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Ursula von der Leyen.

© Mike Wolff

Interview: Ursula von der Leyen: "Wir sind in der Bewährungsphase"

Arbeitsministerin Ursula von der Leyen über den Atomausstieg, die Glaubwürdigkeit der Union – und zu wenig Frauen in den Konzernspitzen.

Frau von der Leyen, was passiert, wenn Parteien nicht mehr als berechenbar wahrgenommen werden?

Die Menschen wissen, dass sich die Welt ändert. Natürlich müssen Parteien berechenbar sein. Das heißt aber nicht, dass sie über Jahrzehnte stur das gleiche sagen müssen. Neue Situationen brauchen neue Antworten, die allerdings gut begründet sein müssen.

Ist die Union unberechenbar geworden?

Nein. In einer Zeit, in der sich die Welt rasend schnell verändert, muss auch eine Partei sich modernisieren, ohne dabei ihre Grundwerte über Bord zu werfen. Sonst geht es uns wie Unternehmen, die nicht zur Innovation fähig sind: Stillstand ist Rückschritt, man verliert an Bedeutung und ist irgendwann weg.

Die Union hat in den letzten Jahren erstaunliche Kehrtwenden vollzogen: in der Atompolitik, beim Familienbild oder auch bei Mindestlöhnen. Haben Sie Verständnis dafür, wenn in Ihrer Partei nicht mehr alle mitkommen?

Nehmen wir das letzte Beispiel. Warum sollten Mindestlöhne nicht dem Wertegerüst der Union entsprechen? Wer fleißig ist und Vollzeit arbeitet, muss davon auch leben können. Das war ein zentrales Anliegen von Ludwig Erhard. Und es gilt auch heute noch. Die Wirtschaftskompetenz der Union ist an anderer Stelle gefragt: Wie finden wir die richtige Lohnhöhe, die fleißigen Menschen ein Auskommen sichert, ohne an anderer Stelle Arbeitsplätze zu vernichten? Hier sehe ich die Kernkompetenz der Sozialpartner. Das sind die Experten, nicht der Staat.

Wie aber wollen Sie erklären, dass Schwarz-Gelb erst die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängert und nun den Atomausstieg forciert?

Fukushima war eine Zäsur, nicht nur für die Union. Dass das in einem Land wie Japan passiert ist, hat unser Technikvertrauen massiv erschüttert. Fukushima wird Folgen für mehrere Generationen haben. Wir müssen uns deshalb von alten Gewissheiten verabschieden, auch wenn es anstrengend ist.

Die Laufzeitverlängerung sollte der schwarz-gelben Koalition Identität stiften. War das im Rückblick ein Fehler?

Wenn Fukushima kein Grund ist, eine Wertentscheidung neu zu treffen, was dann? Wir haben als Regierungskoalition die große Chance, durch gesetzgeberisches Handeln zu beweisen, wie ernst wir es meinen. Im Moment vertrauen uns die Menschen noch nicht. Wir sind in der Bewährungsphase. Aber die werden wir nutzen.

Viele Menschen empfinden offenbar Ihren Kurs nicht als glaubwürdig. Wie wollen Sie das ändern?

Glaubwürdigkeit schafft man durch Handeln.

Was ist denn das richtige Datum für den Ausstieg aus der Atomkraft?

Das kann die Arbeitsministerin nicht beurteilen, aber die Koalition muss ein konkretes Datum für den Atomausstieg nennen. Die Wirtschaft braucht Berechenbarkeit für ihre Investitionen. Wer den Umstieg marktwirtschaftlich beschleunigen will, der muss der Wirtschaft mit einem präzisen Datum entgegenkommen.

CSU-Chef Horst Seehofer fordert die Abschaffung der Brennelementesteuer, die die Atomkonzerne seit Anfang 2011 zahlen müssen. Hat die Steuer immer noch eine Berechtigung?

Sie muss bleiben, denn die Brennelementesteuer finanziert die Kosten für die Sanierung der Asse und die Endlagerung der Abfälle, die schon da sind und noch anfallen. Diese Lasten bleiben ja trotz Umstieg.

Einige Ihrer Parteikollegen beklagen, dass es sich nur für die Grünen auszahlt, wenn die Union die Energiewende voranbringt. Ist da nicht etwas dran?

Wir können nicht ständig darauf gucken, bei wem etwas einzahlt. Als Arbeitsministerin sage ich außerdem, dass in der Energiewende auch eine Riesenchance für die Wirtschaft liegt. Wir können Weltmarktführer in einem Gebiet werden, in dem andere noch schlafen. Im Moment entsteht ein massiver Veränderungsdruck auf die Industrie, der zu Innovationssprüngen anspornt. Der Ausbau der erneuerbaren Energien eröffnet dem Mittelstand Räume, wo bisher wenige Großkonzerne das Feld beherrschen. Da können viele neue Arbeitsplätze entstehen.

Wie bitter ist es für die Volkspartei CDU, dass sie in Bremen von den Grünen auf den dritten Platz verwiesen wurde?

Das ist bitter. Aber das Ergebnis in Bremen sollte uns nicht aufhalten.

Was lernen Sie aus den enttäuschenden Wahlergebnissen der letzten Zeit?

Wer nicht bereit ist zu Veränderungen, der kassiert noch schlechtere Wahlergebnisse.

Muss die Union im Moment solche Kehrtwenden vollziehen, weil sie jahrelang versäumt hat, sich zu modernisieren?

Jetzt schauen Sie doch mal, was die Union schon alles an Modernisierung geschafft hat. Es war die Regierung Merkel, die unser Land mit international beispiellosem Erfolg durch die Krise geführt hat. In der Familienpolitik schreiben uns die Menschen eine Kompetenz zu, die so schnell keiner einholen kann. Lesen Sie bitte das klasse Wahlprogramm der Berliner CDU. Die sind allen anderen Parteien voraus.

Mit der Einführung des Elterngelds und dem Ausbau der Kinderbetreuung hat die Union sich vom konservativen Familienbild verabschiedet, nach dem die Mutter zu Hause bei den Kindern bleibt, während der Vater für den Lebensunterhalt sorgt. Verunsichert das nicht immer noch einen Teil Ihrer Anhänger?

Die Union ist in der Familienpolitik doch nur den Weg mitgegangen, den Menschen heute beschreiten. Sie wollen beides: sich um Kinder kümmern und Karriere machen. Ich finde es urkonservativ, wenn jemand bereit ist, Verantwortung für sich selbst und für andere zu übernehmen.

Für manch einen Konservativen ist es auch eine Zumutung, dass Sie eine Frauenquote für Vorstandsposten in der Wirtschaft fordern. Warum geht es aus Ihrer Sicht nicht ohne gesetzliche Regelung?

Die Wirtschaft braucht die Frauen und die Frauen brauchen Vorbilder in Vorständen und Aufsichtsräten. Am besten wäre, die Wirtschaft regelt das alleine, aber wir versuchen es seit zehn Jahren über freiwillige Vereinbarungen. Der Erfolg: Deutschland liegt bei den Vorständen der Großkonzerne immer noch bei peinlichen drei Prozent Frauenanteil und damit noch hinter Brasilien und Russland. Der Mittelstand hat die Zeit genutzt und marschiert Richtung 30 Prozent. Das zeigt, wir müssen den Konzernen helfen, aufzuholen.

Ihre Kabinettskollegin Kristina Schröder nimmt Ihnen übel, dass Sie sich immer wieder in ihr Ressort einmischen. Kümmert die Ministerin sich zu wenig um die Interessen der Frauen?

Die Federführung bei dem Thema liegt klar bei der Frauenministerin. Wir sind uns im Ziel einig, dass wir dringend mehr Frauen in Führungspositionen in Großkonzernen brauchen. Als Arbeitsministerin will ich mit Blick auf den Fachkräftemangel nicht nur über Chancen von Frauen reden, sondern sie verwirklichen. Die Frauenministerin hat angekündigt, ein Gesetz auf den Weg zu bringen. Sie hat meine volle Unterstützung. Wir müssen klarmachen, welches Ziel bis wann erreicht werden soll. Ich finde außerdem wichtig, dass im Gesetz klargestellt wird, was passiert, wenn nichts passiert.

Werden Unternehmen absehbar nicht mehr genügend Fachkräfte finden, wenn sie nicht mehr Frauen einstellen?

In den nächsten 15 Jahren werden aus demographischen Gründen 6,5 Millionen Erwerbstätige fehlen. Das größte Potenzial schlummert bei den Frauen, von denen viele gerne arbeiten oder mehr arbeiten würden. Es reicht aber nicht, nur auf heimische Arbeitskräfte zu setzen. Wir brauchen auch mehr qualifizierte Zuwanderung. Bei den Ingenieuren ist der Markt leer gefegt, eng wird es auch bei den Ärzten. Wenn wir jetzt nicht gegensteuern, wandern Aufträge und Arbeitsplätze in andere Länder, wo es mehr Fachkräfte gibt.

Die CSU wirft Ihnen vor, dass Sie Billigarbeiter nach Deutschland holen wollen.

Die CSU ist viel schlauer, als Sie es darstellen. Wir holen keine Billigarbeiter. Die ganze Welt wirbt um Ingenieure und Ärzte, da würden wir mit Billiglöhnen nur ein müdes Lachen ernten. Im Gegenteil, wenn der Ingenieur hier arbeitet, dann bringt das Jobs für die technische Zeichnerin dahinter, den Pförtner und die Gebäudereinigerin.

Das Interview führte Cordula Eubel. Das Foto machte Mike Wolff.

ZUR PERSON

MINISTERIN

Als Angela Merkel 2005 Kanzlerin wurde, machte sie Ursula von der Leyen zur Familienministerin. Mit ihrem Engagement für den Ausbau der Kinderbetreuung veränderte Leyen das Familienbild der Union. Ende 2009 übernahm sie das Arbeits- und Sozialministerium, nachdem ihr CDU-Kollege Jung zurücktreten musste. Aktuell steht sie wegen ihres Sparkurses in der Arbeitsmarktpolitik in der Kritik.

MUTTER

Die promovierte Ärztin hat sieben Kinder. Die 52-Jährige lebt mit ihrer Familie bei Hannover, zusammen mit ihrem an Demenz erkrankten Vater Ernst Albrecht, dem ehemaligen Ministerpräsidenten Niedersachsens.

MACHTPOLITIKERIN

Leyen ist mittlerweile in den engsten Führungszirkel der CDU aufgerückt: Seit Ende 2010 ist sie Vizevorsitzende. Nach Horst Köhlers Rücktritt vor einem Jahr wurde sie kurze Zeit als Favoritin für die Wahl zum Bundespräsidenten gehandelt.

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