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Gefährliches Geschäft. Pharmafirmen aus dem Westen haben über Jahre hinweg und offenbar massenhaft Medikamentenversuche an DDR-Bürgern durchgeführt. Opferverbände fordern nun Entschädigung und Schmerzensgeld. Foto: Fotolia

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Medikamentenversuche in der DDR: Tröpfchenweise

In der Debatte um Arzneitests in der DDR fordern Politiker jetzt Aufklärung. Die Pharmaindustrie dagegen geht auf Tauchstation.

Die Ostbeauftragten der Parteien sind entsetzt, der Gesundheitsminister fordert rasche Aufklärung, Opferverbände rufen nach Entschädigung und Schmerzensgeld – doch im Parlament sind die massenhaften Medikamentenversuche westlicher Pharmafirmen an DDR-Patienten kein Thema. Die Grünen scheiterten am Dienstag mit ihrem Antrag auf eine Aktuelle Stunde – weil die Koalition lieber über rot-grüne Tempolimit-Pläne, die SPD über den Umweltminister und die Linken über den Verkauf von ostdeutschen Wohnungen diskutieren wollen. Und auch von den beteiligten Pharmafirmen war bisher weder ein Wort des Bedauerns zu hören noch eine Ankündigung, wie sie die notwendige Faktenklärung unterstützen wollen.

Landespolitiker sehen den Bund in der Pflicht. Der müsse jetzt „den Hut“ aufsetzen und die Aufklärung „unabhängig steuern“, forderte Thüringens Gesundheitsministerin Heike Taubert (SPD). Damit wäre dann wohl das Innenministerium gemeint, denn das sei schließlich, wie in anderen Ressorts deutlich gemacht wurde, „fürs DDR-Unrecht zuständig“. Er begrüße es, dass man dort aktiv werden wolle, ließ Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) schon mal verlauten, selber habe man ja leider keine Daten zu den Vorgängen. Doch im Ressort von Hans-Peter Friedrich (CSU) sind sie auch noch am prüfen. Man stehe „in Kontakt“ mit einem Forschungsprojekt des Instituts für Medizingeschichte an der Berliner Charite, sagte ein Sprecher. Man müsse „schauen, ob und wie wir uns daran beteiligen können“.

Klare Sache, meint der Erlanger Medizinhistoriker Rainer Erices. „Der Ball liegt beim Innenministerium, das soll nun Geld rausrücken, und alle anderen verstecken sich dahinter.“ Es könne aber nicht angehen, dass sich die Pharmaunternehmen nicht ebenso ihrer Verantwortung stellten. Und die beteiligten Uni-Kliniken müssten mittun – und wenigstens verbindlich zusichern, keine Patientenakten aus dieser Zeit zu vernichten. Die Aufbewahrung sei nun auch über die gewöhnliche 30-Jahres-Frist notwendig, pflichtete Brandenburgs Gesundheitsministerin Anita Tack (Linke) bei. Eine vollständige Aufarbeitung der Medikamententests werde allemal zwei bis drei Jahre in Anspruch nehmen, sagte Erices.

Der Verband der forschenden Pharmaunternehmen blieb bei seiner Position, dass „die Vorgaben für klinische Studien in der DDR mit denen westlicher Staaten vergleichbar“ gewesen seien. „Diese Standards wurden nach unserer Kenntnis auch eingehalten“, sagte Sprecherin Susan Knoll dem Tagesspiegel. Erst „wenn sich neuere Erkenntnisse ergäben, dass gegen die damals gültigen Gesetze und Standards verstoßen worden sein sollte, wäre die Zeit gekommen, über Konsequenzen zu reden“.

Auch Ärztepräsident Frank-Ulrich Montgomery warnte vor schnellen Urteilen. Bestimmte Medikamente seien in der DDR auf anderem Wege nicht erhältlich gewesen, sagte er dieser Zeitung. Und vor 30 Jahren hätten auch im Westen völlig andere rechtliche Rahmenbedingungen für Arzneistudien gegolten. Im Moment sei man in der Bundesärztekammer dabei, „die Bestimmungen der damaligen Zeit zusammenzutragen“. Davon sei alles weitere abhängig zu machen.

Den Fakt, dass auch der derzeitige Präsident der Ärztekammer Thüringens an den Arzneitests beteiligt war, wollte Montgomery nicht kommentieren. Nach Informationen des Medizinhistorikers Erices firmierte Mathias Wesser Ende der 80er Jahre als „Prüfleiter“ eines Herzmedikamentes der Firma Hoechst an der Klinik in Suhl. Für diese Studien fehlte laut Aktenlage vielfach das Einverständnis der Patienten. Wesser erklärte dazu, er könne sich nicht im Detail erinnern. Er sei sich aber sicher, dass „alle Patienten aufgeklärt und klinisch sehr gut betreut“ worden seien. „Wir haben nach bestem Wissen und Gewissen behandelt, und wie wir aus heutiger Sicht wissen, mit einem hochwertigen Medikament.“ Bei der Versuchsreihe an zwölf DDR-Kliniken kamen den Akten zufolge zehn Menschen zu Tode. Wesser arbeitet immer noch als Klinikarzt, als Funktionär sitzt er zudem im Vorstand der Bundesärztekammer.

Der gesundheitspolitische Sprecher der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, Peter Liese (CDU), forderte, die Untersuchungen auch auf die damals zuständigen Behörden im Westen auszudehnen. Gleichzeitig erinnerte er daran, dass es „auch heute noch zweifelhafte Arzneimitteltests am Menschen“ gebe. So seien in Indien zahlreiche Kinder Arzneimitteltests unterzogen worden, ohne dass ihre Eltern darüber aufgeklärt waren. Zudem erhielten Teilnehmer bei Gesundheitsschäden keine ausreichende Versorgung . „Die Europäische Union muss sich hier stärker engagieren“, sagte Liese. Nach bestehendem Recht dürfen Medikamente in Europa nur zugelassen werden, wenn bei den Tests die gleichen Standards gelten wie in der EU. Allerdings werde dies „nicht ausreichend umgesetzt“. Die Nichtzulassung für den europäischen Markt sei „ein sehr scharfes Schwert“, sagte Liese. „Aber wahrscheinlich muss man dieses Instrument einmal einsetzen, um wirklich Abhilfe zu schaffen.“

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