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Vattenfall möchte seine Tagebaue in Deutschland verkaufen, hier eine Abraumhalde in Jänschwalde in Brandenburg.

© dpa

Vattenfall und die Lausitz: Es hilft nichts, die Kohle zu verteufeln

Vattenfalls Fluchtversuch aus der Lausitz verändert unsere Energiedebatte. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Thorsten Metzner

Es gibt ein sorbisches Sprichwort. „Gott schuf die Lausitz. Der Teufel packte die Kohle darunter.“ Es ist so aktuell wie 1924, als damit begonnen wurde, in den Revieren zwischen Berlin, Dresden und Leipzig die Braunkohle auszugraben, in Kraftwerken zu verbrennen, Elektrizität zu erzeugen. Geringer Brennwert, aber die Lagerstätten gleich unter der Erdkrume. Und für die Mark überhaupt mal ein Rohstoff, der einzige, fortan Segen und Fluch für den sonst bitterarmen Landstrich. Damals wie heute.

Schweden will ein reines Klimagewissen

Jetzt richten sich die Blicke dorthin. Vattenfall will seine Tagebaue und Kraftwerke verkaufen, um sich auf saubere, erneuerbare Energien zu konzentrieren. Eine Vorgabe der neuen rot-grünen Minderheitsregierung Schwedens. Rein betriebswirtschaftlich wäre es paradox, wenn der Staatskonzern ausgerechnet den profitablen Zweig seines sonst verlustreichen Europa-Geschäfts abstößt. Offensichtlicher Grund ist das schlechte Gewissen der Schweden. Sie sind es leid, als Klima- und Landschaftskiller zu gelten. Nur was bedeutet das für Deutschland? Für Sachsen und Brandenburg, wo die Ministerpräsidenten Dietmar Woidke und Stanislaw Tillich, zwei Lausitzer, gerade neue Regierungen bilden, die mit den Folgen umgehen müssen? Ist es ein überfälliger Anstoß, hierzulande nach dem Atomausstieg den Kohle-Ausstieg einzuläuten? Folgt unter neuen Besitzern mit weniger Skrupeln ein längeres Fossil-Zeitalter? Oder gar eine Verstaatlichung, ein neuer VEB Braunkohle, 25 Jahre nach dem Mauerfall ?

Die Braunkohle sichert 8000 Arbeitsplätze in Brandenburg

Vattenfalls Fluchtversuch befeuert eine ewige Debatte neu, in Brandenburg geführt seit 1990, mit dem bekannten Pro und Contra. Es spricht Gewichtiges dafür, im 21.Jahrhundert endlich auf diese archaische Stromerzeugung zu verzichten: Dörfer mit Höfen und Kirchen werden abgebaggert, Familien umgesiedelt, Menschen verlieren ihre Heimat. Die Landschaften verwandeln sich bis zum Horizont in Krater, anschließend werden sie ewig rekultiviert und geflutet, man hat Mühe, die sauren Neuseen ins Gleichgewicht zu bringen. Unkalkulierbare Spätfolgen drohen, wie die Verockerung der Spree, zur braunen Brühe geworden, die erst in Jahrzehnten gesäubert sein wird. Und niemand kann bestreiten, dass Kraftwerke wie Jänschwalde, die Unmengen an Kohlendioxid in die Atmosphäre blasen, kein Beitrag zur Rettung des Weltklimas sind. So weit, so schlecht.

Die Grünen haben kaum Rückhalt in der Lausitz

Aber da ist, was oft leichtfertig abgetan wird, eben auch die andere Realität. Da steht im sonst bis auf wenige Leuchttürme strukturschwachen, von Transfers abhängigen Osten eine Grundlagenindustrie. Die Wertschöpfung und Wohlstand garantiert, in Brandenburg und Sachsen 8000 Menschen Lohn und Brot sichert, 20 000 sind es indirekt. Es sind gut bezahlte Jobs, Tariflöhne, selten im Osten. Aus den Kraftwerken kommt anders als von den Windrädern der Strom rund um die Uhr, zuverlässig, preiswert – übrigens auch für Berlin. Es ist ein Gebot der Vernunft, dass dies keine Regierung in Potsdam und Dresden, egal in welchen Konstellationen, aufs Spiel setzen kann. Es hat Gründe, dass in Brandenburg das Volksbegehren gegen neue Tagebaue – anders als das für ein strengeres BER-Nachtflugverbot – kläglich scheiterte und dass die Grünen in der Lausitz den geringsten Rückhalt haben, selbst in den von Tagebauen bedrohten Dörfern. Dass die Braunkohle eine Renaissance erlebt. Und in der unsicheren Welt führen gerade die Ukraine-Krise, die Sanktionen gegen Russland, eindrücklich vor Augen, welche Folgen eine volle Importabhängigkeit Deutschlands in seiner Energieversorgung haben könnte. Ein voreiliger Verzicht auf den einzigen hundertprozentig heimischen Energieträger – nicht synchron zum Ausbau erneuerbarer Energien – wäre fahrlässig für eine Industrienation.

Es bringt nichts, die Braunkohleindustrie zu verstaatlichen

Vattenfall will raus. Und jetzt? Noch ist vieles ungeklärt, ein schneller Verkauf weder möglich noch realistisch. Aber, es verändert eine Debatte, in der das prägende schwarz-weiße Schema von den fortschrittlichen Kritikern und der rückwärtsgewandten „Kohlelobby“ nie taugte. Oft wurde sie auf beiden Seiten unfair geführt, auch denunziatorisch, verklärend, propagandistisch. Woidke und Tillich argumentierten etwa jüngst in ihrem Mahnbrief an Schweden, dass die Kohlewirtschaft zum Erhalt der sorbischen Kultur beitrage. Das von Vattenfall finanzierte „Archiv der verschwundenen Dörfer“ werden sie kaum gemeint haben.

Und doch sind jetzt Umweltschützer und Regierungen einig wie nie: Wer wie Vattenfall Milliardengewinne mit der Kohle machte, darf sich nicht einfach davonstehlen. Schwedens Kurswechsel zwingt hier zu neuer Sachlichkeit, zum Aufeinanderzugehen. Niemand kann ein Interesse an unkontrollierbaren Kettenreaktionen und Abenteuern haben. An staatswirtschaftlichen Experimenten, einem Einstieg von Hedgefonds – oder gar an einem kurzfristigen, abrupten Aus für die Kohlewirtschaft. Auch das hätte verheerende Folgen für Region, Mensch und Natur. Gott schuf die Lausitz, der Teufel die Kohle.

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