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Schlechte Aufklärung. Verteidigungsminister Thomas de Maizière bleibt viele Antworten schuldig. Die Geschichte reicht bis ins Jahr 2001 zurück.

© dpa

Thomas de Maizière und die "Euro Hawk"- Affäre: Verteidigungsminister im Sinkflug

Der Minister schweigt, doch schon jetzt ist klar: Diese Drohnen-Geschichte wird Thomas de Maizière nicht mehr los. Eine halbe Milliarde hat die Entwicklung des "Euro-Hawk" verschluckt, bevor er das Projekt stoppte. Alle fragen nur: Wieso erst jetzt?

Von Robert Birnbaum

Politik kann manchmal zum Verzweifeln einfach sein. Zum Beispiel lässt sich jetzt schon vorhersagen, wie der Vormittag des Thomas de Maizière am 5. Juni 2013 verlaufen wird. Morgens um neun wird der Bundesminister der Verteidigung an einer Batterie von Fernsehkameras vorbei den Raum 2700 im Paul-Löbe-Haus betreten. In dem Raum tagt der Verteidigungsausschuss des Bundestages, und de Maizière hat den Abgeordneten für diesen Mittwoch eine ausführliche Chronologie der Ereignisse versprochen. So ungefähr zwei, drei Stunden später wird der Minister wieder rauskommen und vor den Kameras versichern, dass jetzt alles geklärt und alle Vorwürfe gegenstandslos seien. Danach werden sich die Verteidigungsexperten der Opposition vor den gleichen Kameras aufbauen. Und es ist jetzt schon sicher, was dann kommt: „Diese Chronologie“, werden sie sagen und dabei Gesichter ziehen, in die der Vorwahlkampf besonders tiefe Sorgenfalten gräbt, „diese Chronologie wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet“.

Womit dann endgültig klar sein wird: Diese Drohnen-Geschichte wird er nicht mehr los. Dafür ist sie ja auch einfach zu groß, die Drohne ebenso wie die Geschichte dieses „Euro Hawk“. 15 Tonnen schwer, 40 Meter Spannweite, ein fliegender Pottwal, der am Rand der Atmosphäre ferngelenkt die halbe Welt umkreist und von da oben alles mitkriegt, was am Boden funkt und sendet – von der SMS bis zum Flugabwehrradar. Ein tolles Gerät, nur, leider, fliegen darf es hierzulande eigentlich nicht. „Nicht genehmigungsfähig“ heißt das in der Bürokratensprache der Flugaufsichtsbehörden. De Maizière hat das Projekt gestoppt, bevor es noch mehr Geld verschlingt. Eine gute halbe Milliarde Euro ist jetzt sowieso erst mal futsch. Vielleicht hat er ja sogar gedacht, dass ihm jemand das Durchgreifen dankt. Aber keiner dankt ihm. Alle fragen nur: Wieso erst jetzt?

Das ist eine durchaus berechtigte Frage. Aber de Maizière hat sich selbst vorerst Schweigen verordnet. Seit das bevorstehende Ende des „Euro Hawk“ durch einen Bericht in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vorzeitig publik wurde, hat sein Staatssekretär Stéphane Beemelmans kurz im Verteidigungsausschuss berichtet und de Maizière selbst den Haushältern des Parlaments. Am Tag darauf hätte er im Bundestag Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt. De Maizière hat aber nur verkündet, dass er an dem besagten 5. Juni eine umfassende Chronologie vorlegen werde, und ansonsten seine Regierungserklärung zur Bundeswehrreform abgegeben, wie es die Tagesordnung befahl. Sogar den Satz mit der Fehlerkultur hat er im Manuskript gelassen: „Eine Fehlerkultur auf allen Ebenen wollen wir ermöglichen.“ Die Opposition hat dem mit verschränkten Armen zugehört und still bei sich gedacht, dass sie ihn da noch beim Wort nehmen wird.

Seither wächst der Skandal, genauer gesagt: Das Bild, das sich das Publikum von ihm macht. Kein Tag ohne neue „Euro Hawk“-Story. Kein Tag, an dem nicht irgend ein Sozialdemokrat oder Grüner auf Aufklärung dringt. Weil die Nachrichtenredaktionen in der Zeit um Pfingsten sonst keine Neuigkeiten haben, wird das jedesmal bundesweit prominent verbreitet. Kein Tag auch, an dem nicht irgend ein Detail bekannt wird, das sich zu einer Erzählung von Chaos im Hause de Maizière zu fügen scheint. Und weil niemand amtlich widerspricht, wird diese Erzählung täglich größer. Erst am Mittwoch hat der Grünen-Spitzenkandidat Jürgen Trittin dem noch halb verschlafenen „Morgenmagazin“-Publikum sogar mitgeteilt, dass der Verteidigungsminister ein Gesetzesbrecher sei, weil sein Ministerium dem Bundesrechnungshof Unterlagen über das „Euro Hawk“-Projekt verweigert habe.

Darauf immerhin hat de Maizière dann doch reagiert: Die Rechnungsprüfer, hat er am Donnerstag verkündet, kriegten nun alles, was sie wollten, auch geheim gestempelte Details. Er ein Rechtsbrecher – wahrscheinlich gibt es keinen schlimmeren Vorwurf, den man de Maizière machen kann.

Außer vielleicht einem: dass er die Dinge in seinem Verantwortungsbereich nicht im Griff habe. Das will er sich nicht sagen lassen. Das kratzt nicht nur an dem Bild, das sich die Leute von ihm machen. Das würde auch sein Selbstbild in Frage stellen. Aber genau da liegt sein zentrales Problem in dieser ganzen Affäre. An den letzten Preußen in Angela Merkels Kabinett werden härtere Maßstäbe angelegt als an andere. Er ist, mit anderen Worten, das ideale Opfer.

Persönlich in Frage gestellt war de Maizière bisher nie

Für de Maizière ist das ein ungewohnter Zustand. Er ist mit seinen 59 Jahren jetzt seit gut drei Jahrzehnten in der Politik, hat einiges erlebt und auch einiges getan, was er im Nachhinein selbst als misslungen wertet. Persönlich in Frage gestellt hat ihn nichts davon. Öffentlich gejagt worden ist er auch bisher nicht; eher im Gegenteil. Als der Sohn des legendären Bundeswehr-Generalinspekteurs Ulrich de Maizière im März 2011 das Wehrressort vom zurückgetretenen Lügendoktor Karl-Theodor zu Guttenberg übernahm, ging ein Aufatmen durch die Szene: Wer, wenn nicht der könnte die großspurig angekündigte Bundeswehrreform auf ein vernünftiges Gleis setzen? Selbst Sozialdemokraten haben bisher so etwas wie eine Beißhemmung gegen den Mann, der ihnen als Angela Merkels Kanzleramtschef zur Zeit der großen Koalition als außergewöhnlich fairer Partner in Erinnerung geblieben ist.

Und de Maizière hat alles getan, um den vorteilhaften Ruf des soliden Machers zu untermauern. Hat nach Amtsübernahme durchblicken lassen, dass Guttenberg ihm so gut wie nichts Brauchbares hinterlassen habe. Hat der neuen Armee ohne Wehrpflicht eine Generalüberholung nebst massiver Umsortierung der Standorte verordnet, die, so hat er das selber erzählt, einem Ratschlag des Vor-Vorgängers Peter Struck folgte: „So rational wie möglich! Keine politischen Kompromisse! Und hinterher nicht wackeln!“ Mit dem inzwischen verstorbenen Niedersachsen hat der Hugenotten-Nachkomme sich ohnehin ganz gut verstanden: Zwei raubauzige Typen, die knappe Sätze bevorzugen.

Manchmal fallen sie zu raubauzig aus. Als er neulich in einem Interview die eigene Truppe zusammenstauchte – die Soldaten sollten endlich aufhören, nach öffentlicher Anerkennung zu „gieren“ –, musste er Abbitte leisten. Als er in der kontroversen Debatte um Kampfdrohnen kurzerhand alle Waffen für grundsätzlich „ethisch neutral“ erklärte, war wieder ein Rückzug fällig.

An seiner starken Stellung im schwarz- gelben politischen Gefüge haben solche kleinen Haltungsfehler nichts geändert. De Maizière gilt seit Jahren als der Mann, der das Kanzleramt nahtlos übernehmen würde, wenn Angela Merkel plötzlich ausfiele. Nicht nur, weil er einer von Merkels ältesten Vertrauten ist – er hat sie, damals West-Berater der letzten DDR-Regierung, seinem Vetter Lothar de Maizière als Vize-Regierungssprecherin empfohlen. Sondern eben auch, weil ihn jeder als hoch effektiven Macher einschätzt. Einer, der sich ein Kanzleramt politisch nie erkämpfen könnte, weil er dazu viel zu wenig Spaß an Bierzelt-Atmosphäre hat; einer aber auch, der ein Kanzler-Amt vernünftig ausfüllen könnte. Versteht sich, dass ihn dieser Ruf erst recht zum lohnenden Opfer oppositioneller Nachstellungen macht.

Der Spruch mit den „ethisch neutralen“ Waffen hängt ihm übrigens in der aktuellen Drohnen-Geschichte nach. Denn er belegt in seinem Übereifer für jedermann sichtbar, was in der Fachwelt ohnehin bekannt ist: de Maizière sieht in unbemannten Flugkörpern die Waffentechnik der Zukunft, egal ob sie zur Aufklärung dienen wie der „Euro Hawk“ oder als ferngelenkte Kampfroboter dorthin fliegen, wo sonst Soldaten den Kopf hinhalten müssten. Noch im Januar hat er allen Skeptikern im Bundestag zugerufen: „Wir können nicht sagen, wir bleiben bei der Postkutsche, wenn alle anderen die Eisenbahn entwickeln!“ Dem würden die Experten von SPD und Grünen so ganz abstrakt nicht einmal widersprechen. Konkret zitieren sie den Satz allerdings dieser Tage gerne, um ihn gegen den Minister zu wenden. Liegt es nicht nahe, so lautet ihr Verdacht, dass einer, der sich derart für die Drohne stark macht, bei den Problemen mit dem „Euro Hawk“ beide Augen zugedrückt hat, bis es wirklich nicht mehr weiterging? Hat er nicht selbst vorige Woche im Haushaltsausschuss bestätigt, dass er nach der Amtsübernahme für die Weiterführung des Projekts entschieden habe?

Wo doch spätestens seit dem Überführungsflug des Prototyps aus den USA nach Manching bei München klar geworden sei, dass der Riesenvogel nicht mal in den USA von der Zivilluftfahrtbehörde genehmigt war – von Europa zu schweigen?

De Maizière wird viel zu erklären haben an jenem 5. Juni. Schon, weil die Vorgeschichte des Euro-Falken bis zu Rudolf Scharping ins Jahr 2001 zurückreicht. Und weil er plausibel machen muss, wieso man bis vor kurzem noch geglaubt hat, dass sich die Probleme mit dem TÜV der Lüfte doch in den Griff kriegen lassen, irgendwie. Vor allem aber, weil er gegen eine Erzählung ankämpfen muss, die bis dahin drei Wochen Zeit gehabt hat sich festzusetzen: Die Erzählung von der hochnotpeinlichen Millionenpleite, die doch jeder seit Jahren kommen sehen und viel früher hätte verhindern müssen. Vielleicht ist er sich im Moment ja nicht mal selbst sicher, ob da nicht sogar etwas dran ist. Und Thomas de Maizière wäre dann der Erste, der sich das selber nur sehr schwer verzeihen könnte.

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