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Flüchtlinge am Landesamtes für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) in Berlin

© dpa

Transitzonen für Flüchtlinge: Worüber die große Koalition jetzt streitet

Künftig könnte in sogenannten Transitzonen an deutschen Grenzen im Eilverfahren über Asylanträge entschieden werden. Wie soll das funktionieren?

Die große Koalition ringt um die richtige Reaktion auf die steigenden Flüchtlingszahlen. Die Länder sollen entlastet, die Einwanderung eingeschränkt oder zumindest kanalisiert werden. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) hat seinen Kollegen einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem an deutschen Grenzen künftig schneller über Asylgesuche entschieden werden könnte. Der Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung, Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU), kündigte eine Entscheidung binnen Wochenfrist an. Zwar hat Kanzlerin Angela Merkel die Erwartungen an die Transitzonen am Montag etwas zu dämpfen versucht. Dennoch ist die Diskussion nun in vollem Gang.

Was steht im Gesetzentwurf des Innenministeriums?

Der 75-seitige Referentenentwurf aus dem Innenministerium wird derzeit innerhalb der Regierung diskutiert. Gestützt auf zwei europäische Richtlinien, die sogenannte Asylverfahrensrichtlinie und die Aufnahmerichtlinie, sieht er Änderungen im deutschen Asylgesetz vor. Dabei sollen Asylgesuche auch „an der Grenze, auf den Hoheitsgewässern oder in den Transitzonen“ möglich sein. Es würde zusätzlich zu den bereits bestehenden Schnellverfahren an Flughäfen eine ähnliche Möglichkeit an Landesgrenzen geben.

Das 1993 für Flughäfen eingeführte Schnellverfahren sieht vor, dass Flüchtlinge, die aus einem sicheren Herkunftsland oder ohne gültige Papiere einreisen, in einer geschlossene Flüchtlingsunterkunft auf dem Flughafen festgehalten werden, bis über ihre Einreise entschieden ist. Lehnt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) den Asylantrag innerhalb von 48 Stunden als „offensichtlich unbegründet“ ab, können Flüchtlinge dagegen innerhalb von weiteren drei Tagen vor einem Verwaltungsgericht klagen. Das Gericht muss dann binnen vierzehn Tagen über den Eilantrag entscheiden.

Die Anhörung an der Grenze soll „nach einer erforderlichen Grundschulung“ auch von den Grenzbeamten durchgeführt werden können. Problematisch für die SPD-Minister ist vor allem der geplante Paragraf 33a. Danach könnten Flüchtlinge in diesen geplanten Einrichtungen bis zu drei Monate „auf richterliche Anordnung in Haft genommen werden“, um über das „Recht auf Einreise in das Bundesgebiet zu entscheiden“.

Wie verträgt sich der Ansatz mit EU-Recht?

Die Einrichtung von Kontrollstellen „an der Grenze oder in Transitzonen“ ist nach EU-Recht grundsätzlich möglich. Die Richtlinie zum Asylverfahren ist seit 2013 in Kraft, allerdings wurde sie, trotz Fristablauf, noch nicht in deutsches Recht umgesetzt. Artikel 43 will den EU-Staaten die Möglichkeit geben, Anträge auf internationalen Schutz in festgelegten Verfahren an Ort und Stelle prüfen und entscheiden zu können. Ein solches Verfahren soll unter anderem dann möglich sein, wenn der Antragsteller illegal eingereist ist und sich danach nicht zügig bei den Behörden gemeldet, falsche Angaben gemacht oder Reisedokumente mutwillig vernichtet hat. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, die Fälle innerhalb einer „angemessenen Frist“ zu entscheiden. Dauert es länger als vier Wochen, muss zunächst die Einreise gestattet und der Antrag in den üblichen Verfahren bearbeitet werden.

Nach Absatz 3 der Vorschrift können die beschleunigten Verfahren auch angewandt werden, wenn eine „erhebliche Anzahl von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen“ ankommt, allerdings nur, solange sie „normalerweise in der Nähe der Grenze oder der Transitzone untergebracht werden“. Der Absatz richtet sich offenbar an Länder mit EU-Außengrenzen und wirft die Frage auf, ob die Regelung, soweit sie Kontrollen „an der Grenze“ betrifft, insgesamt auf die Außengrenzen gemünzt ist und es „Transitzonen“ nur auf Flughäfen geben darf.

Die Bundesregierung hat also nicht automatisch grünes Licht der EU-Kommission. Würden beispielsweise Transitzonen an der Grenze zwischen Deutschland und Österreich eingerichtet, müsste geprüft werden, in wie weit sich dies mit der Schengener Vereinbarung verträgt, die keine Grenzkontrollen mehr vorsieht. Die EU-Kommission wacht über die Einhaltung des Schengener Grenzkodexes. Dieser Kodex erlaubt Kontrollen im Schengen-Raum – allerdings nur vorübergehend. Deutschland führt seit dem 13. September an der Grenze zu Österreich wieder Kontrollen durch.

Wie soll die Idee der Transitzonen praktisch umgesetzt werden?

Dazu gibt es bisher wenig Antworten. Das Innenministerium hält sich zu Details komplett bedeckt. Auch die bayerische Staatsregierung, die neue Transitzonen für Flüchtlinge an der Grenze am entschiedensten fordert, hat noch keinen konkreten Plan: „Das wird nun alles geprüft“, sagte ein Sprecher von Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Parteichef Horst Seehofer und Herrmann hatten am Montag lediglich gesagt, dass die Union sich in der Forderung nach diesen Zonen einig sei. In den Transitbereichen sollen laut dem Sprecher „Schnellverfahren für Menschen aus sicheren Drittstaaten“ abgehalten werden, sowie für Flüchtlinge, die illegal über die Grenze eingereist seien und keine Ausweispapiere hätten.

Kritik und Zustimmung

Welche Argumente haben die Kritiker?

In der großen Koalition führt das Thema Transitzonen zu heftigem Streit. Während sich Politiker von CDU und CSU durch die Einrichtung solcher Zonen eine Begrenzung der Flüchtlingszahlen versprechen, halten Sozialdemokraten sie für Haftanstalten für tausende Menschen und lehnen sie ab. CSU-Chef Horst Seehofer teilte am Montag in München mit, er habe sich mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bereits auf die Einrichtung der Transitzonen geeinigt. „Ich kann heute mitteilen, dass wir uns verständigt haben zwischen CDU und CSU, jetzt für Transitzonen einzutreten“, sagte er.

Im Laufe dieser Woche werde man die Konzepte im Einzelnen ausarbeiten. Zusammen mit anderen Maßnahmen werde dies zu einer Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung führen. Auch Regierungssprecher Steffen Seibert kündigte an, die Verhandlungen in der Koalition sollten schnellstmöglich geführt werden. Als Kompromisslinie wurden Zentren genannt, in denen sich die Bewerber freiwillig anmeldeten.

In der SPD führt vor allem die Aussicht auf die Einrichtung von haftähnlichen Lagern zu Widerstand. Justizminister Heiko Maas (SPD) sagte der „Süddeutschen Zeitung“, wer Transitverfahren von Flughäfen auf Landesgrenzen übertragen wolle, schaffe „Massenlager im Niemandsland“. SPD-Vize Ralf Stegner sagte dem Tagesspiegel: „Wenn mit den sogenannten Transitzonen neue Abschiebegefängnisse ohne individuelle Prüfverfahren an den Grenzen gemeint sind, ist das nicht mit unserem Grundrechtsverständnis vereinbar.“ Statt neue Vorschläge zu machen, die unpraktikabel oder hinsichtlich ihrer Verfassungskonformität hochgradig zweifelhaft seien, sollten endlich die Vereinbarungen von Bund und Ländern konsequent umgesetzt werden, verlangte Stegner. Ähnlich äußerte sich SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann. Grünen-Chef Cem Özdemir kritisierte, für die Einrichtung der Transitzonen müssten 3000 Kilometer Grenze „mit Stacheldraht“ abgeriegelt werden.

Als einen „Irrweg“ sieht der Passauer Oberbürgermeister Jürgen Dupper (SPD) die Pläne an. Seine Stadt ist mit am meisten von den vielen neu ankommenden Flüchtlingen betroffen, wöchentlich sind es bis zu 20 000. „Niemand hat uns erklärt, wie das konkret ablaufen soll“, sagt Dupper. Den Vergleich mit den Zonen an Flughäfen hält er für falsch. Dort schaffe man es, Schnellverfahren für ein Dutzend Flüchtlinge zu machen. „Was ist aber, wenn wir 2000 am Bahnhof haben?“ An der deutsch-österreichischen Grenze sei ein solches Vorgehen nicht zu schaffen, weil es weder Personal noch eine so große Aufnahmeeinrichtung gebe. Für ihn stellt sich die Frage, „was man den Grenzregionen noch alles zumuten will“.

Unter den knapp 164 000 im September registrierten Flüchtlingen stammten zudem nur knapp 11000 aus den Westbalkanländern – gegen die sich aber ein Großteil der Rhetorik in Bayern richtet. Der weitaus größte Teil der Flüchtlinge stammt aus Syrien, dem Irak und Afghanistan. Für diese Menschen käme das Schnellverfahren ohnehin nicht in Frage.

Welche Reaktionen gibt es auf EU-Ebene?

Hier ist man vorsichtig. Nach den Worten des SPD-Europaabgeordneten Knut Fleckenstein hat „keiner einen echten Masterplan“ zur Lösung der Flüchtlingskrise. Deshalb solle man nach seiner Ansicht die Einrichtung von Transitzonen nicht von vornherein ausschließen, so lange daraus nicht „Abschiebebahnhöfe“ würden. „Das Asylrecht ist nicht verhandelbar“, sagt Fleckenstein. So müsse gewährleistet sein, dass jeder Schutzsuchende in Deutschland die Möglichkeit habe, einen Asylantrag zu stellen. Allerdings sei es denkbar, über eine Beschleunigung der Asylverfahren in Transitzonen nachzudenken, sagte der SPD-Europaabgeordnete.

Wie sind die Positionen der Bundesländer?

Die Innenminister schilderten Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bei einem Treffen im Kanzleramt, bei dem es zu Beginn lautstarke Auseinandersetzungen gegeben haben soll, eindringlich die prekäre Lage der Länder, aber auch der Polizei, der Feuerwehr, des Rotem Kreuzes und weiterer Hilfsorganisationen, „die auch nicht mehr können“. Die Länderminister der Union sprachen sich für die Einrichtung der Transitzonen aus, die Kollegen der SPD sagten trotz ihrer Bedenken nicht prinzipiell Nein. NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD) habe verfassungsrechtliche Hürden erwähnt, aber „den Sack nicht ganz zu gemacht“, heißt es. Es werde nun versucht, „das auf der Ebene der Ministerpräsidentenkonferenz zu lösen“, ist zu hören. (mit uls, pag, fan)

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