesen im Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) war. Trenker sollte den Hauptverhandlungspart übernehmen. Mit der Zustimmung der Kanzlerin, so die Annahme, würde Hiros höchstwahrscheinlich die notwendige „Autorität zur Abwicklung und Fabrikation haben“. Es ging nur noch um die Kosten. „Hiros hat Merkels Ohr, aber auch ihren Geldbeutel?“, lautet eine Zwischenüberschrift in der Depesche. Trenker soll Merkel um 300 Millionen Euro gebeten haben. Die Kanzlerin hätte zwischen 100 und 200 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, wird ein Mitarbeiter zitiert. Offensichtlich war sie bereit, Steuerzahlergeld für Spionagezwecke zu verwenden.

Um die politische Brisanz herunterzuspielen, sollte das Projekt über eine zivile Agentur laufen, die dem Bundeswirtschaftsministerium unterstanden hätte. „Hiros“ hätte den Wikileaks-Unterlagen zufolge offiziell als „commercial entity“, als privatrechtliche Wirtschaftseinheit firmieren und vom BND koordiniert werden sollen. 2011 wurde das Satellitensystem aus Kostengründen eingestellt.

Doch ganz vom Tisch war das Projekt nicht. DLR-Sprecher Andreas Schütz sagte 2011 dem „Spiegel“: „Die optischen Hiros-Satelliten wären eine ideale Ergänzung für unsere Radarkapazitäten, deshalb suchen wir weiter nach Möglichkeiten, das Projekt zu realisieren.“ Es muss also weiterhin an einem Satelliten geforscht worden sein. Beim Amtsgericht München ist noch immer eine „HIROS Beteiligungs GmbH“, HRB 104023 gemeldet. Der Sitz der Gesellschaft ist Pullach. Also genau dort, wo der BND jahrelang sein Quartier hatte.

Die Frage ist: Welcher Zusammenhang besteht zwischen der „HIROS Beteiligungs GmbH“ und dem BND? Mehr als eine Adresse taucht im Handelsregister nicht auf. Laut Angaben des Bundesanzeiger Verlags erbringt die obskure Gesellschaft „freiberufliche, wissenschaftliche und technische Dienstleistungen“.

Geoint, worauf Hiros basiert, ist neben Sigint (Signal Intelligence) ein zentraler Baustein in dem diffusen Gebilde der Geheimdienste. Mit Geoint wurde unter anderem der Aufenthaltsort von bin Laden ermittelt. Geospatial Intelligence stellt ein komplexes System dar, das Informationen aus Bildgewinnung und Kommunikationsverkehr bündelt. Der „New York Times“-Reporter und Pulitzerpreisträger Eric Lipton schreibt: „Geoint beinhaltet hochauflösende Bilder, klassische topografische Karten, Wetterberichte, Berichte von Spionen und Soldaten im Feld sowie Telefonmitschnitte und E-Mails.“

Geoint umfasst weit mehr als das bloße Kartografieren von Objekten aus dem Weltall. Die Gewinnung von Daten ergibt in einer vernetzten Welt nur dann Sinn, wenn man sie kategorisiert und gegenseitig zur Verfügung stellt. Quidproquo – eine Information gegen eine andere – ist ein alter Grundsatz der Nachrichtendienste. Daten als Tauschobjekte. Das Kalkül des BND bestand darin, durch die Abschöpfung „hochwertiger“ Informationen stärker vom US-Geheimdienstnetz zu profitieren. Von „Lücken schließen“ ist in dem Bericht die Rede. Stück für Stück fügt sich ein Bild, das die Nachrichtendienste als kollektiven Verbund erscheinen lässt, der flächendeckend Daten abgreift. So ist zu verstehen, dass der BND nach „Spiegel“-Recherchen auch die NSA-Software „XKeyscore“ einsetzt. Dem Kanzleramt, wo die Fäden zwischen Nachrichtendiensten und Regierung zusammenlaufen, kann das schwerlich verborgen geblieben sein.

Adrian Lobe

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