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Der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan.

© reuters

Türkei: Erdogan gibt Einflussnahme auf Medien zu

Weil er sich beleidigt fühlte, sorgte er dafür, dass er nicht weiter öffentlich kritisiert wird: Der türkische Premier gab zu, dass er sich während der Gezi-Proteste beim Nachrichtensender Habertürk beschwerte. Habertürk nahm daraufhin kritische Stimmen der Opposition vom Band.

Zum ersten Mal hat der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan öffentlich eingeräumt, sich direkt in die Programmgestaltung eines privaten Fernsehsenders eingemischt zu haben. Er habe während der Gezi-Proteste im vergangenen Jahr beim Nachrichtensender Habertürk angerufen und „beleidigende“ Botschaften der Opposition vom Laufband des Senders entfernen lassen, sagte Erdogan. Unrechtbewusstsein ließ er aber nicht erkennen.

Ein Mitschnitt des Telefongesprächs von Erdogan waren in den vergangenen Tagen im Internet aufgetaucht. Erdogan hatte während eines Besuches in Marokko im Juni Zeit gefunden, den Privatsender Habertürk in Istanbul anzurufen. Dem Telefon-Mitschnitt zufolge behandelte Erdogan das Habertürk-Vorstandsmitglied Fatih Sarac wie einen Untergebenen.

In dem - laut Pressemeldungen im Zuge von Korruptionsermittlungen mitgeschnittenen - Gespräch beschwerte sich Erdogan bei Sarac darüber, das im Laufband von Habertürk ausführlich über eine Rede von Nationalistenchef Devlet Bahceli berichtet wurde. „Was Bahceli sagt, ist lang und breit auf dem Band“, sagt Erdogan. Als Sarac beschwichtigend antwortet, er habe verstanden, sagt Erdogan. „Du sagst, ‚ich habe verstanden‘, aber warum zum Donnerwetter sind die Sachen immer noch da?“ Sarac verspricht, Bahcelis Botschaften sofort vom Laufband zu nehmen. Kurz darauf ruft Sarac einen Mitarbeiter an und ordnet an, den Bahceli-Text zu löschen.

Empfänglich für Interventionen

Habertürk gehört dem Unternehmer Turgay Ciner, einem der reichsten Männer der Türkei. Ciners Konzern engagiert sich unter anderem im Energie- und Bergbausektor – viele große Medien in der Türkei gehören zu Konzernen, die wichtige Wirtschaftsinteressen außerhalb der Medienbranche haben. Kritikern zufolge sind Medien dieser Art für politischen Druck besonders empfänglich, weil sie von ihren Mutterkonzernen benutzt werden, um die Chancen auf lukrative Aufträge und Ausschreibungen der öffentlichen Hand zu erhalten.

Wie groß dieser Druck ist, ließ Habertürk-Chefredakteur Fatih Altayli erkennen. Besonders in Zeiten einer starken Regierung seien die Einmischungen immens, sagte Altayli dem Nachrichtensender CNN-Türk. Auf der Ehre des Journalismus werde herumgetrampelt. „Jeden Tag regnet es Anordnung von irgendwo her. Alle haben Angst.“

Entlassungen, von oben angeordnet

Erdogans Anruf wegen des Habertürk-Laufbandes war nicht die einzige Intervention des Premiers. Die gleichnamige Tageszeitung aus Ciners Konzern hatte mit einer kritischen Überschrift zur Gesundheitspolitik der Regierung den Zorn Erdogans erregt. Wieder soll Erdogan den Habertürk-Manager Sarac angerufen haben. Drei Redakteure der Tageszeitung wurden darauf entlassen. Chefredakteur Altayli beteuerte, mit den Entlassungen habe er nichts zu tun gehabt; diese seien „von höherer Stelle“ angeordnet worden.

Jetzt wurde Erdogan bei einer Pressekonferenz in Ankara von einem Reporter der Zeitung „Zaman“ auf die Telefonate angesprochen. „Zaman“ gehört zu den Medien der Bewegung des des islamischen Predigers Fethullah Gülen, der von Erdogan als Staatsfeind betrachtet wird. Die Regierung wirft Gülens Anhänger vor, einen Staat im Staate gebildet zu haben, um Erdogan zu stürzen. Die Korruptionsvorwürfe gegen die Regierung seien Teil dieser Verschwörung.

 Beleidigungen und schnelle Schuldige

Entsprechend gereizt reagierte Erdogan auf die Frage des „Zaman“-Journalisten Ahmet Dönmez. Dieser sprach auch Berichte an, wonach Erdogan wohlgesonnene Geschäftsleute dazu gebracht haben soll, einen Medienkonzern zu kaufen, um ihn auf Regierungslinie zu bringen. Weiteren Spekulationen zufolge soll Erdogan grünes Licht für ein Bauprojekt an der Ägäis gegeben und dafür im Gegenzug zwei Villen erhalten haben. Hinter all diesen Vorwürfen stecke Gülen, sagte Erdogan. Dönmez selbst führe nur Befehle Gülens aus.

Seinen Anruf bei Habertürk rechtfertigte Erdogan damit, er habe gegen „Beleidigungen“ vorgehen müssen. Die Berichte über die Mediengruppe und die Villen an der Ägäis wies er zurück.

Kritiker werfen Erdogans Regierung schon lange vor, die Medien einzuschüchtern. Vergangene Woche war ein aserbaidschanischer Mitarbeiter von „Zaman“ aus dem Land geworfen worden, der von Erdogan wegen Beleidigung verklagt worden war. Der Premier und seine Anhänger wiederum sehen sich als Opfer einer Desinformationskampagne, die von Gülen und anderen Regierungsgegnern ausgehe. Erdogan und seine Regierungspartei AKP sollten vor den Kommunalwahlen am 30. März angegriffen werden. Erdogan sagte, dabei werde nach dem Motto vorgegangen, dass auch bei falschen Behauptungen „etwas hängen bleibt“.

Kuschen vor der Politik

Zuletzt hatten das von der AKP-Mehrheit im Parlament verabschiedete neue Internet-Gesetz bei der EU für Sorgen hinsichtlich der Meinungsfreiheit in der Türkei gesorgt. Das Gesetz, das der Regierung neue Vollmachten bei der Sperrung von Internetseiten gibt, liegt derzeit bei Staatspräsident Abdullah Gül. Er muss bis Ende Februar über eine Inkraftsetzung oder ein Veto entscheiden.

Die Enthüllungen über den Umgang der Erdogan-Regierung mit den Medien werfen ein schlechtes Licht auf beide Seiten. Wie sehr die großen Medien vor der Regierung kuschen, wurde erst diese Woche anschaulich demonstriert. Als am Dienstag die routinemäßigen Fraktionsreden der Spitzenpolitiker im Parlament von Ankara anstanden, wurde Erdogans Ansprache von allen großen Nachrichtensendern live übertragen. Wenig später trat Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu vors Mikrofon und spielte mitgeschnittene Telefongespräche ab, die nach seiner Meinung die Einflussnahme der Regierung auf den Medienbereich beweisen. Fast alle Nachrichtensender unterbrachen bei diesem Teil der Rede ihre Live-Übertragung.

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