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Spionage-Skandal NSA: "Edward Snowden hat ein offenes Geheimnis verraten"

Das Europaparlament wies den USA schon 2001 globale Spionage nach. Gerhard Schmid, SPD-Politiker und "Echelon"-Berichterstatter sagt: Edward Snowden hat nur verraten, was man seit damals wissen konnte.

Bundeskanzlerin Angela Merkel sagt, sie habe vom amerikanischen Spähprogramm Prism erst aus der Zeitung erfahren. Kritiker werfen ihr und anderen Politikern Heuchelei vor. Würden Sie zustimmen?

Das kann man schon so formulieren. Natürlich weiß die Regierung und die Opposition – die in großen Teilen ja auch mal in der Regierung war –, dass Nachrichtendienste den internationalen Fernmeldeverkehr seit Jahren abgreifen. Wir wissen das seit dem Jahr 2001, seitdem das Europäische Parlament seine Echelon-Untersuchungen veröffentlicht hat. Damals haben wir erstmals zweifelsfrei nachgewiesen, dass es ein globales Abhörsystem unter der Federführung der USA gibt, das Daten nach dem „Staubsauger“-Prinzip abfängt.

Gerhard Schmid saß bis 2004 für die SPD im Europa-Parlament. Er war Berichterstatter im Echelon-Untersuchungsausschuss.
Gerhard Schmid saß bis 2004 für die SPD im Europa-Parlament. Er war Berichterstatter im Echelon-Untersuchungsausschuss.

© promo

Unsere Indizienkette war lückenlos, da half auch kein Leugnen, sie hätte vor jedem Schwurgericht Bestand gehabt. Die deutsche Regierung sollte deshalb jetzt sagen, was Sache ist: Wenn unsere Kommunikation auf dem internationalen Highway unterwegs ist, können wir die Deutschen mit dem deutschen Grundgesetz nicht schützen. Zu dieser einfachen und den Tatsachen entsprechenden Aussage ist in Berlin aber momentan keiner bereit.

Was ist die neue Qualität von Prism gegenüber Echelon?

Die neue Qualität besteht nicht im Angriff auf die Privatsphäre – der war schon damals gegeben –, sondern im technischen Niveau. Der amerikanische Geheimdienst NSA hat heute direkten Zugriff auf die Server der Provider in den USA. Die Datenpakete von E-Mails zum Beispiel laufen oft über verschiedene Glasfaserkabel und werden erst beim Provider wieder zusammengesetzt.

Dort können sie als Ganzes abgeschöpft werden. Früher konnten die Dienste nur Kabel anzapfen und würden heute bei den Unmengen an Glasfaserkabeln den Überblick verlieren. Außerdem können die Dienste heute zahllose Personen nicht nur in Echtzeit überwachen, sondern das auch mit einer nachgelagerten Suchmaschine kombinieren. Alles wird automatisch gefiltert und durchsucht, so können sehr viel mehr Menschen mit einer sehr viel geringeren Anzahl an Auswertern überwacht werden. Früher musste da – bildlich gesprochen – überall jemand mit Kopfhörern sitzen und zuhören.

Welche Rolle spielen soziale Netzwerke bei der Überwachung?

Sie sind bestens geeignet, um Profile zu erstellen. Wer Daten bei Facebook abgreift, hat auch gleichzeitig Zugriff auf die Netzwerke von „Freunden“. Das heißt, die NSA bekommt auch gleich noch die Informationen über die Umgebung mitgeliefert. Das System ist also noch mächtiger als 2001 – doch von der Herangehensweise und im Angriff auf die Privatsphäre dasselbe.

"Edward Snowden ist kein Fall für politisches Asyl"

Haben die Menschen die Echelon-Affäre verdrängt?

Ganz offensichtlich. Es gab unmittelbar danach schon eine große Aufregung über die Frage, in welchem Ausmaß die USA Wirtschaftsspionage betreiben. Aber dann? Wenn sie nicht verdrängt hätten, würden die Menschen sich jetzt nicht riesig über etwas aufregen, was wir bereits seit 2001 wissen. Ich war damals unheimlich wütend, heute überrascht mich das wenig.

Die Echelon-Affäre haben Journalisten mit anonymen Tippgebern aufgedeckt. Diesmal ist der ehemalige Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden offensiv an die Öffentlichkeit gegangen. Hätte Deutschland ihm daraufhin Asyl gewähren sollen?

Nein. Obwohl ich Sympathien für diesen Mann empfinde, er ist kein Asylfall. Er hat amerikanische Gesetze gebrochen, und die USA wollen ihn dafür vor Gericht stellen. Das ist absolut normal und keine politische Verfolgung. Snowden hat zudem noch ein zweites Problem: Er hat nichts aufgedeckt, was nach amerikanischem Recht illegal ist. Das war beim „Watergate“-Skandal und auch beim Wikileaks-Video, in dem Soldaten auf Menschen schießen, anders. Diese Dinge verstießen gegen amerikanisches Recht. Snowdens Tat war verdienstvoll, doch er ist ein erhebliches Risiko eingegangen und nimmt immense Einschränkungen auf sich, um ein bereits offenes Geheimnis zu verraten.

Was könnte die deutsche Regierung gegen die Datenschnüffelei tun?

Ich habe lange darüber nachgedacht. In der jetzigen Situation kann sie natürlich protestieren, aber das interessiert die USA als souveräner Staat nur wenig. Bisherige Datenschutzverordnungen machen sämtlich eine Ausnahme bei Fragen der nationalen Sicherheit – auch Deutschland war für eine solche Ausnahme. Man müsste nun ein internationales Abkommen schaffen, das dieses Schlupfloch nicht mehr lässt. Dann dürfte zum Beispiel Facebook nicht mehr einfach so Daten weitergeben. Es ist aber sehr schwer, ein solches Abkommen auch justiziabel zu gestalten. Jedes Land weltweit müsste die höheren Datenschutzstandards dann in nationale Gesetzgebung gießen und so den eigenen Geheimdienst binden. So etwas wird lange dauern, aber es ist der einzige realistische Weg.

Und bis dahin?

Solange es keine Weltverfassung gibt, die die Privatsphäre global schützt, muss man sich selbst schützen. Es ist wie im Wilden Westen, in dem der Sheriff fehlt. Ich sehe deshalb momentan auch keine andere Möglichkeit, als selbst darauf zu achten, wie man im Netz kommuniziert und was man von sich preisgibt. Einfach darauf zu vertrauen, dass unser deutsches Grundgesetz weltweit gilt, das ist zu einfach.

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