zum Hauptinhalt
Schön fettig. Essen, das lecker aber ungesund ist, könnte bald

© IMAGO

Rauchverbot & Co.: Steuern wir in eine Gesundheitsdiktatur?

Rauchen, Alkohol, zu viel Fett, Salz und Zucker – all das kann unsere Gesundheit bedrohen. Wer ist für paradiesisches Wohlbefinden verantwortlich? Der Einzelne? Oder darf der Staat alles verbieten, was krank macht?

Am Anfang war eine Festlegung. „Gesundheit ist ein Zustand vollkommenen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht allein das Fehlen von Krankheit und Gebrechen“, heißt es in der Verfassung der Weltgesundheitsorganisation WHO. Vereinfacht gesagt: Gesundheit ist das Paradies auf Erden. Und die WHO, die oberste Sachwalterin des globalen öffentlichen Gesundheitsdienstes, ist gekommen, um es einzurichten – mithilfe der Regierungen.

Beispiel Krebs. Mehr als die Hälfte aller Tumorleiden ließen sich verhüten, haben Experten für öffentliches Gesundheitswesen (Public Health) der Washington-Universität in St. Louis kürzlich in einer Studie im Fachblatt „Science Translational Medicine“ festgestellt. In den USA sei allein das Rauchen für ein Drittel aller Krebsfälle ursächlich, weitere 20 Prozent entfielen auf Übergewicht und Fettsucht. Wie aber halbiert man die Zahl der Krebserkrankungen? „Wenn wir die Gesundheit ändern wollen, müssen wir die Politik ändern“, sagt Sarah Gehlert, eine der Autorinnen der Studie.

Und die Politik ändert sich, allmählich. In Dänemark wurde kürzlich eine saftige Fettsteuer eingeführt. In Australien dürfen Zigaretten von Ende 2012 an nur noch in einfarbig olivgrünen Packungen ohne jede Werbung verkauft werden. In England und Schottland soll ein Mindestpreis für alkoholische Getränke eingeführt werden.

Gleichzeitig wächst das Unbehagen an den gut gemeinten Eingriffen. Viele Bürger fühlen sich bevormundet und reagieren aufgebracht. Manche sehen gar eine Gesundheitsdiktatur heraufdämmern. Die Bonner Autorin Juli Zeh (siehe Interview) hat 2009 eine Vision entworfen, in der der totale Gesundheitsbegriff Grundlage einer totalitären Gesellschaft wird. Und in der Schweiz stößt ein Präventionsgesetz auf heftigen Widerstand, das dem Staat mehr Spielraum geben würde, die Gesundheit der Bürger zu beeinflussen. Die Frage ist, wie stark dieser in die Freiheit des Einzelnen hineinregieren darf und muss, um „vollkommenes Wohlbefinden“ im Sinne der WHO zu erreichen.

Klar ist: Staatliche Maßnahmen haben schon zu großen Erfolgen geführt. Bestes Beispiel ist das Impfen. Das Pockenvirus tötete einst zwei Millionen Menschen pro Jahr. Heute ist es nur noch in zwei Hochsicherheitslaboren in den USA und Russland zu finden. Die WHO konnte 1980 die Ausrottung des Erregers nur verkünden, weil die Staaten der Welt hinter der Impfung standen. Auch in Deutschland gab es eine Impfpflicht.

Die Ausrottung der Masern wäre ebenfalls ein großer Erfolg. Das Virus, das hierzulande gerne als harmloser Erreger gesehen wird, tötete 2010 mehr als 100 000 Kinder. Aber ausgerechnet an Europa könnte das Projekt scheitern. Unwissenheit, Gleichgültigkeit und Bequemlichkeit führen dazu, dass zu wenige Menschen sich impfen lassen. Seit 2009 hat sich die Zahl der Fälle hier vervierfacht. Viele Forscher glauben, dass dem Problem nur mit einer staatlichen Verordnung der Impfung beizukommen ist. „Das ist wie mit Ihrem Auto“, sagt Diane Griffin, Masernforscherin an der Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health in Baltimore. „Wenn Sie niemand zwingen würde, dass Sie das alle paar Jahre zur Inspektion bringen, würden Sie’s auch nicht tun.“

Und dann natürlich das Rauchen. Mit Aufklärungskampagnen, Steuererhöhungen und Rauchverboten kämpften Public-Health-Experten in den vergangenen Jahrzehnten gegen das gefährliche Laster. Amerikanische Forscher haben jüngst die Auswirkungen dieser Regulierung in den USA untersucht. Nahezu 800 000 Menschenleben seien demnach zwischen 1975 und 2000 gerettet worden, schreiben die Wissenschaftler. Sie nutzten dabei die Änderungen im Rauchverhalten von US- Amerikanern, um die Häufigkeit tödlicher Krebserkrankungen abzuschätzen.

Einige Studien stellten zudem einen Rückgang anderer Erkrankungen fest. So hat eine Untersuchung 2011 gezeigt, dass die Zahl der in Kliniken behandelten Herzinfarkte in Deutschland nach der Einführung des Rauchverbotes um acht Prozent zurückgegangen ist. Damit ist zwar nicht bewiesen, dass das Rauchverbot Ursache dieses Rückgangs ist. Doch auch in den USA und Italien beobachteten Ärzte weniger Herzinfarkte nach Einführung eines Rauchverbots.

Trotzdem sehen manche schon im Rauchverbot die Handschrift einer Gesundheitsdiktatur. Jürgen Windeler, Chef des Kölner Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, hält dagegen: „Das Rauchverbot in öffentlichen Räumen ist ein Gesetz gegen Belästigung und Gefährdung von anderen“, sagt er.

Auch beim Impfen geht es nicht einfach darum, den Einzelnen zu seinem Glück zu zwingen, sondern die Gesellschaft zu schützen. Sind 95 Prozent der Bevölkerung gegen die Masern geimpft, kann sich das Virus nicht mehr halten. Forscher nennen das Herdenimmunität. Sie schützt auch die Schwächsten und am meisten Bedrohten in der menschlichen Herde. Etwa Kinder unter elf Monaten, die noch nicht geimpft werden können.

Selbst John Stuart Mill, Urvater des Liberalismus, fand das legitim: „Der einzige Zweck, um dessentwillen man Zwang gegen den Willen eines Mitglieds einer zivilisierten Gemeinschaft rechtmäßig ausüben darf, ist der: die Schädigung anderer zu verhüten.“ Für Impfen und Nichtraucherschutz trifft das ohne Frage zu.

Längst blicken Public-Health-Experten aber über Infektionskrankheiten und Rauchen hinaus: Alkohol, Fett, Salz, Zucker, Übergewicht. Das sind die neuen Feinde. Sie sollen reduziert, reglementiert werden. Und hier geht es überwiegend nicht mehr um die Gesundheit der anderen.

Welches Recht hat der Staat dann überhaupt, sich in diese Bereiche einzumischen? Zum einen geht es ums Geld. „Als Gesellschaft haben wir ein Interesse daran, dass die Gesundheitskosten nicht aus dem Ruder laufen, gerade bei unserer demografischen Entwicklung“, sagt Stefan Huster, Experte für Gesundheitsrecht an der Ruhr-Universität Bochum. Es sei aber häufig nicht klar, was wirklich Kosten verursache. „Raucher kosten womöglich weniger, weil sie früher sterben.“

Der Staat antworte nur auf die Einmischung von anderen, meint der Epidemiologe Ulrich Keil von der Universität Münster. Menschen in Deutschland würden jeden Tag Unmengen an Werbung ausgesetzt, die darauf abzielt, ungesunde Lebensmittel unter das Volk zu bringen. „Dieser Krankheitswerbung muss man Gesundheitswerbung entgegensetzen, das geht nur mit staatlicher Unterstützung“, sagt Keil.

Hinzu komme ein soziales Argument. „Wenn ich das Salz in Fertignahrungsmitteln reduziere, dann kommt das allen zugute. Sonst werden immer die, die mehr lesen und einen höheren Bildungsgrad haben, einen Vorteil haben“, sagt der Public-Health-Experte. Schon heute seien die Unterschiede frappierend. In Norwegen, einem der reichsten Länder der Welt, gebe es einen Unterschied in der Lebenserwartung von zehn Jahren zwischen Arm und Reich. „Wenn wir so weitermachen, wird die Ungleichheit immer größer.“

Darum haben die Public-Health-Fachleute inzwischen einen neuen Übeltäter ins Visier genommen: den Alkohol. Anders als das puritanische Amerika zu Zeiten der Prohibition argumentieren sie jedoch nicht moralisch, sondern medizinisch. Weltweit seien vier Prozent aller Todesfälle auf den Alkohol zurückzuführen, die Belastung durch alkoholbedingte Krankheiten sei ebenso groß wie die durch Tabak, stellte das Fachblatt „Lancet“ 2009 fest. Fürs Erste erhoffen sich Gesundheitsexperten, durch Preiserhöhungen den Konsum zurückzudrängen. In England und Schottland plant die Regierung einen Mindestpreis von rund 50 Cent pro Alkoholeinheit um, wie es heißt, das Komasaufen zurückzudrängen. Eine Flasche Rotwein würde dann nicht unter vier Euro 60, eine Büchse des beliebten Lager-Starkbiers nicht unter ein Euro 40 zu haben sein.

Der Gesundheitsökonom John Appleby vom Londoner King’s Fund hofft, dass die Maßnahme die Zahl der alkoholbedingten Krankenhauseinweisungen um jährlich rund 40 000 und die der Todesfälle um mehr als 1000 verringert. Noch der frühere Premierminister Gordon Brown hatte dagegen das Ansinnen eines Mindestpreises zurückgewiesen, weil man nicht „die verantwortungsbewusste Mehrheit der moderaten Konsumenten für die Exzesse einer kleinen Minderheit“ bezahlen lassen wolle. Ob der etwas höhere Preis das Problem exzessiven Konsums löst, bezweifeln zudem viele – und verweisen auf Frankreich und Spanien, in denen Alkohol billiger zu haben ist und die dennoch ein viel kleineres Alkoholproblem als die Briten haben. In Deutschland geht der Alkoholverbrauch pro Kopf seit Jahrzehnten zurück.

Eines der liebsten Betätigungsfelder der Gesundheitsförderer ist der „Kampf“ gegen Übergewicht und Fettsucht. Dabei wird mit dramatischen Zahlen aufgewartet: 1,5 Milliarden Erwachsene seien übergewichtig, sagt die WHO. In Deutschland sind nur ein Drittel der Männer und knapp die Hälfte der Frauen normalgewichtig, teilt das Robert-Koch-Institut in Berlin mit. Es drohten Bluthochdruck, Zuckerkrankheit, Herzleiden und vieles mehr. Also ran an den Speck – oder?

Die Sache ist vertrackt. Denn der von Public-Health-Experten favorisierte Maßstab zur Ermittlung schädlichen Gewichts, der Körpermasse- Index BMI, hat seine Tücken. Er setzt Körpergröße und Gewicht ins Verhältnis und berücksichtigt nicht den individuellen Körperbau oder gar den Fettanteil des Organismus. Ein muskulöser Sportler gilt nach BMI-Schema als übergewichtig oder sogar adipös (fettsüchtig), ein untrainierter Kettenraucher geht als normalgewichtig durch. Unberücksichtigt bleibt ebenso, dass Menschen im Lauf ihres Lebens an Gewicht zulegen, Frauen etwa mit den Jahren häufig ein Bauchpölsterchen bekommen.

Die Einteilung des BMI in Fünferschritte ist zudem nicht frei von Willkür. Das Übergewicht beginnt bei einem Wert von 25, Fettsucht bei 30 und ausgeprägte Fettsucht bei 35. Die menschliche Biologie richtet sich nicht nach diesen Fünferschritten. Statistische Erhebungen zeigen regelmäßig, dass Menschen mit leichtem Übergewicht die höchste Lebenserwartung haben. Damit soll nicht bestritten werden, dass Fettsucht ein unter Umständen lebensgefährliches Gesundheitsrisiko darstellt – aber es kommt immer auf den einzelnen Menschen und sein Gefahrenprofil an. Wie rund ist der Bauch? Wie sieht es mit dem Rauchen aus, dem Blutdruck, dem Blutzucker, was ist mit der Fitness, wie steht es um den familiären und sozialen Hintergrund, was ist mit genetischer Veranlagung? All diese wesentlichen Informationen berücksichtigt das grobe Raster nicht.

Stellt sich die Frage, wie sinnvoll ein gesundheitspolitischer Maßnahmenkatalog gegen die Fettleibigkeit ist. Zu den Binsenweisheiten gehört mittlerweile die Empfehlung, sich ausgewogen zu ernähren und viel zu bewegen. Aber was ist mit der Idee, den Fett-, Zucker- und Salzgehalt in verarbeiteten Lebensmitteln zu verringern, am besten per Gesetz? Es ist offen, ob solche Maßnahmen messbar die Gesundheit verbessern. Wie offen, belegt eine britische Studie, die im November 2011 Aufsehen erregte. Sie zeigte, dass Menschen, die wenig Kochsalz zu sich nehmen, ein erhöhtes Risiko für Herzleiden haben – ebenso wie solche, die weit mehr als die zurzeit empfohlenen Mengen konsumieren.

Staatliche Eingriffe haben genauso Nebenwirkungen wie jede Therapie eines einzelnen Patienten. Sie sind nur meist nicht so gut untersucht. „Bei Ernährung oder Bewegung weiß eigentlich niemand, ob das, was da empfohlen wird, mehr nützt als schadet“, sagt Institutschef Windeler. Überhaupt sei die Beweislage für viele Maßnahmen äußerst dünn. Deshalb gebe es wenig Grundlage, „diktaturähnliche, sanktionierte Empfehlungen abzugeben“.

Mit oder ohne Hilfe der Politik, die Weltbevölkerung ist in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gesünder geworden. Die Menschen leben besser und länger. In den Entwicklungsländern wurden die Kindersterblichkeit ebenso wie gefährliche Infektionskrankheiten zurückgedrängt, in den Industrienationen gilt das Gleiche für den „Killer Nummer eins“, den Herzinfarkt, und manche Krebsleiden.

Natürlich, „vollkommenes Wohlbefinden“ im WHO-Sinn ist das noch lange nicht. Aber so ein Zustand wäre auch völlig unnatürlich, hat der Konstanzer Biologe Hubert Markl einmal in einem Essay festgestellt. Gesundheit sei im Leben eines Menschen eher die Ausnahme. Krankheit, Schmerzen, Leiden und unfall- und altersbedingte Gebrechen gehörten zur unabänderlichen evolutionären Normalität. Gesundheit ist nicht machbar und nicht jeder Kranke hat etwas falsch gemacht. Das Paradies auf Erden – es wird nicht kommen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false