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Proteste am Friedenstag in Istanbul: Die Polizei formiert sich hinter der Menschenkette.

© dpa

Türkei: Polizei verhindert Menschenkette am Gezi-Park

Am Weltfriedenstag rief die türkische Protestbewegung in Istanbul zur ersten größeren Aktion seit dem Frühsommer auf. Die türkischen Behörden fürchten ein Wiederaufflammen der Proteste.

Polizeikette gegen Menschenkette: Wer in der türkischen Metropole Istanbul am Sonntagmittag bei strahlendem Spätsommerwetter einen Spaziergang im Gezi-Park in der Innenstadt unternehmen wollte, der kam nicht weit. Eine Kette aus Polizisten sperrte den Park ab. Zudem drängten die Beamten auch Demonstranten ab, die sich neben dem Park auf dem Taksim-Platz versammelten und die sich die Hände zu einer Menschenkette reichten – zum Weltfriedenstag hatte die türkische Protestbwegung zum ersten Mal seit den Unruhen vom Juni zu einer größeren Aktion aufgerufen.

„Hand in Hand für den Frieden“ lautete das Motto der Menschenketten, die in Istanbul und mehreren anderen Städten der Türkei insgesamt mehrere tausend Teilnehmer zusammenbrachten. Für die Mitglieder der Protestbewegung ist das ein Zeichen, dass ihre Kritik an der Regierung in der Bevölkerung nach wie vor viel Unterstützung genießt. Mit so viel Zuspruch habe er nicht gerechnet, sagte Süha Yilmaz, einer der Mitorganisatoren der Menschenketten, am Sonntag dem Tagesspiegel. „Das heißt, es wird weitergehen“, sagte er.

Einige Beobachter in der Türkei rechnen mit einem „heißen Herbst“ mit neuen Straßenschlachten. In Istanbul machten die Behörden am Sonntag mit dem Einsatz von mehreren hundert Polizisten in Kampfmontur klar, dass sie selbst friedliche Kundgebungen der Protestbewegung um den Gezi-Park und den Taksim-Platz herum nicht dulden wollen. Immerhin gab es – anders als im Juni – keine gewaltsamen Auseinandersetzungen mit Verletzten.

Viele Teilnehmer der Menschenketten trugen als Zeichen des Friedens weiße Kleider, selbst Brautpaare reihten sich in die Ketten ein. Autofahrer bekundeten ihre Unterstützung mit der Hupe, manche Anwohner hängten türkische Fahnen an Fenster und Balkone. Einige Demonstranten riefen: „Dies ist erst der Anfang – der Kampf geht weiter.“

Sicher ist, dass Regierung, Polizei und Regionalbehörden in der Türkei drei Monate nach den schwersten regierungsfeindlichen Unruhen seit dem Amtsantritt von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan alles daransetzen, ein erneutes Aufflammen der Proteste zu verhindern. Die Demonstrationen waren mit Beginn der Sommerferien Ende Juni abgeflaut. Nun könnte es bald wieder losgehen, befürchtet die Regierung. Deshalb sollen Kundgebungen an den Universitäten zu Beginn des Wintersemesters in zwei Wochen unterbunden werden.

Kundgebungen in Istanbul mit Wasserwerfern aufgelöst

Entzündet hatten sich die landesweiten Demonstrationen im Frühsommer an einem Bauprojekt der Regierung im Gezi-Park, das inzwischen auf Eis liegt. Die Kundgebungen weiteten sich rasch zu einem Protest gegen Erdogans autoritären Führungsstil und gegen die überharte Polizeigewalt aus; sechs Menschen starben, mehrere tausend wurden verletzt.

Immer noch schimpft Erdogan fast täglich über die Demonstranten, die seiner Ansicht nach von der Opposition und vom türkeifeindlichen Ausland aufgehetzt wurden. Der Umgang der Regierung mit den Protesten ist ein Hauptthema des beginnenden Wahlkampfes für die Kommunalwahlen im März. Die Protestbewegung stellt zwar keine eigenen Bewerber für Lokalämter auf, fordert von Bürgermeister- und Stadtratskandidaten aber mehr Bürgerbeteiligung und mehr Umweltschutz.

Nicht zuletzt wegen der Wahlen regieren die Behörden allergisch auf alles, was nach neuen Protesten aussieht. Mehrere kleinere Kundgebungen in Istanbul und anderen Städten waren in den vergangenen Wochen mit Wasserwerfern und Tränengas aufgelöst worden. Am Sonntag hielt sich die Polizei zurück. Außer am Taksim-Platz und in der Umgebung von Erdogans Istanbuler Amtssitz ließen die Beamten die Teilnehmer der Menschenkette gewähren. Berichte über Verletzte oder Festnahmen lagen nicht vor.

Wie schwer sich die Behörden im Umgang mit spontanen Bürgeraktionen tun, zeigte in den vergangenen Tagen ein bizarrer Streit um eine ehemals graue Treppe in der Istanbuler Altstadt. Die 200 Stufen waren von Anwohnern auf eigene Initiative in den Farben des Regenbogens angemalt worden, doch die Stadtteilverwaltung ließ das Werk über Nacht in grauer Farbe wieder überpinseln, angeblich aufgrund von Beschwerden aus der Bevölkerung. Das Vorgehen der Behörden löste einen so großen Protest in der Presse und in den sozialen Medien aus, dass die Behörden einlenkten. Inzwischen haben die Anwohner die Treppe erneut bunt angemalt – diesmal mithilfe der Stadtverwaltung. Vielleicht schaffen es Behörden und Bürger in der Türkei, künftig auch andere Meinungsverschiedenheiten friedlich beizulegen.

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