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Qual der Wahl. Im türkischen Konsulat in Berlin darf über die Einführung des umstrittenen Präsidialsystems in der Türkei abgestimmt werden. Deutsche Behörden warnten aber vor Repressalien.

© AFP

Spionage gegen Türken in Deutschland: „Alle haben Angst“

Morddrohungen, ausgespähte Häuser, eingezogene Pässe: Türken in Berlin sagen, es herrsche ein Klima der Denunziation. Geschürt von Erdogans Anhängern – und Ankaras Spionen.

Vor dem Tor des türkischen Generalkonsulats in der Heerstraße sind Absperrungen aufgebaut, ein einzelner Polizist steht daneben. Wer dieser Tage hierher kommt, will wählen, auf türkischem Hoheitsgebiet mitten in Deutschland ein Stück Zukunft der Türkei mitbestimmen. Doch wer dieser Tage hierher kommt, wird auch beobachtet – vom türkischen Geheimdienst.

Ein Mann mit Schnauzbart und Kordjackett steht auf einem Gehweg vor dem Konsulat. Gerade hat er mit seiner Frau das Gebäude verlassen. Klar könne man mit ihm über das Referendum sprechen, sagt er zunächst. Doch schnell unterbricht ihn seine Frau. Die beiden beraten sich leise, sie redet auf ihn ein. Als sie fertig sind, sagt der Mann, er wolle doch nicht reden. Leise schiebt er hinterher: „Alle haben Angst.“

139000 türkische Wahlberechtigte sollen in Berlin ihre Stimme abgeben

Was erlaubt ist und was man sich gerade noch erlauben darf als türkischer Staatsbürger in Deutschland, ist seit dieser Woche nicht mehr sicher. Wie eine Recherche von SZ, WDR und NDR ergab, spioniert der türkische Geheimdienst MIT im großen Stil Anhänger der Gülen-Bewegung in Deutschland aus. Bereits im Februar soll eine Liste mit Hunderten Namen, Adressen, Telefonnummern und Fotos von angeblichen Gülen-Unterstützern an den Präsidenten des Bundesnachrichtendiensts, Bruno Kahl, übergeben worden sein. Doch statt dem türkischen Dienst zu helfen, gab er das Dossier an die Bundesregierung, den Verfassungsschutz, das Bundeskriminalamt sowie die Polizeibehörden der Länder weiter. Aus Sorge um die Sicherheit der Betroffenen seien bereits einige gewarnt worden. Sie sollten sich überlegen, ob sie in die Türkei reisen oder auch nur türkische diplomatische Einrichtungen in Deutschland betreten wollten – etwa um dort über das Referendum abzustimmen.

Im Hof des Konsulats stehen weiße Container als Wahlkabinen. In diesen sollen in den nächsten zwei Wochen 139 000 türkische Wahlberechtigte aus Berlin, Brandenburg, Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern ihre Stimme abgeben. Rechts anstellen, Personenkontrolle, in einem der Container „Hayir“ (Nein) oder „Evet“ (Ja) ankreuzen, dann links wieder raus.

Türken stehen vor dem Eingang zum Wahllokal im Hof des türkischen Generalkonsulats in Berlin an einer Sicherheitskontrolle. Die Verfassungsreform würde dem Staatsoberhaupt in der Türkei deutlich mehr Macht verleihen.
Türken stehen vor dem Eingang zum Wahllokal im Hof des türkischen Generalkonsulats in Berlin an einer Sicherheitskontrolle. Die Verfassungsreform würde dem Staatsoberhaupt in der Türkei deutlich mehr Macht verleihen.

© dpa

Die meisten hier sind vorsichtig, wer überhaupt mit der Presse spricht, will seinen Namen nicht in der Zeitung lesen. Timur Celik ist eine der Ausnahmen. Seine Meinung kenne sowieso jeder. Der 56-jährige Kurde lebt seit 1993 als Künstler in Berlin, in der Türkei war er schon seit drei Jahren nicht mehr. „Ich geh da erst wieder hin, wenn die Türkei eine Demokratie ist – also nie“, sagt er nur halb im Scherz und lacht trotzdem. Er hat mit Nein gestimmt, gegen den Plan von Recep Tayyip Erdogan, sich mit Vollmachten auszustatten, die das demokratische System der Türkei in eine Diktatur verwandeln könnten.

Kurden sind dem türkischen Machthaber so verhasst wie Gülen-Anhänger. Dass der Geheimdienst nun auch in Deutschland versucht, die Menschen einzuschüchtern, überrasche Celik daher nicht.

Erdogan bezeichnet alle, die nicht für ihn sind, als Terroristen. Spätestens hier in Deutschland offenbart sich nun: der Terrorist ist Erdogan. Es wird Zeit, ihm entsprechend zu begegnen.

schreibt NutzerIn Gophi

Ein Mann will ihn als Spitzel anwerben

Wer sich bei türkischstämmigen Berlinern umhört, trifft auch auf solche, die schon direkten Kontakt mit dem Geheimdienst gemacht haben. Einer von ihnen – er möchte in der Zeitung nur als „Akademiker“ benannt werden – berichtet: „Ich hatte einen Termin im Konsulat, da bat mich ein Mitarbeiter zu einem Gespräch.“ Der Mann habe ihn in einen Raum geführt und das Radio angestellt. „Dann sagte er, er sei nicht Diplomat, er würde Ausschau halten.“ Schnell sei ihm klar gewesen, was gemeint war. Er sollte als Spitzel angeworben werden. „Ich habe das abgelehnt und mich beschwert“, sagt er.

Obwohl er wissentlich nie wieder mit einem MIT-Agenten zu tun hatte, könne er bis heute nicht in Frieden leben. „Wir haben hier eine Atmosphäre der Denunziation“, sagt er. „In der türkischen Community gehen E-Mails rum, ich sei Gülen-Anhänger und PKK-Unterstützer.“ Die auch von Deutschland als Terrororganisation eingestufte kurdische PKK ist der zweite Hauptfeind des Erdogan-Regimes. Wer die Mails verbreitet, weiß der Akademiker nicht. Die Absender nutzen vermutlich Aliasnamen. Wenn ihm jemand schaden wolle, sagt der Mann, sei es erfolgversprechend, ihn mit einer der beiden Gruppen in Verbindung zu bringen. Das denunziatorische Klima in Teilen der türkischstämmigen Bevölkerung erinnere ihn an Geschichten aus der deutschen Vergangenheit.

1,4 Millionen Wahlberechtigte Türken leben in Deutschland.
1,4 Millionen Wahlberechtigte Türken leben in Deutschland.

© imago/localpic

Der innertürkische Konflikt bestimmt längst auch die Agenda deutscher Bundespolitik. Innenminister Thomas de Maizière, CDU, warnte die Türkei: „Spionageaktivitäten auf deutschem Boden sind strafbar und werden von uns nicht geduldet.“ Die Bundesanwaltschaft hat schon Ermittlungen aufgenommen – offiziell gegen Unbekannt. Die Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht nannte Erdogan sogar einen „Terroristen“, warf ihm eine Außenpolitik wie in Nazi-Deutschland vor. Während deutsche Politiker vollmundig Erdogan verdammen können, sind türkischstämmige Parlamentarier bedroht – und entsprechend vorsichtig.

Einer von ihnen ist nur anonym bereit zu erzählen, wie es ist, ins Visier des Geheimdienstes zu geraten. Vor zwei Jahren sei das Haus, in dem er lebt, ausgespäht worden. Als er nicht da war. „Nachbarn haben mir von einem VW-Bus mit verdunkelten Scheiben erzählt“, sagt der Politiker. „Da sind Leute ausgestiegen und haben das Haus gefilmt.“ Er vermutet, „das könnte der MIT gewesen sein. Ein Fernsehteam war es jedenfalls nicht.“ Ob er auf der Liste steht, die der MIT dem Bundesnachrichtendienst übergeben hat, weiß er nicht. Er habe von den deutschen Sicherheitsbehörden nichts gehört.

"Bekannte fragen, ob ich es darauf anlege, erschossen zu werden"

Der Druck mache ihm zu schaffen. „Ich verdränge“, sagt er. Und er meidet Orte, die ihm gefährlich erscheinen. „Ich gehe nicht in die Nähe des türkischen Konsulats, nicht in die Nähe einer türkischen Moschee beim Freitagsgebet, und ich gehe nicht mehr nach Neukölln.“ Der Stadtteil ist für ihn gefährlich geworden, denn hier dominieren die nationalistischen Türken. Nach Kreuzberg traue er sich noch, „da ist die türkische Szene gemischt“.

Drohungen hat er erhalten, Beschimpfungen, viel zu viele mittlerweile. Bekannte hätten ihn schon gefragt, „ob ich es darauf anlege, erschossen zu werden“.

Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Özcan Mutlu kann viele dieser Ängste nachvollziehen. Er ist in der Türkei geboren, lebt heute in Kreuzberg und unterstützt die „Nein“-Kampagne zur Verfassungsänderung. „Die Spionage hat in ihrer Massivität und in ihrem Ausmaß eine neue Qualität erreicht", sagt er am Telefon. Der 49-Jährige fürchtet, dass Erdogan das Klima der Angst, das er geschaffen hat, jetzt nützen könnte: Wenn nämlich seine Gegner auch in Deutschland zu eingeschüchtert seien, um zur Wahl zu gehen. Auch er fürchtet, dass vermeintliche oder tatsächliche Gülenisten im Konsulat den Pass abgenommen oder nicht verlängert bekommen. „Wenn das passiert, dann müssen diese Leute von deutschen Behörden Ersatzpapiere erhalten“, fordert er. Heikel werde es aber vor allem außerhalb Deutschlands: Bei Türkei-Reisen könnte Gülen-Anhängern noch Schlimmeres drohen – „bis hin zur Festnahme“.

"Wir vertrauen auf den deutschen Staat"

Eine Reise in die Türkei hatte Ercan Karakoyun ohnehin nicht vor. Er ist in Deutschland der führende Repräsentant der Gülen-Anhänger. Sie selbst nennen sich Hizmet-Bewegung. Seit 2013 leitet er von Berlin aus die zur Bewegung gehörende „Stiftung für Dialog und Bildung“. „Ich habe bisher etwa 15 Morddrohungen bekommen“, sagt er. Einige Täter seien dafür zu Geldstrafen verurteilt worden. Aber Hetze und Denunziation nehmen kein Ende. „Es ist unser täglich Brot: Ich werde beschimpft als Volksverräter, als Feind der Türkei und als Terrorist.“ Karakoyun holt kaum Luft, „Leute schreiben uns: Wir haben dich fotografiert und den türkischen Behörden gemeldet. Oder sie sagen: Wir haben einen Screenshot von deinem Facebook-Auftritt gemacht und gemeldet.“ Lesungen aus seinem Buch, sagt Karakoyun, „kann ich nur noch mit Polizeischutz abhalten“.

Der Hass, den nicht nur Karakoyun, sondern die ganze Gülen-Bewegung abbekommt, hat offenbar viele Anhänger eingeschüchtert. „Früher waren wir in Deutschland 100 000 Leute, jetzt sind es wegen der Repression noch 70 000 bis 80 000.“ Vielen seiner Leute sei in türkischen Konsulaten der Pass entzogen worden, immer wieder würden Gülen-Anhänger aus Moscheen geworfen. Und immer wieder gebe es auch körperliche Angriffe von Anhängern der türkischen Regierungspartei AKP und von Grauen Wölfen. Letztere sind türkische Rechtsextremisten, sie stehen heute dem einst von ihnen ungeliebten Erdogan nahe. Die Attacken, sagt Karakoyun, würden oft der Polizei nicht gemeldet. Die Gülen-Leute haben Angst vor möglichen Folgen.

Karakoyun selbst ist „ein bisschen unglücklich“, dass ihm bislang weder die Polizei noch sonst eine Sicherheitsbehörde gesagt habe, ob er und weitere Anhänger der Gülen-Bewegung auf der Liste stehen. „Ich möchte schon wissen: Gab es Agenten des MIT, die Menschen verfolgt haben, mit Fotoapparaten, mit Kameras?“ Und: „Wir erwarten von Deutschland deutliche Worte, dass einfach nicht zugelassen wird, dass ein fremder Geheimdienst Leute ausspioniert.“ Die Anhänger der Hizmet-Bewegung, sagt Karakoyun „vertrauen auf den deutschen Staat“.

Mehrere Tausend Deutschtürken gingen in der Vergangenheit auch in Deutschland, etwa in Köln, für Erdogan auf die Straße.
Mehrere Tausend Deutschtürken gingen in der Vergangenheit auch in Deutschland, etwa in Köln, für Erdogan auf die Straße.

© dpa

Vor dem Konsulat steht noch immer der kurdische Künstler Timur Celik. Seit er seine Stimme abgegeben hat, beobachtet er das Treiben im Wahllokal von außen. Als Verräter sei auch er schon beschimpft worden, weil er gegen Erdogans Pläne stimmte. Er lacht trotzig: „Dann bin ich gerne ein Verräter.“

Diejenigen, die mit Ja gestimmt haben, trauen der deutschen Presse nicht recht, kaum jemand will berichten, warum er für Erdogans Reformen ist. Und so sind es an diesem Morgen nur die schrillsten, die Extremsten, die sich zu Wort melden. Ali Ergün und Özbek Ömer zum Beispiel. Beide haben die doppelte Staatsbürgerschaft, beide sind vor 34 Jahren in Berlin geboren worden – und beide haben „Evet“ angekreuzt. Es gehe doch nur um die Änderung von 18 Gesetzen, sagt Ömer, mit Diktatur habe das nichts zu tun. Die Liste des türkischen Geheimdienstes findet er gut. „Wenn die Mitglieder der Gülen-Bewegung sind, passt das schon“, sagt er.

Die Bewegung – davon sind beide überzeugt – sei eine terroristische Gruppierung. Und dass der BND dafür keine Beweise finde, sei einfach zu erklären: Deutschland hat den Putschversuch im Jahr 2016 unterstützt, stecke mit denen unter einer Decke, die die Türkei kleinhalten wollen. Wer das sei, wissen sie auch: Der Westen, die Amerikaner, die Rothschild-Familie – und der deutsche Journalist Deniz Yücel, der in der Türkei in Haft sitzt. In Wirklichkeit sei er nämlich ein deutscher Spion. Schon seit dem Ende des osmanischen Reichs gehe das so, sagt Ergün. Kemal Atatürk sei nur ein „Hund des Westens“ gewesen. Unter Erdogan, hoffen sie, wird alles anders.

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