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Alice Schwarzer hat Steuern hinterzogen.

© AFP

Steuerhinterziehung: Wie gut funktioniert das System Selbstanzeige?

Immer mehr Steuerhinterzieher versuchen sich einer Strafe durch Selbstanzeige zu entziehen. Ist das Instrument noch sinnvoll?

Die Fälle häufen sich. Mit Uli Hoeneß wird sich bald der vermutlich prominenteste Steuersünder Deutschlands vor Gericht verantworten müssen – nun ist bekannt geworden, dass der ehemalige „Zeit“-Chefredakteur Theo Sommer wegen Steuerhinterziehung verurteilt wurde und dass der Berliner Kulturstaatssekretär André Schmitz und die Feministin Alice Schwarzer sich selbst angezeigt haben. Besonders Schwarzer sieht die Fehler dabei nicht nur bei sich – sondern schießt auch scharf gegen die Medien. Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“, das die Tatsache ihrer Selbstanzeige am Wochenende öffentlich gemacht hatte, habe „illegal“ gehandelt. Schwarzer spricht von „Hatz“ und „Denunziation“.

Hätte der Fall Alice Schwarzer anonym bleiben müssen?

„Jeder Steuerzahler hat einen Anspruch darauf, dass seine Steuerangelegenheiten geheim bleiben“, sagt der Berliner Steuerberater Wolfgang Wawro. Das gilt auch für die Selbstanzeige. Deshalb reagierten am Montag Expertenkreise weitgehend empört auf die Veröffentlichung der Nachricht von Alice Schwarzers Steuerfall. „Dieses Signal, dass durchgestochen wird, wird viele davon abhalten, künftig eine Selbstanzeige zu erstatten“, sagte der Vorsitzende der Deutschen Steuergewerkschaft, Thomas Eigenthaler. Alice Schwarzer habe „das legitime Mittel der strafbefreienden Selbstanzeige genutzt und damit den Weg in die Steuerehrlichkeit gefunden“, kritisierte auch der Präsident des Bundes der Steuerzahler, Reiner Holznagel.

Schwarzers Anwalt, Christian Schertz, sprach von einer unerträglichen Verletzung der Persönlichkeitsrechte und von einer Hexenjagd. Der Medienanwalt kündigte rechtliche und strafrechtliche Schritte wegen der Verletzung des Steuergeheimnisses an.

Der „Spiegel“ verteidigte die Veröffentlichung am Montag auf seinem „Spiegelblog“ unter der Überschrift „Die verlogene Ehre der Alice S.“. Der Reporter Jürgen Dahlkamp schrieb darin, „das Juristische ist nicht immer eine ausreichende Kategorie in der Beurteilung einer Handlung“. Schwarzer sei nicht moralisch entlastet, sie habe lediglich getan, „was sie tun musste, um rechtlich auf der sicheren Seite zu sein, und das ist der Grund, warum man ihren Fall öffentlich machen sollte“.

Wie gut funktioniert das System Selbstanzeige?

Es geht um gigantische Summen: Jedes Jahr hinterziehen die Deutschen nach Schätzung der Deutschen Steuergewerkschaft 50 bis 60 Milliarden Euro – ein Großteil davon sind Steuern, die sie zahlen müssten, weil im Ausland geparktes Geld Erträge abwirft. Ein schlechtes Gewissen haben viele auch heute noch nicht. „Steuerhinterziehung gilt noch immer als Kavaliersdelikt“, ärgert sich der finanzpolitische Sprecher der SPD, Lothar Binding. „Das Unrechtsbewusstsein ist größer, wenn jemand einen Müsliriegel klaut, als wenn er 50 000 Euro Steuern hinterzieht.“

Doch der Wind dreht sich. Brisante Steuer-CDs, prominente Fälle wie das Verfahren gegen Ex-Post-Chef Klaus Zumwinkel – der wegen Steuerhinterziehung 2009 zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt wurde – oder der anstehende Prozess gegen den Präsidenten von Bayern München, Uli Hoeneß, machen Steuerhinterziehern Angst und treiben die Zahl der Selbstanzeigen in die Höhe.

2013 gab es dreimal so viele Selbstanzeigen wie im Jahr davor

Gut 24 000 dieser Selbstanzeigen gab es im vergangenen Jahr bundesweit, rund dreimal so viele wie 2012. Eine Verdreifachung der Fälle zählten auch die Berliner Finanzämter. 966 Selbstanzeigen in Verbindung mit Geldanlagen in der Schweiz, Luxemburg und Liechtenstein registrierten die Finanzbehörden an der Spree. Und der Trend hält an. Allein im Januar gingen wieder 129 Selbstanzeigen bei den Finanzbehörden ein. Die Selbstbezichtigung zahlt sich für den Berliner Fiskus aus. Im vergangenen Jahr nahm die Staatskasse 24 Millionen Euro allein aus nachgezahlten Steuern plus Strafzinsen ein. Seit 2010 haben die 2445 Selbstanzeigen Berlin insgesamt 142 Millionen Euro gebracht.

Bleiben Selbstanzeiger immer straffrei?

Steuerhinterziehung ist strafbar und kann erhebliche Konsequenzen nach sich ziehen. Wer Steuern von bis zu 50 000 Euro hinterzieht, muss mit einer Geldstrafe rechnen. Ab 50 000 Euro droht eine Freiheitsstrafe. Wer eine Million Euro und mehr am Fiskus vorbei kassiert, muss sogar mit einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren – ohne Bewährung – rechnen. Der einzige Ausweg aus dem Dilemma ist die Selbstanzeige. Wer von sich aus den Fiskus informiert, bevor dieser dem Steuerhinterzieher auf die Spur gekommen ist, alle Einnahmen der vergangenen fünf Jahre offenlegt und seine hinterzogenen Steuern samt Zinsen von sechs Prozent nachentrichtet, kommt straffrei aus der Sache heraus.

Wobei es auf die Feinheiten ankommt. Liegen die hinterzogenen Steuern unter 50 000 Euro, beschert die Selbstanzeige den Steuersündern tatsächlich eine echte Straffreiheit. Bei höheren Beträgen bleibt die Tat strafbar, wird aber von den Behörden nicht verfolgt. Praktisch läuft es auf dasselbe hinaus: „Der Hinterzieher muss nicht in den Knast“, heißt es im Bundesfinanzministerium.

Was wird jetzt politisch gefordert?

„Dass jemand in beliebiger Höhe Steuern hinterzieht und sich dann herauskaufen kann“, findet SPD-Finanzexperte Lothar Binding unerträglich. Auch die Deutsche Steuergewerkschaft fordert ein härteres Vorgehen gegen Steuersünder. „Ab einer Summe von 50 000 Euro sollte es keine Möglichkeit mehr geben, sich über eine Selbstanzeige der Strafe zu entziehen“, sagte der Chef der Steuergewerkschaft, Thomas Eigenthaler, dem Tagesspiegel.

Auch Nordrhein-Westfalens Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) liebäugelt damit, die Strafbefreiung nur bis zu einer Höchstgrenze zuzulassen. Walter-Borjans ist amtierender Vorsitzender der Finanzminister-Konferenz, die mit dem Bund über eine Verschärfung der Voraussetzungen für Selbstanzeigen verhandelt. Mögliche Stellschrauben: Eine Grenze, ab der strafbefreiende Selbstanzeigen gar nicht mehr möglich sein sollen. Und die Nacherklärung nicht nur wie heute auf fünf Jahre zu beschränken, sondern auf zehn Jahre auszudehnen.

Steuerexperten warnen jedoch davor, reuige Steuerhinterzieher zu überfordern. „Steuern für zehn Jahre nach zu erklären, ist nicht einfach“, warnt Steuergewerkschafter Eigenthaler. Und auch Steuerberater Wolfgang Wawro sieht praktische Probleme. Allein schon die Kontoauszüge der letzten zehn Jahre vollständig und richtig vorlegen zu können, ist keine einfache Sache. Im Bundesfinanzministerium will man sich nicht auf einen Weg festlegen. „Es gibt keine Vorfestlegung“, sagte ein Sprecher auf Anfrage. „Wir streben eine einvernehmliche Position mit den Ländern an.“

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