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Im Dunkel der Steuerfahndung. Die Bank Julius Bär.

© dpa

Steuerdaten-Dealer: "200 Griechen hatten soviel Geld wie 2700 Deutsche auf der Schweizer Bank"

Lutz Otte hat die Daten von Steuersündern an den deutschen Fiskus geliefert und musste in der Schweiz ins Gefängnis. Wie lief das Geschäft im Zwielicht mit den deutschen Finanzbeamten ab? Ein Gespräch über Gier, Moral und eine Tasche voller Bargeld.

Herr Otte, wie kommt man darauf, Steuersünder an den deutschen Fiskus auszuliefern?

In meinem Fall fing das auf dem Golfplatz an. Ich spiele seit vielen Jahren mit einigen Freunden Golf, wir treffen uns bei Turnieren in Deutschland und der Schweiz. Da war auch ein pensionierter Steuerfahnder aus Berlin dabei.

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Sie lebten in der Schweiz.

Ja. Ich habe damals bei der Großbank UBS in der IT-Abteilung gearbeitet. Und dann hat mich der besagte Steuerfahnder angesprochen, ob ich nicht an Daten käme.

Wann war das?

2007.

Was haben Sie geantwortet?

Ich habe gesagt: "Das kannst du vergessen." Die UBS ist eine der größten Banken der Welt und technologisch auf dem höchsten Stand. Da ist alles abgeschirmt. Dann hat die UBS im Zuge der Finanzkrise sehr viele Leute entlassen, unter anderem mich. Ich bin dann bei der Bank Julius Bär gelandet. Und da merkte ich schnell, dass die sehr alte Programme und Probleme mit der Datensicherheit hatten. Das habe ich im Gespräch mit Führungskräften der Bank sogar erwähnt, aber die haben das ignoriert. Dann hatten wir 2011 das nächste Golfturnier in der Schweiz, und da war der Steuerfahnder wieder dabei. Er fragte mich: Sag mal, jetzt bist du doch bei Julius Bär, wie sieht es denn da aus?

Was war Ihre Reaktion?

Ich habe gesagt: Theoretisch gäbe es schon eine Chance, aber wie läuft das denn ab? Dann hat er mir das erklärt – und mir schien es nicht unspannend.

War damals schon von Geld die Rede?

Da war sofort von Geld die Rede.

Hat er zuerst eine Zahl genannt oder Sie?

Er hat gesagt, die genaue Zahl müsste man abklären, aber im Schnitt würden pro relevanter Adresse 10.000 bis 12.000 Euro bezahlt. Dann habe ich im Kopf nachgerechnet und kam auf eine schöne Summe.

Auf welche Summe kamen Sie?

Ich wusste damals ja noch nicht, an wie viele Daten man rankommt. Aber ich dachte mir, dass drei bis vier Millionen Euro schon drin sein würden. Und davon kann man prima die nächsten 20 Jahre leben, dachte ich.

Und Ihr Kontaktmann, wollte der einen Anteil?

Der sagte: Wenn ich das vermitteln soll, dann will ich aber auch was haben.

Wie fanden Sie das?

Ich komme aus der Marktwirtschaft, für mich ist das normal. Fädelst du einen Deal ein, bekommst du eine Provision.

Also war das Ganze für Sie vor allem ein Geschäft?

Ich habe es nie anders gesehen. Es war ein riskantes Geschäft, der Preis war ausgehandelt. Es ist dann nicht so ideal gelaufen ...

... Sie saßen im Gefängnis ...

... aber das hat an der Sache nichts geändert. Deswegen sehe ich mich jetzt nicht unbedingt als Whistleblower.

Wie ging die Geschichte weiter?

Meine Geschäftspartner wollten sich zunächst von der Qualität des Materials überzeugen. Sie wollten wissen, ob die Adressen noch aktuell sind, ob es um relevante Summen geht. Also habe ich geliefert. 20 Datensätze: Namen, Kontonummern, Datum der Kontoeröffnung, Saldo, Adresse des Kunden.

Deutsche Namen?

Namen aus ganz Deutschland. Es hat vier Wochen gedauert, dann hat sich der Steuerfahnder wieder gemeldet. Er war ganz angetan. Dann kam der nächste Test. Man schickte mir 100 Kontonummern, und ich sollte die Anfangsbuchstaben des Kontoinhabers herausfinden. Auch das habe ich getan. Weitere drei Wochen später hieß es: Alles korrekt, alles sauber, wir wollen die kompletten Daten haben. Und dann ging es los.

Zu diesem Zeitpunkt war noch kein Geld geflossen?

Nein. Das war Teil der Verhandlungen.

Der Kontakt lief immer über Ihren Mann in Berlin?

Immer. Für meinen Fall war die Oberfinanzdirektion in Münster zuständig. Ich habe selber nie Kontakt zu dieser Behörde gehabt, wir haben nicht ein einziges Wort gewechselt.

Wie haben Sie kommuniziert?

Per Telefon.

Mussten Sie nicht fürchten, abgehört zu werden?

Nein. Sie können für fünf Euro ein Handy kaufen, das freigeschaltet und auf irgendjemand angemeldet ist. Das habe ich gemacht. Ich bin zu diesen Gesprächen über die Grenze gefahren und habe im deutschen Telefonnetz telefoniert.

Wie viele Adressen haben Sie geliefert?

Ich hatte insgesamt etwa 18.000 deutsche Adressen. Im Gespräch stellte sich heraus, dass man an einem Großteil dieser Namen gar nicht interessiert war. Man hat gesagt: Alles, was unter 100.000 Euro ist, macht uns viel zu viel Arbeit, das wollen wir gar nicht verfolgen. Und damit fielen die meisten Adressen unter den Tisch.

Wie viele blieben übrig?

Insgesamt etwa 2.700.

Mit relevanten Beträgen?

Mit sehr relevanten Beträgen. Insgesamt fast zweieinhalb Milliarden Euro.

Und dann?

Dann ging es zu wie auf dem Basar.

Wer hat diesmal die erste Zahl genannt?

Ich habe gesagt: Machen wir drei Millionen.

Und wie war die Reaktion der Behörde?

Sie haben gesagt: 800.000. Und am Schluss haben wir uns auf 1,1 Millionen geeinigt.

Das ist aber nicht die Mitte.

Nein. Das Problem war natürlich: Ich hatte die Daten schon entwendet. Ich stand also praktisch mit einem Bein im Gefängnis. Deshalb war meine Verhandlungsposition nicht so ideal.

Wie haben Sie die Daten entwendet?

Ich habe sie aus einem der Großrechner gezogen, an denen ich arbeitete. Man konnte sie sich einfach auf den PC holen und in handelsübliche Tabellendateien übertragen. Die habe ich dann in viele kleine Einzelteile zerlegt und daraus Bilddateien gemacht – zur Tarnung. Diese Dateien habe ich an meine private E-Mail-Adresse verschickt.

Das ist nicht aufgefallen?

Nein, ich habe ja dauernd Mails mit privaten Fotos hin- und hergeschickt.

Wie viele Mails waren das?

Acht oder neun. Und da waren ja nicht nur die Daten von diesen 2.700 Deutschen drin, sondern eben auch von 1.700 Briten, etwa 2.000 Franzosen, etwa 2.500 Italienern, 700 Niederländern, 200 Griechen, ein paar Hundert Österreichern und auch ein paar Hundert Spaniern.

Haben Sie die mitgeliefert?

Nein. Deutsche Behörden interessieren sich nur für die Deutschen.

Hatten Sie die Hoffnung, dann eben auch entsprechende Deals mit anderen Ländern auch machen zu können?

Na ja, das war die Idee. Ich dachte, wenn die Deutschen schon ein bisschen zu wenig zahlen, dann muss sich die Sache wenigstens woanders noch ein bisschen lohnen. Und interessant war natürlich auch, die Daten ein wenig anzuschauen. Zum Beispiel hatten die 200 Griechen zusammen etwa genauso viel Geld auf den Konten wie die 2.700 Deutschen.

Haben Sie die Daten noch?

Das ist eine spannende Frage – die ich nicht beantworte.

Was haben Sie dann mit den Daten gemacht? Auf eine CD gebrannt?

Das denkt man natürlich, weil immer von Steuer-CDs die Rede ist. In meinem Fall gab es aber keine CD, sondern eine ganz simple SIM-Karte. So ein hübsches kleines Plastikteil.

Wie kam diese Karte zum Steuerfahnder?

Per Post. Ich habe die ersten 200 Adressen verschickt, und dann kam schon die erste Zahlung. Ich bin nach Berlin gefahren und habe meine ersten 200.000 Euro Anzahlung abgeholt.

In bar?

Selbstverständlich. Das hatte ich gleich am Anfang gesagt.

Wie haben die Behörden reagiert?

Die haben gesagt, das geht nicht. Das sind ja Beamte. Ich habe gesagt, ich kriege das Geld in bar, oder es gibt keinen Deal. Dann war das auf einmal kein Problem mehr.

Wie lief die Übergabe ab?

Das Finanzamt hat das Geld auf das Konto des Fahnders in Berlin überwiesen, und der hat das Geld dann in bar abgehoben. Er hatte dafür extra ein Konto aufgemacht, und die Bank hatte sich bei der Finanzbehörde rückversichert, ob alles in Ordnung ist. Dann hat er das Geld in eine Tasche gepackt und mir diese Tasche in einem Hotelzimmer am Stadtrand von Berlin übergeben. Seine Provision hat er abgezogen.

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Wie hoch war die?

15 Prozent.

Haben Sie nachgezählt?

Klar, ich vertraue doch da keinem.

Und so lief es dann auch bei der zweiten Rate ab?

Ja. Diesmal haben wir uns in der Nähe des Hauptbahnhofs getroffen. Da ging es dann um die restlichen 900.000 Euro – abzüglich der Steuer, die die Finanzbehörde gleich einbehalten hat. Da war die Tasche schon etwas größer.

Sie mussten das Geld versteuern?

Natürlich.

Und Sie haben auch die Provision des Fahnders aus diesem versteuerten Geld bezahlt?

Ja.

Was haben Sie mit Ihrem Geld dann gemacht?

Ich habe es an einem sicheren Ort verstaut.

Was ist ein sicherer Ort?

Es gibt Orte, die weder von Banken noch von Staatsinstitutionen kontrolliert werden.

Schließfächer?

Schließfächer. Nicht bei Banken oder an Bahnhöfen. Es gibt dafür eigene Firmen. Die machen keine Werbung. Da muss man die richtigen Leute kennen.

Wie lernt man die kennen?

Indem man einfach viele Leute kennt. Ich kannte immer viele Leute. Und ich wusste, dass es solche Firmen gibt.

Und dieses Schließfach war auch in Berlin?

Nein, das war in Göttingen.

Was ist es für ein Gefühl, mit einer Tasche voller Geld nach Göttingen zu fahren?

Wenn man so einen Berg Geld vor sich sieht, fühlt man sich ein wenig wie Dagobert Duck. Vor allem die 50-Euro-Scheine sehen relativ beeindruckend aus. Die sind in einem eingeschweißten Päckchen, und das ist ziemlich groß. Das macht schon was her.

Waren Sie in diesem Augenblick nervös? Sie hatten eine Straftat begangen.

Das war mir natürlich klar. Aber in dem Moment sieht man das dann nicht unbedingt. Es ging jetzt vor allem darum, einigermaßen organisiert aus der Schweiz zu verschwinden und dabei nicht erwischt zu werden.

Haben Sie sich jemals die Frage gestellt, ob Sie das Richtige tun?

Es gab kein Richtig oder Falsch. Das war für mich nicht die relevante Betrachtung. Für mich war das ein Geschäft. So wie ich früher schon viele andere Geschäfte gemacht habe. Das Risiko dabei bin ich durchaus bewusst eingegangen.

Dann sind Sie also mit ein paar Euro wieder in die Schweiz gefahren.

Ja, ich bin mit 150.000 Euro in der Tasche zurückgekehrt.

Und haben erst mal weitergearbeitet?

Ich habe ganz normal weitergearbeitet.

Aber warum?

Na ja, das Problem war: Wie erkläre ich einer Ehefrau, dass auf einmal so viel Geld da ist?

Ihre Frau war nicht eingeweiht?

Überhaupt nicht. Ich wollte sie raushalten. Ich habe ihr dann gesagt, ich hätte nächtelang im Internet gezockt und das Geld gewonnen. Wir wollten zurück nach Deutschland, aber ich habe das nicht entschlossen genug vorangetrieben. Ich bin also jeden Tag zur Arbeit gegangen, und dann ist es passiert.

Dann klingelte es an Ihrer Tür, und Sie wurden festgenommen?

Nein, das passierte in der Bank. Gar nicht lange nachdem ich die Daten verkauft hatte. Die Steuerfahnder in Deutschland hatten meine Informationen sehr schnell genutzt und ihre Razzien durchgeführt. Und die Betroffenen haben sich natürlich bei Julius Bär beschwert. Sie hatten ja darauf gesetzt, dass sie nicht entdeckt würden. Die Bank hat dann nicht lange gebraucht, um darauf zu kommen, dass ich die Daten geliefert haben musste. Ich bin also ins Chefbüro geholt worden, und da standen sechs Mann mit Handschellen. Das volle Programm.

Wie hat man Sie abgeführt?

Ganz diskret durch den Hinterausgang. Dann ging es zu mir nach Hause. Sie wollten das Backup der Daten haben. Aber sie haben es nicht gefunden.

Wo war es versteckt?

In der Schublade eines Kleiderschranks. Mit Tesafilm darunter festgeklebt.

Das ist aber ein langweiliges Versteck.

Extrem langweilig. Die haben wie die Irren nach CDs gesucht. Die haben alle CDs mitgenommen. Aber es war ja eine SIM-Karte.

Dann kamen Sie ins Gefängnis?

Polizeigefängnis Zürich. Zweierzelle. Da saß ich eine Woche. Immer wieder Vernehmungen. Der wichtigste Satz meines Anwalts war: Sie sind Beschuldigter, Sie dürfen lügen. Ein sehr wichtiger Satz. Ich bin kein Zeuge, ich bin Beschuldigter, Zeugen dürfen nicht lügen, aber Beschuldigte dürfen lügen, denen muss man nur beweisen, dass sie gelogen haben.

Und, haben Sie gelogen?

Natürlich.

Was wollten die Schweizer Behörden von Ihnen wissen?

Vor allem, wo das Geld ist. Das muss man natürlich irgendwie erklären, sonst geht die Suche ja immer weiter. Und da habe ich dann einfach gesagt, ich hätte davon meine Steuerschulden in Deutschland bezahlt, was überhaupt nicht der Wahrheit entsprach, aber eine wunderbare Erklärung war.

Wusste die Schweiz denn, um wie viel Geld es ging?

Ich habe aus den 15 Prozent Provision sogar 20 Prozent gemacht – um die Summe in die richtige Richtung zu bewegen.

Es gab also Verhöre und Ermittlungen, und irgendwann kam es dann zu einer Gerichtsverhandlung?

Ich war sehr kooperativ und habe denen am Ende auch gesagt, wo die Daten sind. Ich bekam 18 Monate. Die musste ich absitzen.

Sie sagten, das Ganze sei für Sie ein Geschäft gewesen. Haben Sie Verständnis für die Position der Schweiz, die auch ein Geschäftsmodell hat, das Leute wie Sie kaputt machen?

Ja, das verstehe ich. Es ist ja ein sehr erfolgreiches Geschäftsmodell, schon seit vielen Jahren.

Ist es gerechtfertigt, für ein gutes Geschäft die Gesetze eines Landes zu brechen?

Das passiert doch jeden Tag.

Mit dieser Begründung könnte man auch einen Auftragsmord rechtfertigen.

Ich würde das nicht machen. Aber es gibt offensichtlich Menschen, die bereit sind, einen Auftragsmord zu begehen, und es gibt Menschen, die bereit sind, jemanden damit zu beauftragen. So ist das eben. Ich hatte viel mit Bankern zu tun. Ich will nicht abstreiten, dass Moral in ihrem persönlichen Verhalten eine wichtige Kategorie ist, im geschäftlichen aber sicher nicht.

Hat es Ihnen die Sache leichter gemacht, dass Ihre Opfer selbst Gesetze gebrochen haben?

Das schon. An meinen Daten hat der Staat wahrscheinlich ein paar Hundert Millionen Euro an Steuern verdient. Meine Tat wäre ja inhaltlich gar nicht möglich gewesen, wenn jeder sich moralisch korrekt verhalten und brav seine Steuern bezahlt hätte. Deshalb war meine Tat juristisch betrachtet aus deutscher Sicht keine Straftat, wohl aber aus Schweizer Sicht. Für mich war es ein Deal.

Sie hätten es ohne Geld nicht getan?

Nein. Deswegen kann ich mir auch keine Moralorden anhängen.

Gibt es Ihre Golftruppe noch?

Die Truppe gibt es wahrscheinlich noch, aber ohne mich.

Weil die Sie nicht mehr wollen oder Sie die nicht mehr wollen?

Ich habe mich aus diesem Thema komplett verabschiedet.

Wo leben Sie heute?

In Mecklenburg-Vorpommern.

Haben Sie den Rest des Geldes abgeholt?

Geld ist nie weg, es hat ja immer nur ein anderer.

Also haben Sie es abgeholt?

Wie gesagt: Es ist nie weg.

Da Ihr Anwalt Ihnen bei den Verhören riet, auch mal zu lügen: Haben Sie in diesem Gespräch an irgendeiner Stelle gelogen?

Nein. Aber kennen Sie das Prinzip der partiellen Wahrheit? Man sagt so viel von der Wahrheit, wie man braucht, und verschweigt das, was man nicht sagen möchte.

Dieser Artikel erschien zuerst bei "Zeit-Online".

Marc Brost, Mark Schieritz

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