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Willkommenskomitee: Flüchtlingshelfer begrüßen Asylbewerber in Berlin-Spandau (Archivbild vom September).

© DAVIDS

Nach den Attentaten in Brüssel: Flüchtlingshelfer sind Widerstandskämpfer gegen den Terror

Stärkung der Geheimdienste, Überwachung der Syrien-Heimkehrer, Bombardierung der Terror-Miliz „IS“: All das wird längst gemacht. Eine andere Front ist wichtiger. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Das Immunsystem ist gegenüber den Hasspredigten besonders da geschwächt, wo Menschen sich ausgegrenzt, gesellschaftlich abgehängt und abgelehnt fühlen.Flüchtlinge, die hier freundlich aufgenommen und anständig behandelt werden, gehören nicht dazu. Wenn man ihnen aber mit Hass begegnet, erzeugt man Hass.

schreibt NutzerIn Netiew

Die Nachrichtenagenturen haben den Text auf Taste, er heißt: Chronologie der Terroranschläge in Europa. Es wird lang und länger, nun fortgeschrieben durch den blutigen Schrecken von Brüssel. Unfreiwillig stellt sich ein Schon-wieder-Gefühl ein. Die Bilder ähneln sich wie die Reaktionen darauf, nur die Abstände scheinen kürzer zu werden. Alle bekunden Abscheu, Empörung, Wut und Trauer. Was sollen sie sonst tun? Das Schon-wieder-Gefühl aber ist unangenehm. Die Unfähigkeit, jedesmal die gleiche Intensität des Horrors empfinden zu können, erzeugt Scham.

Nicht besser steht es um die Reflexe der Dokumentation des Geschehens. Breaking News, Sondersendungen, Zeugenbefragungen, das ganze Programm. Wir wissen, dass genau das die Terroristen wollen – unsere Aufmerksamkeit, unsere Angst, die Verbreitung ihrer Taten. Das mörderische Treiben wird genährt durch die mediale Potenzierung der Gräuel. Können wir nicht anders? Nein, das können wir nicht. Im Zeitalter der massenmedialen Kommunikation kann sich den elementaren Rezeptionsmechanismen keiner entziehen. Die Gaffer am Unfallort lassen sich wegschicken, die Gaffer in uns wollen befriedigt werden.

Ernüchternd ist außerdem die Erkenntnis, dass sämtliche Gegenmaßnahmen offenbar nichts bringen. Höher als ganz hoch geht bei der Terrorwarnstufe nicht. Stärkung der Geheimdienste, Überwachung radikalisierter Syrien-Heimkehrer, Bombardierung der Terrororganisation „Islamischer Staat“: All das wird ja längst gemacht. Terrorexperten fordern mehr, stärkere Geheimdienst-Vernetzungen, Arabisch sprechende Agenten, Videoüberwachungen. Das ist richtig und wichtig, und dennoch weiß jeder, dass die offene Gesellschaft verwundbar bleibt. Sich das einzugestehen, ist kein Fatalismus, sondern ein Preis der Freiheit.

Passagiere und Flughafen-Angestellte verlassen nach der Explosion den Terminal in Brüssel.
Passagiere und Flughafen-Angestellte verlassen nach der Explosion den Terminal in Brüssel.

© dpa

Die Strategie der Terroristen ist klar

Auch dieses Attentat trifft wieder mitten in die ohnehin übererregte Flüchtlings- und Integrationsdebatte. Donald Trump, Marine le Pen, Geert Wilders – sie werden sich in ihren Warnungen vor radikalen Muslimen erneut bestätigt fühlen. Womöglich wird auch die AfD versuchen, mit Blick auf Brüssel eine enge Verbindung zwischen Flüchtlings- und Sicherheitsthematik herzustellen. Die Gegenseite wird das energisch zurückweisen, vor pauschalen Urteilen und Islamophobie warnen. Ein weder rassistischer noch blauäugiger Diskurs über Einwanderer, Flüchtlinge, Integrationsdefizite und Radikalisierungsdynamiken scheint kaum noch führbar. Dabei ist er notwendiger denn je.

Denn die Strategie der Terroristen ist klar: Sie wollen einen Keil treiben zwischen die in Europa lebenden Muslime und deren nichtmuslimischer Umwelt. Durch Anschläge soll das Misstrauen vertieft, die Entfremdung beschleunigt werden. Sobald dann die Abwehrreflexe der Mehrheitsgesellschaft sich auf alles Islamische erstrecken – Moscheen, Kopftücher, Speisevorschriften –, ist das Ziel erreicht. Ein Flüchtling aus Syrien, der in Europa vor allem als potenzieller Terrorist wahrgenommen wird, kann hier nicht heimisch werden, sondern wird empfänglich für radikale Parolen.

Der Verstand muss kühl, das Urteil ausgewogen sein

Die Spirale einer solch bitteren, sich selbst erfüllenden Prophezeiung muss gestoppt werden. Wer in seinen durch islamistischen Terror entfachten Furor alle Muslime mit einbezieht, treibt sie in die Arme von Islamisten und vergrößert letztlich die Gefahr. Der Verstand muss kühl, das Urteil ausgewogen sein. Anders geht es nicht, ging es nie.

In diesem Sinne ist jeder Flüchtlingshelfer ein Widerstandskämpfer gegen jenes Klima, in dem nur noch Freund-Feind-Kategorien erlaubt sind. Natürlich ist das bloß ein Traum, dass Menschen durch erfahrene Menschlichkeit vor unmenschlichen Taten bewahrt werden. Aber sich solche Träume zu verbieten, wäre ein erstes Zugeständnis an den Hyperrealismus, der allein auf Abschreckung, Umerziehung, Anpassung und Kontrolle setzt.

Die Terroristen können uns töten. Es liegt an uns, ob wir durch sie zu anderen Menschen werden.

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