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Aleppo ist fast zerstört.

© Reuters

Syrien: Türkei zieht Panzer an der Grenze zusammen

Will Ankara den "Islamischen Staat" (IS) vor den Kurden beschützen? Neue islamistische Allianz unter Führung von Al Qaida greift das von Regierungstruppen gehaltene Aleppo an. In dem Bürgerkriegsland droht eine Eskalation mit unvorhersehbaren Folgen.

Nach mehr als vier Jahren Bürgerkrieg bahnt sich im Norden Syriens eine neue Eskalation mit potenziell weitreichenden Folgen an. Eine neue islamistische Rebellenallianz hat eine Offensive in der früheren Wirtschaftsmetropole Aleppo gestartet. Gleichzeitig zieht die Türkei nur 60 Kilometer weiter nördlich starke Panzerverbände an der Grenze zu Syrien für eine mögliche Militärintervention im Nachbarland zusammen.

Dem Rebellenbündnis „Ansar Al Sharia“ (Helfer der Scharia) gehört unter anderem die Al-Nusra-Front an, der syrische Ableger von Al Qaida. Ziel sei die Befreiung von Aleppo und die Einführung der islamischen Rechtsordnung Scharia, erklärte die Allianz. Sie begann ihre Offensive mit dem Beschuss von Stadtteilen, die von syrischen Regierungstruppen gehalten werden. Bis zum Freitagnachmittag wurden mehr als 50 Tote gemeldet.

Sollte die Offensive der Islamisten in Aleppo Erfolg haben, wäre die Regierung von Präsident Baschar al Assad im Norden Syriens praktisch besiegt: Erst vor Kurzem hatte sie die Nordwestprovinz Idlib an Rebellen verloren. Im Nordosten kontrollieren Kurden und der „Islamische Staat“ (IS) weite Gebiete.

Die militärischen Erfolge der Kurden gegen den IS machen die Türkei nervös

Die neue Schlacht um Aleppo könnte weitere Flüchtlinge in die nahe Türkei treiben, die bereits zwei Millionen Menschen aus dem Nachbarland aufgenommen hat. Die Regierung in Ankara bereitet nach Medienberichten die Einrichtung einer militärisch gesicherter Pufferzone auf syrischem Gebiet vor, um Flüchtlinge dort versorgen zu können. In den vergangenen Tagen wurden Panzer und Mannschaftswagen an die Grenze bei Kilis verlegt. Vom dortigen Grenzübergang Öncüpinar führt eine Überlandstraße direkt nach Aleppo.

Mit der möglichen Intervention will die Türkei außerdem weitere Gebietsgewinne kurdischer Milizen verhindern, weil das Land die Entstehung eines Kurdenstaates in Nord-Syrien befürchtet. Die regierungsnahe Zeitung „Sabah“ meldete, Ziel der Kurden sei die Eroberung eines Gebietsstreifens, der von der irakischen Grenze bis zum Mittelmeer reiche – damit solle die Türkei vom Rest des Nahen Ostens abgeschnitten werden.

Premier Ahmet Davutoglu sagte in einem Fernsehinterview, die Armee habe Befehl, Maßnahmen zum Schutz von Bedrohungen entlang der syrischen Grenze zu treffen. Vollendete Tatsachen würden nicht hingenommen, betonte er mit Blick auf die kurdischen Autonomiebestrebungen in Nord-Syrien. Die dortige Kurdenpartei PYD und ihr bewaffneter Arm YPG sind Ableger der türkisch-kurdischen Rebellengruppe PKK und werden deshalb von Ankara als Terrorgruppen angesehen.

Jüngste Erfolge der YPG in Kämpfen gegen den „Islamischen Staat“ haben Davutoglus Regierung nervös gemacht. Derzeit konzentrieren sich die türkischen Sorgen auf den syrischen Ort Jarablus, der rund 100 Kilometer nordöstlich von Aleppo an der türkischen Grenze liegt. Jarablus wird derzeit vom IS kontrolliert – sollten die Kurden die Dschihadisten von dort vertreiben, würde die YPG zur entscheidenden Kraft entlang der türkischen Grenze.

Die USA sehen mit Besorgnis auf das Tun der Türkei

„Ankara gerät allmählich in Verzweiflung“, kommentierte der US-Politologe David Romano in einem Beitrag für Rudaw, eine Internetplattform der nordirakischen Kurden. Bei einer Intervention müssten die türkischen Truppen voraussichtlich gegen den IS, gegen die Kurden und gegen syrische Regierungstruppen kämpfen, warnte Romano.

Die Vorstellung eines türkischen Einmarschs in Syrien löst auch beim Verbündeten USA ernste Sorgen aus. US-Vizepräsident Joe Biden telefonierte deshalb laut Medienberichten in den vergangenen Tagen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan: Eine türkische Intervention könnte die Nato zur Kriegspartei in Syrien machen. Davutoglu unterstrich in dem TV-Interview jedoch, die Türkei plane in der nächsten Zeit „keine einseitige Intervention“ in Syrien.

Das klang nach Beschwichtigung. Weil Davutoglu aber gleichzeitig die Entschlossenheit seiner Regierung zur Abwehr von Bedrohungen aus Syrien betonte und Truppen an die Grenze beorderte, weiß niemand, was Ankara wirklich vorhat. Schließlich hatte Präsident Erdogan kürzlich erklärt, sein Land werde die Entstehung eines Kurdenstaats in Nord-Syrien auf keinen Fall hinnehmen.

Ein türkischer Einmarsch in Syrien könnte auch den Kurdenkonflikt in der Türkei selbst wieder eskalieren lassen. PKK-Kommandant Cemil Bayik drohte Ankara mit einem neuen „Krieg“, falls türkische Truppen in Syrien gegen die Kurden vorgehen sollten. Die Türkei wolle in Syrien dem „Islamischen Staat“ helfen, sagte Bayik dem PKK-Fernsehsender Sterk TV.

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