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Mehr als 20 000 Menschen haben im UN-Stützpunkt in Bentiu Zuflucht gesucht, nachdem die mit dem ehemaligen Vize-Präsidenten Riek Machar loyalen Milizen die Stadt erobert hatten und mindestens 200 Menschen anderer ethnischer Zugehörigkeit, vor allem Dinka, der Ethnie des Präsidenten Salva Kiir, getötet hatten. Am Sonntag gab es nur einen Liter Wasser pro Person, am Donnerstag seien es vier gewesen, berichtet der UN-Nothilfekoordinator im Südsudan, Toby Lanzer.

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Südsudan: Anzeichen eines Völkermords

Der Menschenrechtsbeauftragte Christoph Strässer fordert Verstärkung für Blauhelme. UN warnen vor einer Hungersnot im Südsudan. Nach Massakern in der Ölstadt Bentiu diskutiert der UN-Sicherheitsrat über Sanktionen.

Nach fünf Monaten Machtkampf zwischen dem Präsidenten des Südsudan, Salva Kiir, und seinem ehemaligen Vize, Riek Machar, nimmt der Druck auf die internationale Gemeinschaft zu, in den Konflikt einzugreifen. Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Christoph Strässer (SPD), sagte am Donnerstag nach einem Besuch im Südsudan, die ethnisch motivierten Massaker – zuletzt vor wenigen Tagen in der Ölstadt Bentui – wiesen Züge eines Völkermordes auf. Wenn die UN-Mission im Südsudan, Unmiss, weitere Anforderungen an Deutschland stelle, „bin ich persönlich der Meinung, dass wir diesen Anforderungen auch nachkommen sollten – auch wenn es zu einer Ausweitung des Bundeswehr-Mandates kommen müsste“.
Die grüne Verteidigungspolitikerin Agnieszka Brugger forderte, zumindest einmal das Bundeswehrkontingent von 50 Soldaten auszunutzen, derzeit sind 14 Bundeswehrsoldaten dort. Zudem solle das Zivilpersonal in der Unmiss-Mission verstärkt werden, forderte sie. Der außenpolitische Sprecher der Linken, Jan van Aken, dagegen warnte vor einer weiteren Aufstockung der UN-Blauhelme, denn die hätten die Gewalt nicht stoppen können. Das Verteidigungsministerium teilte mit, dass in nächster Zukunft keine Veränderungen für den Südsudan gepant seien.

Die Vereinten Nationen warnen vor einer Hungersnot

Selbst Toby Lanzer, stellvertretender Unmiss-Missionsleiter, hat kaum noch Hoffnung auf eine Entschärfung der Krise. Dabei ist er Berufsoptimist, denn seine Stationen vor dem Südsudan waren der Darfur, die westsudanesische Krisenregion, in der seit nunmehr elf Jahren immer neue Kämpfe ausbrechen, und die Zentralafrikanische Republik. Aber dass innerhalb von 100 Tagen die Zahl der Bedürftigen eines Landes um mehr als eine Million Menschen steigt, hat selbst er noch nicht gesehen. Nach Einschätzung der UN-Nothilfe-Koordination Ocha sind aktuell 4,9 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Erreicht werden allerdings lediglich 1,2 Millionen Menschen. Seit dem Beginn der Kämpfe am 15. Dezember 2013 sind rund eine Million Menschen geflüchtet, die meisten innerhalb des Südsudan, aber auch in den Nachbarstaaten Uganda, Kenia, Äthiopien, dem Sudan und selbst in der krisengeschüttelten Zentralafrikanischen Republik steigt die Zahl der Flüchtlinge ständig an. Allein in die UN-Stützpunkten des Landes haben sich rund 50.000 Menschen geflüchtet, deren Versogung Unmiss vor nahezu unlösbare Probleme stellt.

Eigentlich ist Toby Lanzer, der Vize-Chef der Unmiss-Mission im Südsudan Berufsoptimist. Aber nach den jüngsten Massakern in Bentiu ist auch er "zutiefst traurig und frustriert über die Gewalt", erklärte er in dieser Woche.
Eigentlich ist Toby Lanzer, der Vize-Chef der Unmiss-Mission im Südsudan Berufsoptimist. Aber nach den jüngsten Massakern in Bentiu ist auch er "zutiefst traurig und frustriert über die Gewalt", erklärte er in dieser Woche.

© AFP

Lanzer hatte noch vor zwei Wochen bei einem Besuch in Berlin, bei dem er versuchte, mehr Geld für die Versorgung der Hungernden im Südsudan lockerzumachen, ein ganz gutes Gefühl. Er setzte einige Hoffnung in die Ende April angesetzten Friedensverhandlungen zwischen Regierung und Rebellen in Addis Abeba, obwohl diese gerade um einen Monat vertagt worden waren. „Es muss zumindest einen stabilen Waffenstillstand geben“, sagte er. Denn solange gekämpft werde, „trauen sich die Bauern nicht auf die Felder“. Aber wenn jetzt zu Beginn der Regenzeit nicht gesät werde, „dann wird im Herbst auch nichts geerntet“. Und dann, sagte Lanzer, „steht eine große Hungersnot bevor“. Genau dahin steuert das Land aktuell. Denn wenige Tage nach seinem Besuch griffen Machars Milizen die Ölstädte Bentiu und Bor wieder an.

Die UN haben furchtbare Verbrechen in Bentiu dokumentiert

Bei der Eroberung von Bentiu haben die UN furchtbare Verbrechen dokumentiert. Drei Tage dauerte das Morden an. Lanzer zitiert auf Twitter eine junge Frau, die ihm gesagt habe: „Sie verfolgten uns in unsere Häuser, ins Krankenhaus, wohin wir auch flüchteten, sie kamen, um uns zu töten.“ Nach UN-Angaben sind auch Männer, Frauen und Kinder der Nuer-Ethnie von Machar im Krankenhaus getötet worden, „weil sie nicht auf der Straße waren, um den Rebellen zuzujubeln“. Außerdem wurden rund 200 Menschen in einer Moschee und einer Kirche ermordet, wohin sie geflüchtet waren. Am Mittwoch bestritt Riek Machars Sprecher, die Verantwortung der Rebellen für die Massaker und beschuldigte die sich zurückziehenden Regierungstruppen. Der südsudanesische Außenminister dagegen sagte dem britischen Sender BBC, Machars Leute seien die Täter.

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In der vergangenen Woche griff eine große Gruppe Jugendlicher den UN-Stützpunkt in der ebenfalls umkämpften Stadt Bor an. 64 Nuer, die sich dorthin geflüchtet hatten, wurden getötet. Die Tatsache, dass sich vor allem Nuer in die UN-Missionen in Sicherheit gebracht haben, wird von der Regierung in Juba als Zeichen dafür gewertet, dass die UN gemeinsame Sache mit den Rebellen mache. Seit Wochen gibt es immer wieder von der Regierung angefachte Demonstrationen gegen Unmiss. Toby Lanzer sagt dazu diplomatisch, die Regierung von Salva Kiir habe sich zunächst daran gewöhnen müssen, dass "wir auf der Seite der Menschen im Südsudan" stehen.

Die Regierung in Juba lässt die Hochverratsprozesse fallen

Am Donnerstag nahm die Regierung in Juba überraschend die Anklagen gegen vier mit Machar verbündete Politiker zurück, die wegen Hochverrats vor Gericht gestellt worden waren. Zuvor hatte einer der Angeklagten, der ehemalige Vize-Verteidigungsminister Majak d'Agoot, vor Gericht gesagt, er sei „Null Prozent schuldig“. Am Abend sagte Justizminister Paulino Wanawilla, die Anklagen würden im Interesse von Frieden und Versöhnung zurückgenommen. Die vier seit dem 16. Dezember festgehaltenen Politiker, neben d'Agoot auch der ehemalige Botschafter Ezekiel Lol Gatkuoth, der ehemalige Generalsekretär der Regierungspartei SPLM Pagan Amum und der ehemalige Minister für nationale Sicherheit, Oyai Deng Ajak, sollten an diesem Freitag freigelassen werden, sagte der Wanawilla. Schon im Januar hatte die Regierung elf weitere Verbündete von Riek Machar, denen sie ebenfalls Hochverrat vorwarf, im Zuge des Waffenstillstandsabkommens nach Kenia abgeschoben. Die Freilassung der Politiker war von Machars Unterhändlern zur Bedingung für den Waffenstillstand gemacht worden.

Präsident Kiir entlässt den Armee- und den Geheimdienstchef

Das war nicht die einzige überraschende Entscheidung der Regierung am Donnerstag. Zuvor hatte Präsident Salva Kiir den Chef der Regierungsarmee, SPLA, General James Hoth Mai, entlassen - einen der letzten Nuer im Regierungsapparat. Kiir ersetzte ihn durch einen Dinka aus seiner Heimatprovinz, General Paul Malong. Malong gilt als Hardliner und soll für die Massaker an Nuer in den ersten Tagen des Konflikts im Dezember verantwortlich sein. Zudem feuerte Kiir seinen Geheimdienstchef General Mac Paul und ersetzte ihn durch Marial Nuor, der zuvor eine wichtige Position bei der Polizei inne hatte.

Der UN-Sicherheitsrat diskutiert über gezielte Sanktionen

Am Donnerstag diskutierte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen über individuell wirksame Sanktionen gegen diejenigen, die den Waffenstillstand immer wieder brechen. Jok Madut Jok, einer der Gründer des südsudanesischen Thinktanks Sudd Institute, bezweifelt in einer Analyse, die er vor wenigen Tagen veröffentlichte, dass gezielte Sanktionen Riek Machar und die ihn umgebenden Milizenchefs wirklich stoppen können. Er vermutet, dass Machar seinen Besitz längst unter anderen Namen im Ausland in Sicherheit gebracht und die Spuren gut verwischt hat. Nach Jok Madut Joks Einschätzung sind Sanktionen für die Regierung in Juba schwer zu verkraften. Denn das Land, das erst seit 2011 unabhängig ist, ist stark von westlichen Geberländern, und vor allem von den USA abhängig.

Der Waffenstillstand war unter Vermittlung der ostafrikanischen Regionalorganisation Igad durch Verhandlungen in der äthiopischen Hautstadt Addis Abeba am 23. Januar unterzeichnet worden. Allerdings hat Rebellenchef Riek Machar seine loyalen Milizenchefs nie davon abgehalten, weiter zu kämpfen. Und auch die Regierungstruppen scheinen die Vereinbarung nicht besonders ernst zu nehmen. Schon zwei Tage nach dem Abschluss der Feuerpause beschwerten sich die Rebellen über Angriffe der SPLA. Riek Machar wiederum, der bis Juli 2013 Vize-Präsident gewesen war, bevor Salva Kiir ihn und das gesamte Kabinett entließ, sagte der Nachrichtenagentur Bloomberg schon Ende März, er wolle die wirtschaftlich wichtigen Ölfelder im Nordosten des Südsudan in der Provinz Upper Nile einnehmen, um Kiir so zum Rücktritt zu zwingen.

Um die Ölfelder wird weiter erbittert bekämpft

Die Ölfelder in der Provinz Unity, in der Bentiu liegt, und in Jonglei, wo die von Beginn der Auseinandersetzungen an umkämpfte Stadt Bor liegt, produzieren schon seit Monaten kein Öl mehr. Die Regierung in Juba kann sich derzeit lediglich auf Öleinnahmen von rund 15 Millionen US-Dollar im Monat stützen, die in den letzten noch betriebenen Ölfeldern gefördert werden. Im Südsudan mehren sich die Stimmen derjenigen, die einen Neuanfang verlangen - unter Ausschluss von Salva Kiir und Riek Machar.

Die humanitäre Katastrophe im Südsudan ist allerdings auch dann kaum noch aufzuhalten. Nach Angaben von Toby Lanzer haben die UN zwar vor Beginn der Regenzeit versucht, in den von den Kämpfen betroffenen Provinzen Vorräte anzulegen. Doch der Etat dafür war begrenzt, und mit Beginn der Regenzeit sind die Straßen nicht mehr passierbar, und auf den Pisten, auf denen sonst Flugzeuge starten und landen können, werden in den kommenden zwei bis drei Monaten keine Hilfsgüter mehr angeliefert werden können - selbst wenn die UN das Geld hätten, sie zu beschaffen.

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