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Protest. Türkische Frauen demonstrieren in Ankara gegen Zwangsheirat, Vergewaltigungen und häusliche Gewalt.

© AFP

Kinderehe in der Türkei: Schutz für anatolische Mädchen

Ein 20-Jähriger schläft mit seiner 14-jährigen Cousine. Die beiden werden verheiratet, um die Ehre des Mädchens wieder herzustellen. Jetzt hat ein Gericht mehrere Familienmitglieder zu Haftstrafen verurteilt. Die verstehen die Welt nicht mehr.

Haft wegen sexuellen Kindesmissbrauchs – so lautete das Urteil. Und die Angeklagten verstanden die Welt nicht mehr. Dass ihr 20-jähriger Sohn Mehmet nicht mit seiner 14-jährigen Cousine hätte schlafen sollen, das sah die Angeklagte Civan K. ja noch ein. Aber die kleine Panne vom Juni 2011 war doch längst bereinigt, meinte die 48-jährige, die in einem Dorf an der nordtürkischen Schwarzmeerküste lebt. Hatte sie sich doch mit ihrem Bruder rasch darauf verständigt, dass die jungen Leute einfach vermählt werden sollten. Ein Brautgeld von 2000 Lira (rund 900 Euro) wurde laut Zeitungsberichten vereinbart. Zwei Wochen später war das Paar getraut – von einem Dorfgeistlichen zwar nur, weil 14-Jährige nicht amtlich heiraten dürfen, dafür aber mit einem großen Fest.

Tausendfach kommt so etwas in den ländlichen Gegenden der Türkei vor, obwohl die Gesetze des Landes sowohl Geschlechtsverkehr mit Minderjährigen als auch Kinderehen verbieten. Doch wo es keinen Kläger gibt, da findet sich meist auch kein Richter – und so existieren archaische Sitten in den Dörfern von Anatolien oft ungestört in der modernen Republik weiter.

Fast jede dritte türkische Frau wird minderjährig verheiratet, in manchen Landesteilen ist es sogar jede zweite; und eine Ehe mit dem Peiniger gilt weithin als einziges Mittel, die Ehre eines vergewaltigten Mädchens und ihrer Familie zu retten. Umso wichtiger sind Urteile wie dasjenige, das in dieser Woche von einem Strafgericht in der nordtürkischen Provinzhauptstadt Zonguldak gefällt wurde und eine abschreckende Wirkung entfalten dürfte.

Dass der Fall überhaupt vor Gericht kam, ist freilich nur einem Zufall zu verdanken. In dem Schwarzmeerdorf war der Fehltritt mit der Vermählung jedenfalls aus der Welt, und die 14-Jährige lebte fortan als Schwiegertochter im Hause ihrer Tante mit ihrem Cousin zusammen. Dort hatte sie ursprünglich nur ein paar Nächte verbringen sollen, in der Obhut ihrer Tante, als ihre Eltern wegen der Krankheit eines ihrer Geschwister in eine weiter entfernte Stadt fahren mussten. Doch bis die Eltern zurückkehrten, war ihr Schicksal bereits besiegelt. „Nachdem ihr Cousin mit ihr geschlafen hat, blieb mir nichts anderes übrig, als sie mit ihm verheiraten zu lassen“, erklärte ihr Vater Riza K. später vor Gericht. Um seine Missbilligung auszudrücken, erschien er allerdings nicht zur Hochzeit.

Verhängnisvoller Beischlaf mit dem Cousin

Dabei wäre es wohl geblieben, wenn Brautvater und Schwiegermutter nicht über das Brautgeld in Streit geraten wären – und wenn die Schwiegermutter nicht so unvorsichtig gewesen wäre, deshalb die Justiz einzuschalten. Ihr Bruder bedränge sie wegen des Brautgeldes, beschwerte sie sich bei der Staatsanwaltschaft in der Kreisstadt Eregli. Die Anklagebehörde wollte davon zwar nichts wissen, interessierte sich aber umso mehr für die Hintergründe. Die ganze Sippe landete auf der Anklagebank.

„Ich bin sehr glücklich mit meiner Frau und werde sie auch amtlich heiraten, sobald sie das heiratsfähige Alter von 17 Jahren erreicht“, versicherte Bräutigam Mehmet K. vor dem Richter. „Ich bin sehr zufrieden mit meiner Schwiegertochter und werde dafür sorgen, dass sie auch amtlich getraut wird“, sekundierte seine Mutter, die sich vor Gericht über das Aufhebens der Justiz wunderte: „Wir haben die Hochzeit doch mit dem ganzen Dorf gefeiert.“

Das Mädchen selbst sagte zwar aus, dass sie den verhängnisvollen Beischlaf mit dem Cousin selbst gewünscht habe. Doch nach Ansicht des Gerichts spielte das keine Rolle, weil sie mit 14 Jahren ohnehin nicht mündig war.

Acht Jahre und vier Monate Haft für Mehmet K., den Cousin, so lautete das Urteil. Der Brautvater und die Schwiegermutter bekamen jeweils vier Jahre und zwei Monate wegen Beihilfe zum sexuellen Kindesmissbrauch. Damit endet der Fall für die Beteiligten jedoch nicht. Die Staatsanwaltschaft soll nun auch noch den Vorwurf der Freiheitsberaubung prüfen, entschied das Gericht.

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