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Die Terrorgruppe Isis verbreitet im Irak Angst und Schrecken. Die Armee ist ihnen scheinbar nicht gewachsen.

© AFP

Terrororganisation „IS“: Die Herrschaft der Steinzeit-Islamisten im Irak und in Syrien

Öffentliche Auspeitschungen, Zerstörungen und Jagd auf Christen – Dschihadisten der Terrororganisation „Islamischer Staat“ wollen im Irak und in Syrien einen eigenen Staat errichten. Welche Gefahr droht von ihnen?

In der Wahrnehmung Europas scheint dieser Krieg im Schatten von Ukraine-Krise und Nahost-Konflikt allmählich zu verschwinden. Dabei verbreitet die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) im Irak und in Syrien eine Schreckensherrschaft, die täglich Opfer fordert, Verwüstungen anrichtet und tausende Menschen in die Flucht treibt. Ein eigenes Staatswesen ist ihr Ziel und die Scharia ihr Gesetz.

Wie gehen die Dschihadisten vor?

Auf ihren Websites brüsten sie sich mit Massenhinrichtungen und Kreuzigungen. Ihre scheinbar endlosen Kolonnen nagelneuer Allrad-Fahrzeuge mit aufgeblendeten Scheinwerfern reichen bis zum Horizont. „Wir kommen – Widerstand zwecklos“ heißt die mediale Botschaft an alle Feinde, mit der sich die Terrororganisation inszeniert. Innerhalb von Stunden überrannten ihre Brigaden die Millionenstadt Mossul und schlugen komplette Divisionen der irakischen Armee in die Flucht. Das sunnitische Dorf Zowiya nahe Tikrit, dessen Stammeskämpfer sich den Angreifern entgegenstemmten, wurde komplett zerstört. Das Schicksal der Dorfbewohner sei „eine Warnung an alle, die auch nur darüber nachzudenken wagen, gegen den Islamischen Staat (IS) zu kämpfen“, brüsteten sich dagegen die Angreifer im Internet.

Ungezählt sind mittlerweile die Massenexekutionen von angeblichen Gotteslästerern, Mitgliedern rivalisierender Extremistengruppen oder schiitischen Gläubigen in Syrien und Irak. In dem Städtchen Manbij hackten die Steinzeit-Islamisten vier Dieben öffentlich die Hände ab. In der syrischen Ortschaft Tabaqa ließen sie eine Frau wegen Ehebruchs zu Tode steinigen. Bei anderer Gelegenheit wurden Menschen öffentlich ausgepeitscht, weil sie gegen das Fastengebot des Ramadan verstoßen hatten. Im Internet kursieren Fotos von sechs gekreuzigten Jugendlichen, die die Fanatiker tagsüber angeblich beim Essen oder Trinken erwischt hatten. Selbst Al Qaida distanziert sich inzwischen von diesem bestialischen Vorgehen, weil es ihr zu weit geht.

Welche Gebiete kontrollieren sie?

Die Brigaden des „Islamischen Staates“, die jüngste und blutrünstigste Gattung unter den sunnitischen Terrorgruppen der Region, kontrollieren in Syrien und im Irak inzwischen jeweils ein Drittel der Staatsflächen. Die Grenze zwischen beiden Staaten ist weitgehend in ihrer Hand, das IS-Territorium erstreckt sich über insgesamt 700 Kilometer.

Wie ist die Truppe organisiert und wer führt sie an?

Seit 2010 führt ein ehemaliger irakischer Islamgelehrter mit Kriegsnamen Abu Bakr al Baghdadi die IS-Brigaden an. Er mutierte zum skrupellosen Warlord im Namen Allahs. Vor drei Wochen ließ sich der bis dahin „unsichtbare Scheich“, von dem über Jahre nur zwei verwackelte Fotos existierten, mit großem Gefolge zur Freitagsmoschee von Mossul fahren. Von der Predigtkanzel herab rief er ein pan- muslimisches Kalifat für den gesamten Orient aus mit sich selbst an der Spitze, dem nicht nur Irak und Syrien, sondern später auch Jordanien, Palästina und Ägypten angehören sollen.

Unter der Regie des neuen „Kalifen Ibrahim“ regiert ein siebenköpfiges Kabinett ganz eigenen Zuschnitts. Das belegen Dokumente, die dem britischen Telegraph zugespielt wurden. Einer der Minister ist zuständig für die Produktion von Bomben, ein anderer für die IS-Gefangenen, ein dritter für die Finanzen und die Versorgung der im Kampf gefallenen sogenannten Märtyrer. Ein weiterer IS-Ressortchef ist verantwortlich für den Empfang ausländischer und arabischer Dschihadisten, ihre Unterbringung in Gästehäusern sowie den Transport von Selbstmordattentätern an ihre Einsatzorte.

Wie stark ist das Heer der IS-Kämpfer?

Nach den bereits erwähnten Unterlagen, die der irakische Geheimdienst beschlagnahmen konnte, zählen zum „Islamischen Staat“ mittlerweile 25.000 Kämpfer, von denen rund 1000 der Kommandoebene angehören. Je nach Aufgabe schwanken ihre Monatsgehälter zwischen 300 und 2000 Dollar, viel Geld in einer Region, wo das Durchschnittseinkommen bei 400 Dollar liegt. Westliche Geheimdienste schätzen, dass sich den IS-Einheiten rund 4000 Ausländer angeschlossen haben, die meisten aus Saudi- Arabien und Tunesien, einige hundert aus dem Westen, darunter auch Deutsche.

Können die Dschihadisten die eroberten Gebiete verwalten?

Anders als ihre Terrorkonkurrenz organisiert der IS in den von ihm beherrschten Regionen eine relativ differenzierte Bürokratie, eine eigene Art Polizei sowie eigene Scharia-Gerichte und Essensausgaben für Arme. Das soll die eroberte Bevölkerung beruhigen sowie den Anschein einer öffentlichen Ordnung erzeugen. Im ostsyrischen Al Rakka mit seinen 500 000 Einwohnern, wo der IS sein Hauptquartier hat, schlossen die Kämpfer Geschäfte, weil die Händler angeblich Waren schlechter Qualität verkauft hatten. Regelmäßig werden Supermärkte und Kebab-Stände auf die Qualität ihres Angebots überprüft. In vielen Stadtteilen stellten die neuen Herren große Dieselaggregate zur Stromerzeugung auf, reparierten Stromleitungen oder ließen Schlaglöcher in den Straßen ausbessern. In manchen Ortschaften richteten sie Koranschulen ein, in denen Kinder Zertifikate und Belohnungen erhalten, wenn sie die heilige Schrift der Muslime besonders gut auswendig lernen.

Im irakischen Mossul verteilten IS-Anhänger kurz nach ihrem Einmarsch Flugblätter an die Bewohner, auf denen in 16 Punkten die neue „Charta der Stadt“ gedruckt war. Frauen dürfen nur noch voll verschleiert auf die Straße – und nur dann, wenn „es unbedingt nötig ist“, stand dort zu lesen. Alle Bewohner müssen künftig an den fünf täglichen Gebeten des Islam teilnehmen. Alkohol und Zigaretten sind verboten. Mit Bulldozern ließen die neuen Herren bereits tausende aus Cafés und Wohnungen konfiszierte Wasserpfeifen öffentlich zermalmen.

Wie gehen die Dschihadisten mit Andersgläubigen um?

Am Freitag vor einer Woche propagierten sie über alle Moscheen in Mossul ein Ultimatum an die Christen. Entweder diese konvertieren zum Islam und unterwerfen sich der Scharia oder sie werden sterben durch das Schwert. Seitdem sind auch die letzten 25 000 Gläubigen aus der Stadt geflohen. Ihre Häuser und Autos wurden von den Extremisten beschlagnahmt, ihre Wertsachen geplündert. Mausoleen von Sufis und schiitische Moscheen finden als „heidnische Tempel“ genauso wenig Gnade. Mindestens zwanzig Gebetshäuser wurden allein in der Provinz Niniveh in den vergangenen vier Wochen in die Luft gesprengt.

Seinen gewalttätigen Dschihad propagiert der IS auch über digitale Medien. Die Online-Zeitschrift „The Islamic State Report“ wirbt für ein Leben im neuen Kalifat, für das kürzlich die ersten 11.000 Pässe ausgegeben wurden. Mit dem eigenen Twitter-Dienst werden Freiwillige rekrutiert und Spenden eingeworben. Auf Facebook dagegen werden vor allem Morddrohungen gegen Kritiker publiziert.

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