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Warschau braucht Verbündete, seit Trump mit Russland flirtet. Kann das den Rechtsstaat in Polen retten?

© Reuters

USA, Israel, Polen: Rechtsstaat unter Beschuss

Die Empörung über die USA und Israel ist laut. Dabei wurde der Rechtsstaat dort noch nicht gebeugt. Über das EU-Mitglied Polen erregen sich nur wenige. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Wir leben in einem großartigen Land. Auf Demokratie und Rechtsstaat ist Verlass. Man mag mit der einen oder anderen Entscheidung der Politik und der Richter hadern. Undenkbar aber ist, dass eine Bundesregierung Urteile ignoriert und zum Beispiel Soldaten in den Krieg schickt, ohne das Parlament zu befragen, wie es unser Verfassungsgericht vorgeschrieben hat. Oder Flüchtlinge abschiebt, denen Richter Bleibeschutz gegeben haben. Oder an Orten bauen lässt, an denen es verboten wurde. Der Rechtsstaat ist eine Voraussetzung für dauerhafte Demokratie, das wissen und akzeptieren nahezu alle. Die Judikative verhindert als dritte Gewalt Willkür. Sie setzt der Regierungsmacht Grenzen. Das funktioniert freilich nur, solange die Richter unabhängig sind und vor politischem Druck geschützt werden.

Was uns selbstverständlich erscheint, ist es aber nicht einmal in den Ländern, die wir als Demokratien und Verbündete betrachten. In den USA übt Präsident Donald Trump öffentlichen Druck auf Gerichte aus und verleumdet Richter, die nicht willfährig sind. Immerhin stellt er noch nicht infrage, dass Gerichtsurteile bindend sind, auch für ihn. Er schimpft darüber, dass sein Einreiseverbot für Muslime vorläufig gestoppt wurde – aber er hält sich an das Urteil. In Israel beschließt die Knesset ein Gesetz über die Enteignung palästinensischen Bodens zugunsten der Siedler, von dem der Generalstaatsanwalt sagt, es sei rechtswidrig. Immerhin wird es vor dem höchsten Gericht landen. Auch da besteht Hoffnung, dass der Rechtsstaat sich behauptet.

Polen ist in dieser Hinsicht schon verloren

Polen ist in dieser Hinsicht schon verloren. Die nationalpopulistische PiS-Regierung und Präsident Andrzej Duda – ein Jurist – ignorieren die Urteile des Verfassungstribunals. Durch rechtsbrecherische Berufung neuer Richter aus ihrem Parteiumfeld hebelt die PiS den Grundsatz der politischen Unabhängigkeit der Judikative aus. Zwar gibt es keinen Königsweg, wie man das Ideal der Unabhängigkeit erreicht. Richter sind auch nur Menschen; sie bringen auch ihre Gesellschaftsvorstellungen und ideologischen Vorlieben mit. Gerade deshalb ist es so wichtig, das System aus Richterberufung und Amtsdauer zu schützen, das die Unabhängigkeit garantieren soll.

In den USA ist der Leitgedanke: Die Ernennung auf Lebenszeit verleiht einem Verfassungsrichter Unabhängigkeit. Er kann nicht abberufen werden. Zu Beginn redet die Politik mit. Der Präsident wählt ihm politisch nahestehende Kandidaten aus. Doch der Senat muss zustimmen, und alle paar Jahre erfolgt ein Machtwechsel im Weißen Haus. Das sorgt für Ausgleich. Deutschland macht es anders. Es beruft seine Verfassungsrichter auf Zeit. Die Unabhängigkeit soll ein überparteiliches Wahlverfahren garantieren.

Die Empörung über die USA und Israel ist laut. Dabei wurde der Rechtsstaat dort noch nicht gebeugt. Über das EU-Mitglied Polen erregen sich nur wenige – obwohl die Lage dort viel dramatischer ist. Ein Trost bleibt: Die Hoffnung der PiS-Regierung in Polen, dass Trumps Sieg und der Brexit ihr ideologisch helfen, erfüllt sich nicht. Trump flirtet mit Russland, die euroskeptischen Briten haben in der EU nichts mehr zu sagen. So muss die PiS neue Verbündete suchen. Das verschafft Deutschland und der EU mehr Einfluss. Reicht er zur Rettung des Rechtsstaats in Polen? Wenn nicht, wäre das ein Desaster für die Demokratie bei unserem Nachbarn – und ein fatales Signal für Europa.

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