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Türkische Universitäten: Kopftuch bleibt verboten - wird aber nicht mehr bestraft

Seit Jahren ist das Kopftuchverbot an den Universitäten eines der explosivsten innenpolitischen Themen in der Türkei - doch jetzt deutet sich ein unspektakuläres Ende des Disputs an.

Leises Knistern statt großer Knall: Mit einem Kunstgriff hat die türkische Hochschulbehörde den Bann gegen die islamische Kopfbedeckung umgangen. Möglich wurde dies nicht nur durch findige Beamte, sondern auch durch einen entstehenden politischen Konsens in Ankara: Die Regierung Erdogan ist ohnehin für Kopftuch-Freiheit, und jetzt hat auch die Führung der laizistischen Opposition eingesehen, dass sie ohne Lösung des Problems bei den Parlamentswahlen im kommenden Jahr chancenlos sein wird.

Bis vor wenigen Jahren war die Hochschulbehörde YÖK eine Hochburg der Kemalisten, die sich auf Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk berufen und in der religiös-konservativen Regierung von Premier Recep Tayyip Erdogan eine Islamisten-Truppe sehen. Doch inzwischen wird die YÖK-Führung von regierungsnahen Akademikern dominiert. Und die dachten sich jetzt eine Kopftuchlösung aus, nach der das Tuch zwar offiziell verboten bleibt, praktisch aber freigegeben wird.

Anlass war die Beschwerde einer Studentin, die aus einem Istanbuler Hörsaal verwiesen wurde, weil sie ihr Haar unter einem Hut verbarg. Die YÖK ordnete daraufhin an, dass Studierende bei disziplinarischen Verstößen nicht mehr vom Unterricht ausgeschlossen werden dürfen. Professoren und Dozenten sollen vielmehr den Regelverstoß - etwa den Hut - registieren und der Uni-Leitung melden. Welche Disziplinarstrafe die Studentinnen dann zu erwarten haben, ließ die YÖK offen. Sie stellte aber klar, dass sie gegen alle Lehrkräfte ermitteln wird, die weiter Studentinnen aus dem Hörsaal werfen.

Listig betonte der als Gegner des Kopftuchverbots bekannte YÖK-Chef Yusuf Ziya Özcan, in seiner Anordnung sei vom Kopftuch keine Rede. "Wir sind lediglich dagegen, dass Studentinnen wegen ihrer Kleidung aus dem Unterricht entfernt werden." Und das habe man der Istanbuler Universität nach dem Hut-Vorfall auch mitgeteilt. Sollte es an anderen Unis ähnliche Probleme geben, gelte dort dasselbe Prinzip. Übrigens sei er sicher, dass die Parteien in Ankara ohnehin bald eine generelle Lösung für das Kopftuchproblem finden würden, fügt Özcan hinzu.

Da könnte er recht haben. Noch vor zwei Jahren war die kemalistische Oppositionspartei CHP laut schimpfend vor das Verfassungsgericht gezogen, um die Kopftuch-Freigabe zu stoppen. Sie argumentierte, das Tuch sei ein Symbol des politischen Islam; den Hinweis der Erdogan-Regierung auf das Recht auf Bildung wollte sie nicht gelten lassen. Auch die Tatsache, dass Erdogan das Kopftuchverbot für Schülerinnen und Beamtinnen nicht antasten will, beeindruckte die Kemalisten damals nicht.

Nun ist es anders. Die CHP-Führung selbst strebt offiziell ein Ende des Kopftuchverbotes für Studentinnen an. Der neue CHP-Chef Kemal Kilicdaroglu ist entschlossen, das Thema anzupacken. Da zwei von drei türkischen Frauen das Kopftuch tragen, kann die CHP mit ihrem bisherigen strikten Nein zum Kopftuch den Traum einer Rückkehr an die Macht vergessen, ist Kilicdaroglu sicher. In einer internen CHP-Sitzung soll er gesagt haben, seine Partei hätte schon im Wahlkampf vor dem Verfassungsreferendum im September mit Fotos von Kopftuch-Frauen um Stimmen werben sollen.

Kemalistische Hardliner in der CHP sind empört. Kilicdaroglu, der die aktuelle Kopftuch-Debatte mit der Ankündigung einer Lösung losgetreten hatte und sich seit Wochen mit Erdogan über das Thema streitet, sei dem Premier in die Falle gegangen, wetterte die CHP-Abgeordnete Canan Aritman. "Ich finde es nicht richtig, dass wir ein Thema anschneiden, dass selbst die AKP nicht mehr anspricht."

Während die Politiker streiten, richten sich die Blicke auf die Justiz. Bisher vereitelten die kemalistisch geprägten Gerichte alle Versuche zur Kopftuch-Freigabe. Ob das auch diesmal so sein wird, ist noch offen. Noch liegt keine Klage gegen die "Hut-Verordnung" von YÖK-Chef Özcan vor. In einigen Universitäten der Türkei wurden am Dienstag die ersten Kopftuch-Studentinnen gesichtet.

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