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FCC-Chef Tom Wheeler wies am Donnerstag die Vermutung zurück, dass das Prinzip der Gleichbehandlung von Datenströmen im Internet über Bord geworfen werden solle.

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US-Pläne zur Lockerung der Netzneutralität: Daten auf der Überholspur

In den USA sollen künftig Firmen Zugang zu schnellerer Datenübertragung haben – gegen Bezahlung. Ist damit die Netzneutralität am Ende?

Wer seine Daten schnell durch das Netz schicken will, muss demnächst entweder viel Geld in die Hand nehmen oder den richtigen Anbieter wählen. Es geht um einen der Schlüsselbegriffe vieler Netzdebatten: Netzneutralität. Genau die will die US-Regulierungsbehörde FCC lockern, was einen Sogeffekt auf das gesamte Geschäftsmodell im Netz haben kann.

Was bedeutet Netzneutralität?

Der Grundsatz ist einfach: Im Netz ist alles gleich, es gibt keine Unterschiede. Daten werden ungeachtet ihrer Herkunft, ihres Inhaltes oder sonst eines Merkmals gleich schnell durch die Datenkabel geschleust. Damit soll gewährleistet werden, dass das Netz kein Spielfeld für die Großen der Branche ist, sondern jeder eine Chance hat, mit seinen Daten – sei es eine Mail an die Oma oder ein Youtube-Film – problemlos durchzukommen. Dabei gilt im Prinzip der Grundsatz: Die Daten, die zuerst da sind, kommen auch zuerst durch.

Doch die Realität sieht anders aus. Schon heute haben Netzprovider ein Netzwerkmanagement, um Engpässe zu beheben oder zu vermeiden. Genau lassen sich die Provider zwar nicht in die Karten schauen, aber es ist davon auszugehen, dass die Daten Vorzug erhalten, deren Funktionalität von der Echtzeitgeschwindigkeit abhängen. Das betrifft beispielsweise Videos oder Internet-Telefonie oder auch den Gesundheitsbereich.

Weniger abhängig von Übertragungsgeschwindigkeiten ist dagegen das „normale“ Surfen im Netz. Den Kern der Netzneutralität betrifft das aber nicht, weil der Grundsatz der Gleichbehandlung gewahrt wird. Gäbe es aber die Möglichkeiten, bestimmte Verträge abzuschließen, um so einen Vorzug für die eigenen Daten zu erhalten, würde das die Netzneutralität tangieren.

Was planen die Amerikaner jetzt genau?

Die US-Regulierungsbehörde FCC hat vorgeschlagen, eine bezahlte Überholspur einzurichten. Damit soll es Firmen ermöglicht werden, ihre Dienste auf schnelleren Leitungen zu den Kunden zu bringen – gegen einen Aufpreis. Damit könnten große Firmen wie Disney, Google oder Netflix Internetprovidern Geld zahlen, damit diese ihre Inhalte auf die Überholspur schicken. Das ist vor allem für Streaming-Dienste, die mit großen Datenpaketen wie Filmen ihr Geld verdienen, interessant.

Damit reagiert die FCC auf ein Urteil eines US-Berufungsgerichts im Januar. Dort wurde einer Klage des Internetproviders Verizon stattgegeben, wonach die Behörde FCC ihre Befugnisse mit einer Verpflichtung zur Netzneutralität überschritten habe. Allerdings hätte es für die FCC auch eine andere Möglichkeit gegeben. Denn das Gericht argumentierte, wenn die FCC das Internet nicht als eine Art Daseinsvorsorge sieht (so wie die Post), sondern als normalen Informationsdienstleister, darf sie auch keine komplette Gleichbehandlung verlangen. Heißt im Umkehrschluss: Die FCC hätte das Netz auch anders definieren können. Doch möglicherweise war der Druck der Kabelnetzbetreiber zu groß. Noch aber sind es auch nur Vorschläge der FCC, die jetzt diskutiert werden.

FCC-Chef Tom Wheeler wies am Donnerstag die Vermutung zurück, dass das Prinzip der Gleichbehandlung von Datenströmen im Internet über Bord geworfen werden solle. Solche Berichte seien „schlicht falsch“. Das Vorhaben sei keine „Kehrtwende“, versicherte Wheeler.

Wie sind die Reaktionen auf die US-Pläne?

Netzaktivisten sind alarmiert, Politiker skeptisch und Branchenvertreter froh. In dieser Spanne bewegen sich die Einschätzungen. Thomas Lohninger beschäftigt sich seit Jahren mit Netzneutralität und er kritisiert die US-Pläne scharf. „Die Vorschläge der FCC wären eine Abschaffung des Prinzips der Netzneutralität. So ein gefährliches Experiment mit dem größten Wachstumsmarkt der Wirtschaft ist unverantwortlich“, sagte er dem Tagesspiegel. Wenn der Zugang zu einer Überholspur im Internet unter den Höchstbietenden versteigert werde, gebe es keinen Anreiz mehr, in die Netze zu investieren. Davon profitierten nur Internet-Monopole sowohl auf Seiten der Internetprovider als auch auf Seiten der Diensteanbieter, die mit diesen teuren Verträge ihre dominante Marktposition absicherten. „Für kleine Start-Ups werden die Barrieren damit immer höher. Google und Facebook konnten aber nur groß werden, weil sie damals aus der Garage heraus die gleichen Chancen hatten, mit ihren Diensten eine globale Nutzerbasis zu erreichen.“ Er sieht jetzt US-Präsident Barack Obama in der Pflicht. „Jetzt wird sich zeigen, ob Obama das Wahlversprechen, mit dem er 2008 ins Amt kam, einhält und sich für die Netzneutralität einsetzt oder ob er kurzsichtige, industriefreundliche Politik macht.“

Auch Thomas Jarzombek, netzpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, hält nicht viel von den US-Plänen. Die Vorschläge entsprächen „auf keinen Fall unseren Vorstellungen. Es ist denkbar, bestimmten Dienstklassen Vorzüge einzuräumen, aber eben nicht einzelnen Anbietern, weil das innovationshemmend ist“, sagte er dem Tagesspiegel. Eine Idee, die auch Lohninger für einen Kompromiss hält.

Positiv beurteilte der Hauptgeschäftsführer des Branchenverbandes Bitkom, Bernhard Rohleder, die Pläne. „Die FCC macht nunmehr den Weg für gesicherte Übertragungsqualitäten frei. Die EU sollte sich bei ihren Plänen zur Netzneutralität daran orientieren. Sie muss dafür sorgen, dass Europa bei der Entwicklung garantierter Leistungen im Internet mit den USA und weiteren Ländern Schritt halten kann.“

Wie geht man eigentlich in Europa mit der Netzneutralität um?

Wie sehen europäische Regelungen aus?

Es gibt in dem Sinne noch keine. Die Niederlande und Slowenien waren die ersten, die 2012 entsprechende Gesetze zur Festschreibung der Netzneutralität verabschiedet hatten. Auf EU-Ebene wollte die Kommission gewissermaßen im Windschatten der Abschaffung der Roaming-Gebühren eine Lockerung der Netzneutralität ähnlich den jetzigen US-Plänen durchsetzen. Doch das EU-Parlament drückte zahlreiche Änderungen durch. Jetzt muss der Europäische Rat darüber noch befinden. Allerdings sind auch in dem EU-Entwurf Sonderregelungen für sogenannte „Spezialdienste“ vorgesehen. So dürfen diese Dienste die Verfügbarkeit und Qualität des offenen Netzes beispielsweise nicht beeinflussen. Sie müssen vielmehr auf „logisch getrennten Kapazitäten“ eingerichtet werden. Das sorgt allerdings für viele Fragezeichen und Rätselraten.

Jarzombek hält dementsprechend nicht viel von den Plänen. „Der derzeitige EU-Vorschlag ist völlig ungeeignet, weil keiner weiß, was sie bedeuten. Was ,logisch getrennte Kapazitäten’ sein sollen, ist noch völlig unklar und überhaupt nicht umzusetzen. So einen Murks können wir nicht mitmachen.“ Man brauche auf europäischer Ebene klare Begriffe und operationalisierbare Entscheidungen, denn sonst könne keiner etwas mit der Regelung anfangen und es dauere Jahre, bis der Europäische Gerichtshof entscheide. „Das wäre ein Armutszeugnis und sollte verhindert werden“, sagte Jarzombek weiter. Für ihn zeigt das auch, dass die Debatte um die Netzneutralität mit viel Ideologie geführt werde, ohne dass diese mit der Realität rückgekoppelt werde. „Das schadet am Ende vor allem dem europäischen Standort.“

Lohninger sieht das völlig anders. Er hält die Vorschläge für praktikabel. Sie verhinderten, dass es eine Zwei-Klassen-Gesellschaft im Netz geben könne. „Mit Spezialdiensten sind Angebote gemeint, die zwar auch auf die Leitungen angewiesen sind, aber mit dem offenen globalen Internet nichts zu tun haben, dazu zählen beispielsweise Telefonie oder TV, aber auch Bankautomaten oder Operationsroboter.“

Wie ist der Stand in Deutschland?

Auch in Deutschland wird Netzneutralität seit langem diskutiert. Schiffbruch erlitt zuletzt die Deutsche Telekom, die plante, Flatrates ab einer bestimmten Grenze zu drosseln, aber eigene Angebote davon auszunehmen. Das sorgte für einen Sturm der Entrüstung, und der Konzern stellte die Pläne erst einmal ein. Die Bundesregierung will ihrerseits die Netzneutralität nicht in einer neuen Verordnung festschreiben. Brigitte Zypries, Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium, verwies Mitte April vor dem Bundestags-Ausschuss „Digitale Agenda“ auf Europa. Ein europaweiter Ansatz sei besser als viele nationale.

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