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Update

Stuttgart 21: Abriss-Teilstopp ist ein "Schritt zu auf die Menschen"

Ohne Baustopp geben die Stuttgart-21-Gegner einem Vermittler keine Chance – ganz gleich, ob er Gauck oder Geißler heißt. Ein Angebot der Verkehrministerin könnte aber Bewegung in den Konflikt bringen.

Von Hans Monath

Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer ist eine der Galionsfiguren des Widerstands gegen das umstrittene Bahnhofsprojekt „Stuttgart 21“, das er früh bekämpfte. Vor Beratungen des baden-württembergischen Landtages über den gewaltsamen Polizeieinsatz hat Palmer den von der Landesregierung angekündigten Teil-Stopp der Abrissarbeiten begrüßt. „Das ist jetzt endlich mal ein Schritt zu auf die Menschen, die Stuttgart 21 ablehnen“, sagte er am Dienstag dem RBB-Sender Radio eins. Zuvor hatte Landesverkehrsministerin Tanja Gönner (CDU) bekanntgegeben, der Südflügel des bestehenden Stuttgarter Bahnhofs solle bis auf weiteres nicht abgerissen werden. Auch solle es zunächst keine weiteren Baumfällungen geben.

Mitte August hatte der Grünen-Politiker der baden- württembergischen Landesregierung, der Stadt Stuttgart, der Bahn und den Protestorganisatoren einen siebenseitigen Brief übersandt mit dem Titel: „Versöhnen statt graben“. Darin warnte er vor einer Eskalation des Konflikts und schlug zur Befriedung der Situation die Einberufung einer Konferenz vor, die Befürworter und Gegner an einen Tisch bringen sollte. „Mit dem Hinweis, man sei ja nicht im Krieg, wurde das brüsk abgewiesen“, erinnert sich Palmer heute an die damalige Reaktion auf seinen Vorschlag.

Seit die Eskalation im Stuttgarter Schlossgarten vergangene Woche aber die schwarz-gelbe Landesregierung in Erklärungsnot brachte, hat sich zumindest die FDP den Gedanken an eine Vermittlung zu eigen gemacht. Die Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Birgit Homburger, schlug am Wochenende vor, einen Schlichter einzusetzen. Am Montag stellte sich das Präsidium der Bundes-FDP hinter den Vorschlag der baden-württembergischen Landeschefin.

Parteichef Guido Westerwelle soll in der internen Sitzung mit Joachim Gauck auch gleich einen Kandidaten für den Posten des Vermittlers ins Gespräch gebracht haben. Womöglich zielt Westerwelles Vorschlag in Richtung SPD und Grüne. Die beiden Parteien, die einen Baustopp und einen Volksentscheid über das Projekt verlangen, könnten dem früheren DDR-Bürgerrechtler kaum die Eignung absprechen. Schließlich hatten sie den protestantischen Pfarrer als ihren Kandidaten in die Bundespräsidentenwahl geschickt. Aber Gauck will nicht. „Ich habe dazu überhaupt keine Zeit“, sagte er der „Mitteldeutschen Zeitung“. Er sei Tag und Nacht unterwegs. „Das ist absolut unmöglich.“

Doch aus Sicht der Sozialdemokraten und der Grünen wird der liberale Vermittlungsvorstoß nicht am fehlenden Kandidaten scheitern, sondern an fehlender Substanz. Die Grünen im Landtag brachten unterdessen selbst einen Vorschlag für einen Vermittler ein: den ehemaligen CDU-Generalsekretär Heiner Geißler (80).

FDP-Generalsekretär Christian Lindner betonte am Montag nach der Präsidiumssitzung, der Bau sei parlamentarisch und juristisch legitimiert, weshalb es bei einer Mediation nicht um den wichtigsten Punkt gehen könne: „Eine Infragestellung der Umsetzung des Projekts steht daher nicht zur Debatte.“

Palmer wies den Vorschlag umgehend zurück: „Ohne Stillstand der Waffen“ sei jedes Mediationsverfahren unsinnig. Die FDP forderte er auf, in der Landesregierung für einen Baustopp zu sorgen und mit den Gegnern dann über Alternativen zu sprechen. „Das bisherige Angebot, man könne darüber reden, was in zehn Jahren gebaut wird, wenn S 21 fertig sei, ist ein Witz“, empört sich der Tübinger OB. Jeden Vorschlag, der „wirklich auf einen Dialog zielt“, werde er aber begrüßen.

Auch die Bundes-SPD dringt auf einen Baustopp. „Die Politik muss akzeptieren, dass das Projekt von der Bevölkerung infrage gestellt wird“, sagte Parteichef Sigmar Gabriel. Die Bauarbeiten sollten bis zu einer Volksabstimmung oder bis zur Landtagswahl im März 2011 unterbrochen werden. Am heutigen Dienstag soll der frühere Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof sein von der Landesregierung bestelltes Gutachten zur Bindewirkung eines Volksentscheids vorstellen.

Unterdessen drohen dem Projekt neue juristische Hindernisse: Das Landgericht Stuttgart hatte vergangene Woche einen Eilantrag gegen die Baumfällarbeiten abgelehnt. Dabei lag ihm ein Schreiben des Eisenbahnbundesamtes nicht vor, das deren Rechtmäßigkeit wegen des unter Naturschutz stehenden Juchtenkäfers anzweifelte. Das Gericht will seine Entscheidung jetzt überprüfen.

Projektgegner kündigten den Antrag auf ein Volksbegehren zur Auflösung des baden-württembergischen Landtags an, da die Regierung nicht das Volk vertrete. Zur Einreichung des Antrags seien 10 000 Unterschriften nötig. 1,28 Millionen Bürger müssten dann zustimmen, bevor er allen Wahlberechtigten vorgelegt würde. Am Abend hatten wieder Zehntausende Menschen im Stuttgarter Schlossgarten friedlich gegen den Umbau des Kopfbahnhofes in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof protestiert. Die Polizei sprach von 25 000 Teilnehmern, die Veranstalter von rund 55 000.

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