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Eltern, die ihre Kinder lieber zu Hause als in einer Kita betreuen wollen, bekommen seit einem knappen Jahr dafür 100 Euro im Monat. Diese Eltern im Prenzlauer Berg dürften dieses Angebot allerdings ausgeschlagen haben. Das legt zumindest eine Studie zum Betreuungsgeld nahe. Weder sehen sie arm, noch ungebildet aus, und sie sind wohl auch keine Migranten.

© imago

Streit um das Betreuungsgeld: Die Tücken der Statistik

In der am Wochenende verbreiteten Vorabfassung der Studie zum Betreuungsgeld stand eine falsche Zahl. Offenbar hat sich jemand in den Grundrechenarten verirrt. Die Aussage ist zwar die gleiche, nur ist sie weniger spektakulär.

Von Robert Birnbaum

Statistik ist ein gefährliches Ding – erst recht, wenn sie sich mit Rechenschwäche paart. Am Wochenende hat eine neue Studie zum Betreuungsgeld in der Republik die Wogen hochgehen lassen; auch der Tagesspiegel hat darüber breit berichtet. Die Studie des Forschungsverbunds der Technischen Universität Dortmund und des Deutschen Jugendinstituts München kommt zu dem Schluss, dass das Betreuungsgeld gerade bei solchen Familien die Neigung erhöht, ihre Kleinkinder zu Hause zu erziehen, denen nach Meinung der Kritiker der Leistung ein früher Aufenthalt in einer Kita am besten bekommen würde: arme Familien, Eltern mit niedrigem Bildungsabschluss, Migranten.
Das ist an sich nicht besonders überraschend. Migranten und weniger Betuchte finden auch objektiv schwerer einen Betreuungsplatz, und wer wenig Geld in der Haushaltskasse hat, für den sind 100, demnächst 150 Euro im Monat viel Geld. Doch eine Zahl in der Fassung der Studie im Auftrag des Familienministeriums, die von interessierter Seite verbreitet wurde, schien aus der Binsenweisheit einen hochalarmierenden Befund zu machen: Jede zweite der Familien, in denen die Eltern gar keinen oder nur einen Hauptschulabschluss hatten, hätten die Frage bejaht, dass für sie das Betreuungsgeld das Motiv für den Kita-Verzicht sei – mit höherem Bildungsabschluss sinke dieser Anteil auf bis zu acht Prozent ab.

Hat da jemand Äpfel mit Birnen addiert?

Die 54 Prozent fanden republikweit rasant Verbreitung. Merkwürdigerweise taucht sie in den Tabellen der Forscher nirgends auf. Dort standen allerdings zwei andere Zahlen: 31,2 Prozent der Befragten ohne Schulabschluss nannten das Geld als ihr Hauptmotiv, das Kind daheim zu erziehen, und 22,6 Prozent der Hauptschul-Absolventen. Die beiden Werte zusammenaddiert ergeben ungefähr 54. Nun muss man allerdings nicht Mathematik studiert haben, um zu erkennen, dass das auf gar keinen Fall geht: Jedes dritte Paar ohne Schulabschluss und jedes vierte Hauptschüler-Paar ergibt zusammengenommen natürlich nicht „Jeder zweite ohne Schulabschluss oder mit Hauptschulzeugnis“. Allenfalls zulässig wäre ein gemeinsamer Durchschnitt aus 31,2 und 22,6 – macht 26,9 Prozent. Hatte sich da also jemand hochnotpeinlich in den Grundrechenarten verirrt? Am Montag Nachmittag kam die stillschweigende Antwort: Ja.

Die Forscher stellen ihre Ergebnisse ins Internet

Als Reaktion auf die erregte Polit-Debatte, die ihre Forschung ausgelöst hatte, stellte das Dortmunder Institut den Betreuungsgeld-Abschnitt seiner – thematisch sehr viel umfassenderen Untersuchung, die vor allem den Betreuuungsbedarf in den Kommunen ermitteln sollte – für jedermann nachlesbar ins Internet. Schnell auf Seite 134 nachgeblättert – die ominöse 54 ist verschwunden. Stattdessen steht dort nun: „Von den Familien, in denen kein Elternteil einen Bildungsabschluss besitzt, stimmen 31Prozent der Aussage zu, das Betreuungsgeld sei Grund für die Betreuungsentscheidung gewesen; bei einem Hauptschulabschluss sind es 23 Prozent.“
Das ist jetzt korrekt. Dafür ist es nicht mehr so sensationsträchtig. An den grundsätzlichen Ergebnissen der Forscher ändert die Panne übrigens nichts. Ob die Studie das beweist, was ihre Verfasser herauslesen, ist dann noch einmal eine andere Frage. Die Befragung fand, auch das sei gesagt, schon im Frühjahr 2013 statt – vor Einführung des Betreuungsgeldes.

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