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Nach dem Überfall prorussischer Separatisten.

© Reuters

Update

Ukraine: Zwischen allen Stühlen am Runden Tisch

Der deutsche Ex-Diplomat Wolfgang Ischinger soll in der Ukraine vermitteln. Das ist eine schwere Aufgabe – denn das Land steckt nicht nur in der Krise, sondern auch im Wahlkampf.

Die eine Seite will mit Diplomatie und im Dialog einen Weg aus der Krise in der Ost-Ukraine finden, die andere schafft immer neue Tatsachen und macht deutlich, dass sie die Regierung in Kiew nicht als ihre Ansprechpartnerin akzeptiert. Während in der ukrainischen Hauptstadt die OSZE unter der Leitung des früheren deutschen Diplomaten und Leiters der Münchener Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, mit ukrainischen Vertretern aus Politik und Wirtschaft am „Runden Tisch“ einen Dialog startete, gaben die Repräsentanten der russlandnahen „Volksrepublik Donezk“ am Mittwoch bekannt, eine Regierung und ein Parlament bilden zu wollen.

Ischingers Aufgabe ist kompliziert. In Kiew ist nicht nur der Kampf um die Präsidentschaftswahl in vollem Gange, die politischen Lager in Regierung, Parlament und Opposition haben zudem kein einheitliches Konzept, wie mit den Entwicklungen im Osten umgegangen werden soll. Aus den Regionen Donezk und Luhansk kommen immer neue, beunruhigende Meldungen. Am Dienstag ist es in Slowjansk und Luhansk zu den bisher schwersten Auseinandersetzungen zwischen Rebellen und Soldaten der ukrainischen Armee gekommen. Offiziell hat es aufseiten der Armee zehn Tote gegeben.

In der Ost-Ukraine gehen Separatisten offenbar gegen Zivilisten vor

Bei den Unruhen kommen auch immer mehr Zivilisten zu Schaden. Die Tageszeitung „Segodna“ berichtete über schwere Gewalttaten in der Region Luhansk. Dort gingen Gruppen der Separatisten gezielt gegen die Bevölkerung vor. Die Bewaffneten hätten Häuser aufgesucht, die Bewohner bedroht, geschlagen und ausgeraubt. „Alles wird mitgenommen, zum Abtransport dienen die Autos der Opfer“, schrieb die Zeitung. Die Täter wollten ihre Opfer nicht nur bestehlen, sondern auch größtmöglich demütigen. Wie groß der Hass auf beiden Seiten ist, zeigt sich an der Weigerung der Kiewer Regierung, sich mit den Separatisten an einen Tisch zu setzen und am Umgang der Rebellen mit den Vertretern der Übergangsregierung.

In Kiew heißt es hinter vorgehaltener Hand sogar, der Runde Tisch der OSZE finde nur statt, damit der Westen zufriedengestellt wird. In jedem Fall begann er mit einer Überraschung, denn weder Präsidentschaftskandidat Petro Poroschenko noch sein Mitstreiter Vitali Klitschko waren zu Beginn dabei. Über die Gründe wurde nur spekuliert. Ischinger sagte: „Ich bin hergekommen, um der Ukraine ihrem Ziel, nach transparenten Wahlen und europäischer Integration näher zu bringen.“ Das Oberhaupt der Orthodoxen Kirche Kiewer Patriarchat, Filaret, wandte sich mit dem wohl emotionalsten Beitrag an den Diplomaten Ischinger. „Die EU und die USA haben der Ukraine Hilfe zugesagt, wir brauchen eure Unterstützung jetzt dringender denn je. Wir laufen Gefahr unsere Souveränität zu verlieren. Bitte lasst das nicht zu, helft uns, bewahrt uns vor dem russischen Aggressor", sagte der alte Mann.

Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk warnte, das Forum „nicht als Platz zum Schaulaufen zu missbrauchen“. Die frühere Ministerpräsidentin Julia Timoschenko forderte, der nächste Runde Tisch müsse in Donezk abgehalten werden – und zwar mit der Beteiligung von Bürgern. „Der Dialog ist notwendig, aber in der jetzigen Form reicht das nicht“, sagte sie. Und warf dem Westen vor zu zögerlich gegenüber Russland zu sein. In der EU habe es geheißen, man werde Sanktionen der dritten Stufe gegen Russland verhängen, wenn ukrainisches Festland von der russischen Aggression betroffen ist. „Das ist seit Wochen der Fall, aber außer immer neuen Gesprächsrunden, geschieht nichts.“

Die Swoboda-Partei droht mit Vergeltung

In Makejewka, einer Nachbarstadt von Donezk, wurde Ende vergangener Woche Alexander Demko von Unbekannten entführt. Der Mann ist Lokalpolitiker und gehört der nationalistischen Swoboda-Partei an, die in Kiew mit in der Übergangsregierung sitzt. Nach Berichten des lokalen Internetportals „Nowosti Donbass“ wird Demko im besetzten Gebäude der Regionalverwaltung von Donezk festgehalten. Der Mann habe Schusswunden, unter anderem soll er bei einem Fluchtversuch am Wochenende am Becken verletzt worden sein. „Wenn Demko nicht medizinisch versorgt wird, stirbt er“, berichtet das Internetportal. Die Swoboda-Partei hat gedroht, sollte der Politiker nicht freikommen, werde man „Vergeltungsmaßnahmen einleiten“.

Der Gouverneur der Region Donezk, Sergej Taruta, forderte die Räumung des Maidans in Kiew. Das wäre ein Zeichen des Entgegenkommens gegenüber den Menschen in der Ost-Ukraine, dort würden eine Reihe von Menschen leben, die sich auch als „ukrainische Patrioten fühlen, sich aber bisher wenig beachtet fühlen“, sagte der Oligarch. Der Multimilliardär Rinat Achmetow, größter Arbeitgeber des Donbass, wandte sich mit einer Videobotschaft an den Runden Tisch. Er rief zur Einheit der Landes auf. Weder eine Föderalisierung noch eine Unabhängigkeit der Region sei zukunftsweisend. „Der Donbass muss Teil der Ukraine bleiben“, sagte Achmetow. Unter dem Strich, so Beobachter, blieb die Runde ohne greifbare Ergebnisse. Jetzt soll am kommenden Samstag wieder getagt werden – falls die Sicherheitslage es zulässt.

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