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Thüringens Verfassungsschutz: Helmut Roewer - Der Ex mit List und Lücke

Pannen, Intrigen: Thüringens Verfassungsschutz ist eine dubiose Behörde gewesen. Jetzt prasseln Vorwürfe auf Helmut Roewer ein, ihren früheren Chef. Er soll mitschuldig sein an der Entstehung der Nazi-Terrorzelle. Das empört ihn - er findet keine Fehler.

Plötzlich wirkt der Mann zerbrechlich, ja geradezu hilflos. Drei Stunden dauert das Gespräch mit ihm bereits, aber zum ersten Mal hat man das Gefühl, dass Helmut Roewer die Worte fehlen, dass er keine Erklärung hat. Es sieht jetzt aus, als ringe der Bürger Roewer mit dem ehemaligen Thüringer Verfassungsschutzchef Roewer um die richtigen Sätze. Die ganze Zeit hat er souverän seine Antworten gegeben, nun stöhnt er kurz auf und sagt: „Ich suche ernsthaft nach meinem Fehler, aber ich finde ihn nicht.“

Der Mann, den jetzt die halbe Republik mitverantwortlich dafür macht, dass die Nazi-Terrorzelle aus Jena/Zwickau überhaupt entstehen und später morden konnte, sagt kleinlaut, er sei doch genauso empört wie alle.

Es könnte ein Augenblick ehrlicher Besinnung sein. Dann fällt einem ein, was Roewer am Anfang dieses Treffens in einem Hotel in Weimar, Thüringen, gesagt hat. Dass Geheimdienste nun mal Dinge tun dürfen, die normale Bürger nicht dürfen, Tarnfirmen gründen etwa oder falsche Tatsachen vorspiegeln. Auch er hat das getan, ausgiebig, dafür musste er sich sogar vor Gericht verantworten, obwohl sein Tun, beispielsweise die Gründung einer Tarnfirma, aus seiner Sicht von den Gesetzmäßigkeiten des Amtes gedeckt war. Am Ende wurde das Verfahren gegen eine Zahlung von 3000 Euro eingestellt. Jedenfalls lügen und betrügen Geheimdienstler sozusagen von Amts wegen. Kann man ihnen also überhaupt nur ein Wort glauben, auch wenn sie schon lange nicht mehr im Amt sind?

Roewer holt einen, im geringelten Pulli mit Sakko und rotem Schal, sogar vom Gleis am Bahnhof ab. Man fühlt sich ein bisschen wie in einem konspirativen Film, weil er ja ein Geheimdienstler war, ein oberster Schlapphut sozusagen, aber es geht hier nicht um Fiktion, sondern um zehnfachen Mord, um ein unfassbares Versagen deutscher Behörden. Um das Entstehen einer Terrorzelle vor den Augen der Verfassungsschützer, die alle Beteiligten kannten.

Es gibt über Helmut Roewer schon viele geschriebene Urteile. Wenn man Menschen nach ihm fragt, fehlt selten der Hinweis, dass er ein komischer Vogel sei, der mit bizarren Auftritten von sich reden machte. 1999, als Weimar Kulturhauptstadt Europas war, ist er im Ludendorff-Kostüm mit Pickelhaube aufgetreten. Gern wird verschwiegen, dass er gleichzeitig Ludendorffs Pferd spielte, das Pferd wiederum nichts Gutes über seinen Herren zu sagen hatte und an 99 anderen Stellen der Stadt ähnliche historische Comedy aufgeführt wurde.

Roewer tauchte auch auf bei einer rechten Demonstration und machte Fotos, angeblich, weil gerade kein anderer Mitarbeiter zur Verfügung stand, prompt wurde er selbst fotografiert und landete auf dem Titel der „Bild“. Er soll,so lauten Vorwürfe, selbst V-Männer geführt und über eine eigene Handkasse in seinem gepanzerten Präsidentenschrank verfügt haben. Aber ist das nicht die Aufgabe, Informanten anwerben? Roewer sagt, dass er „in wenigen Einzelfällen Kontakte zu V-Männern hatte. Das ist kein piekfeines Geschäft, weil Sie es mit Menschen zu tun haben, die andere gegen Geld verraten.“

Roewer gilt seinen Gegnern auch als „Grenzgänger nach rechts“, der den Rechtsextremismus verharmlose. Es gibt dafür keine Beweise, nur Indizien. Die Linke sagt, der thüringische Verfassungsschutz unter Roewer habe die Gründung der rechtsextremen Organisation „Thüringer Heimatschutz“ selbst betrieben. Fraktionschef Bodo Ramelow etwa, der selbst vom Verfassungsschutz bespitzelt wurde, sagt: "Der Verfassungsschutz hat die rechte Szene in Thüringen durch die lasche Haltung zur rechten Gewalt und über die gut bezahlten V-Männer erst wirklich stark gemacht."

Jedenfalls haben alle diese Urteile und Vorurteile den Ruf Roewers ruiniert. Und so ist der Mann, 61 Jahre und von fast zierlicher Statur, auch gekommen, um sich zu wehren. Er tut dies meist gelassen im roten Sessel sitzend, das schmale Kreuz durchgedrückt, er redet ohne Eile und nur selten mit Bitterkeit. Er kann sehr selbstironisch sein, und wenn er dann lacht, sind seine ohnehin schmalen Augen kaum noch zu sehen. Ein dröger Beamtentyp sitzt einem hier wohl eher nicht gegenüber. Eher ein stolzer, mit Sicherheit ein in seinem Stolz gekränkter Herr.

An die entscheidenden Tage im Februar 1998, als die Thüringer Polizei in Jena eine Garage öffnen ließ, in der sie 1,4 Kilo TNT fand und endgültig klar wurde, dass das Trio Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos bereit zum Töten war, erinnert sich Roewer noch ziemlich genau. Ein Mitarbeiter habe ihm berichtet, man sei ziemlich sicher, dass die Verdächtigen Sprengstoff hätten. Und man wisse auch, wo. Roewer sagt, er habe sofort veranlasst, dass diese Information unverzüglich an die Polizei zu gehen habe. Er sei sicher gewesen, dass die Polizei zupacken würde.

Aber was passierte dann? Erfahren Sie mehr auf der nächsten Seite.

Aber es war vom Vorgang her, wie er sagt, ein Routineaustausch unter Sachbearbeitern auf der Ebene Verfassungsschutz und LKA. Roewer wartete also nicht unbedingt auf heißen Kohlen sitzend auf Rückmeldung, er ließ den Dingen ihren Lauf. Nur es kam keine Rückmeldung. Das LKA hatte zwar jene Garage geöffnet und auch Sprengstoff gefunden, hatte Böhnhardt sogar einen Durchsuchungsbefehl gezeigt, dennoch konnte das Trio flüchten. Roewer sagt, er sei damals fassungslos gewesen, als sein Mitarbeiter ihm die Nachricht übermittelte, dass ein Zugriff ausgeblieben war. „Wir haben doch alles getan, und dann werden die nicht festgenommen.“

Es gibt derzeit viele Gerüchte, die sich mit der Frage beschäftigen, ob es Lecks bei der Polizei gegeben haben könnte, ob die Gruppe gewarnt wurde. Manche dieser Vermutungen fußen angeblich auf Roewers Andeutungen. Aber Roewer hat bis heute keinen einzigen Beweis geliefert, dass Personen aus der Polizei mit den Rechtsextremen zusammengearbeitet haben. Er macht auch nicht den Eindruck, als hielte er Beweise zurück.

Schon nach dem verpatzten Zugriff in Jena, sagt Roewer, sei „Argwohn“ aufgekommen. Das Innenministerium habe undichte Stellen in der Polizei vermutet. Das passt zumindest zu einer anderen Weisung, die Roewer, lange vor 1998 bekommen haben will. In dieser Weisung sei es darum gegangen, „möglichen illegalen Abfluss von Informationen aus den Polizeibehörden zu untersuchen“. Er fügt aber hinzu, dass dieses amtlich formulierte Misstrauen allgemein gehalten war, nicht „wegen eines gezielten Verdachts der Kumpanei mit Rechtsextremisten“. Geheimdienstler beherrschen das Geschäft der vagen Andeutung ziemlich gut.

Nach der Panne stand auch Roewer unter Druck, weil das Innenministerium, ja weil alle Sicherheitsbehörden Thüringens unter Druck standen. Erstmals erzählt Roewer Details zum weiteren Verlauf, er sagt: „Wir haben danach erneut alles versucht, wir haben gesucht, wir sind an die Leistungsgrenzen gegangen, deshalb haben wir auch Hilfe von anderen Diensten erbeten und erhalten. Wir haben observiert, Telefone abgehört, Peilsender verwendet und sind unter Vorspiegeln falscher Tatsachen ins mutmaßliche Umfeld des Trios eingedrungen. Alles Maßnahmen, für die mich die Hüter der öffentlichen Moral fertiggemacht hätten, wenn sie damals ruchbar geworden wären.“

Man kann nicht nachprüfen, ob Roewer die Wahrheit sagt, man kann sich aber wundern. Was ist das für ein Milieu, in dem ein solch ungeheuerlicher „Argwohn“ aufkommen kann, in dem anscheinend ein Klima des gegenseitigen Misstrauens herrschte zwischen den wichtigsten Institutionen, die die Bürger doch schützen sollten?

Insider, die damals zugegen waren, sagen, man müsse sich die Sicherheitsbehörden in Thüringen nach der geplatzten Festnahme 1998, spätestens aber mit der Enttarnung zweier V-Männer des Verfassungsschutzes wie ein „Tollhaus“ vorstellen. Niemand habe gewusst, wer für was zuständig sei. In den Behörden verdächtigte man sich gegenseitig der Intrige, hohe Kriminalbeamte wurden plötzlich versetzt, es verschwanden zwei Festplatten eines Mitarbeiters aus dem Innenministerium, der für den Geheimdienst zuständig war, und Roewer musste 2000 gehen, weil er anscheinend unkontrolliert mit Honorargeldern operiert und selbst unter einem Decknamen agiert hatte.

Kurz vor Roewers Abberufung schreibt ausgerechnet der Leiter des Referats für Rechtsextremismus dem Innenminister Christian Köckert einen Brief und fordert unverhohlen die Ablösung Roewers, weil dessen Verhältnis zu den Mitarbeitern zerrüttet sei. Roewer wiederum hatte den Mann für untauglich gehalten, konnte ihn aber nicht loswerden, weil er im Personalvorstand saß. Schon kurz nach Roewers Abgang und dem Outing eines lange Zeit vorher von ihm selbst abgeschalteten V-Manns wirbt das Amt unter seinem Nachfolger den Neonazi wieder an. Bald darauf wird ein Brandanschlag auf die Erfurter Synagoge zunächst linken Gruppen angelastet. Es waren Neonazis.

Es sind Kleinigkeiten, die sich zu einem Berg aus Kleinst-Skandalen türmen. Ein paar Tage nach Roewers Beurlaubung werden Akten aus seinem Panzerschrank entnommen, die noch immer verschwunden sind. Bis heute halten sich Gerüchte, dass in dem Panzerschrank interne Informationen lagen etwa über Verstrickungen der Polizei in die Rotlicht- und Immobilienszene.

In diesem dubiosen Milieu überlebten nur die, die über Herrschaftswissen verfügten. Eine Episode lässt das erahnen: Mit dem Referatsleiter, der seine Abberufung forderte, stritt sich Roewer auch mit anwaltlicher Hilfe. Dieser Anwalt war später der Sonderermittler gegen Roewer selbst, als es um dessen angebliche illegalen Handlungen ging. Roewer flog. Später wiederum folgte der Anwalt seinem Auftraggeber ins Amt und wurde Nachfolger von Innenminister Köckert.

Wie geht Roewer mit diesen Ungereimtheiten um? Erfahren Sie mehr auf der nächsten Seite.

Roewer bestellt einen zweiten Milchkaffee. Er sagt dann sehr ruhig: „In meiner Zeit als Beamter habe ich viele korrupte Strukturen in Politik und Gesellschaft gesehen.“ Gesetzwidrige Aufträge habe er aber bis zum Beginn des letzten Jahres seiner Amtszeit nicht erhalten. Erst dann hatte er den Eindruck, dies sollte sich ändern. Schon wieder so eine Andeutung. Roewer erzählt, dass ihm Jahre später ein ehemaliger Staatssekretär gesagt habe, dass er, Roewer, „weg musste, weil er politisch nicht passte“.

All das geschah in Thüringen zu einer Zeit, in der, wie sich herausstellen sollte, eine der gefährlichsten rechtsextremen Gruppen in den Untergrund abtauchen konnte. Dabei finden sich in Verfassungsschutzberichten die Namen des späteren Terror-Trios, es wird schon 1996 vor einer möglichen rechtsterroristischen Vereinigung gewarnt. 2010 heißt es im thüringischen Verfassungsschutzbericht: „Thüringen zählt zu jenen Bundesländern, in denen die Einbeziehung von Neonazis in die NPD am weitesten fortgeschritten ist.“

Bevor Roewer 1994 Verfassungsschützer wurde, war er zehn Jahre lang ein geachteter Beamter im Bundesinnenministerium. In Thüringen interessierte ihn aber die Arbeit als Extremistenjäger nicht besonders, er wollte lieber ein modernes Verfassungsschutzamt schaffen, offener, wissenschaftlicher. Roewer, sagen Weggefährten, wollte zeigen, dass das Amt auch praktische Politikberatung leisten könne. 1997 fordert er die Verfassungsschützer der Länder auf, eine Bestandsaufnahme der praktischen Arbeitsergebnisse vorzunehmen. Die jährlichen Berichte der einzelnen Ämter hielt er für nicht ausreichend. Er wurde als Außenseiter abgetan.

Am Ende des Gesprächs guckt Roewer so traurig, als könne er den ganzen Trümmerhaufen von Fehlern, Pannen und Intrigen vor sich sehen. Er sagt, er habe doch in diesem Amt gelebt, und das sei vielleicht sein größter Fehler gewesen. Seine Leistungsbilanz fällt dementsprechend aus. Trotz aller Mühe, die Rechten zu fassen, sagt er, „fehlt ganz einfach das Ergebnis“.

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