zum Hauptinhalt
Minister Friedrich befürwortet die umstrittene Vorratsdatenspeicherung. Foto: Reuters

© REUTERS

Politik: Verbindung unterbrochen

Internetaktivisten sind enttäuscht vom neuen Innenminister Friedrich

Von Anna Sauerbrey

Berlin - Die Reaktionen in den Blogs waren nicht eben begeistert, als Hans-Peter Friedrich vor gut zwei Monaten Nachfolger von Thomas de Maizière wurde. „Ach du Schreck“, hätten die meisten Netzaktivisten laut gedacht, erinnert sich Alvar Freude, Sprecher der Gruppe „AK gegen Internetsperren und Zensur“. Ein Mann von der CSU im Innenressort – aus Sicht der Internetgemeinschaft verhieß das nichts Gutes.

Viel hat der Neue zunächst nicht dazu gesagt, welche Linie er verfolgen wird. Bei seiner Vorstellung vor dem Innenausschuss des Bundestages hat Friedrich das Thema angesprochen und Kontinuität zugesagt. Doch nun ist die Vorratsdatenspeicherung wieder auf die Tagesordnung gerückt. Das Gesetz, mit dem 2007 eine EU-Richtlinie umgesetzt wurde, sieht vor, dass alle Telefon- und Internetdaten auf Vorrat gespeichert werden, damit Ermittler sie schnell abrufen zu können. Dagegen hat es Protest gegeben. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) ist dagegen, und das Bundesverfassungsgericht hat die Art und Weise der Umsetzung für grundgesetzwidrig erklärt, wenn auch nicht das Speichern selbst. Friedrich will dennoch an einer Speicherdauer von sechs Monaten festhalten – obwohl selbst die EU inzwischen über eine Revision nachdenkt.

Zwar hatte auch de Maizière die Vorratsdatenspeicherung befürwortet. Doch Netzaktivisten wollen bei Friedrich eine neue Kompromisslosigkeit erkennen, wo sie bei seinem Vorgänger Dialogbereitschaft lasen. „Es kann gut sein, dass das Pendel wieder umschlagen wird“, sagt Markus Beckedahl, Cheflobbyist in Sachen Netzfreiheit. Er fürchtet, dass unter dem CSU-Minister sicherheitspolitische Gedanken dominieren könnten. Auch der grüne Netzpolitiker Konstantin von Notz ist skeptisch. „Bislang hat Hans-Peter Friedrich Signalraketen für das eigene Klientel abgeschossen, statt sich inhaltlich mit den Kernfragen auseinanderzusetzen“, sagt der erklärte Gegner der Vorratsdatenspeicherung.

Die Enttäuschung war programmiert. De Maizière hatte die Internetlobby hofiert. Unter dem heutigen Verteidigungsminister war zum ersten Mal so etwas wie gegenseitiger Respekt zu spüren zwischen Minister und Vertretern der „Community“ – und das ist schon viel in dieser schwierigen Beziehung. „Erfrischend im Vergleich zu anderen Innenministern“ sei er gewesen, sagt Beckedahl.

De Maizière hielt eine netzpolitische Rede. Er versprach, den Datenschutz zu verbessern, indem er Anbieter von Speicherplatz im Internet dazu verpflichten würde, Daten zu verschlüsseln. Er forderte eine Informationspflicht der Firmen über personenbezogene Daten, den sogenannten Datenbrief. Außerdem setzte er sich für die im Koalitionsvertrag vereinbarte Stiftung Datenschutz ein, die sichere Anbieter im Internet zertifizieren soll. Als die Empörung um Google Street View hochkochte, ließ er ein „Rote-Linie-Gesetz“ entwerfen, das Eingriffe in die Persönlichkeitssphäre, etwa durch Geodatendienste, beschränken sollte.

Viele dieser Initiativen sind ins Stocken geraten. Das „Rote-Linie-Gesetz“? „Die Reflexionsphase läuft noch“, sagt Ministeriumssprecher Philipp Spauschus. Das Gesetz werde zur Zeit zwischen den Ressorts abgestimmt. Offenbar ist sich der neue Innenminister noch nicht sicher, ob er alle Vorgaben seines Vorgängers teilt. Der Datenschutzbeauftragte Peter Schaar wiederum mahnte die Regierung zur Eile.

Die Stiftung Datenschutz ist noch unfertig. Zehn Millionen Euro sind dafür im Haushalt für 2011 eingestellt, unklar ist aber, wie genau das Geld verwendet wird. Auch die Frage, wer im Stiftungsrat vertreten sein soll, ist noch offen. „Die Stiftung soll noch in diesem Jahr kommen“, versichert Ministeriumssprecher Spauschus dennoch, wann genau, sei aber unklar. Im Dickicht verschwunden ist darüber hinaus die einst für den Herbst 2010 angekündigte Gesamtstrategie „Netzpolitik“ der Bundesregierung.

Entziehen können wird sich Friedrich dem Thema allerdings nicht. Erneuter Ärger um die leidigen Internetsperren dräut schon am Horizont. Zuerst wurde die Einrichtung von Sperren bestimmter Internetseiten von Ursula von der Leyen vorgeschlagen. Sie wollte Besucher von kinderpornografischen Seiten auf eine Seite mit einem Stoppschild umleiten. Die Netzgemeinde protestierte. Voraussetzung wäre gewesen, eine Liste mit Seiten anzulegen, die gesperrt werden sollen. „Zensurlisten“ aber lehnen viele Aktivisten prinzipiell ab. Kürzlich nun wurde das Gesetz gekippt, Friedrich selbst gab das Anfang April bekannt. Kurz darauf aber tauchte die Technik wieder auf, diesmal im neuen Glücksspielstaatsvertrag. Der sieht vor, die Technik einzusetzen, um Deutsche davon abzuhalten, illegale ausländische Glücksspielseiten zu besuchen, zum Beispiel Online-Poker-Seiten.

Auch aus der EU könnten neue Initiativen in dieser Richtung kommen. Das Internetportal Statewatch veröffentlichte vor kurzem ein Protokoll aus dem Ministerrat. Präsentiert wurde ein Vorschlag für „virtuelle Schengen-Grenzen“ um das europäische Internet, die vor illegalen Inhalten aller Art schützen sollen, mit Zugangspunkten, an denen kontrolliert wird, was über die virtuelle Grenze kommt. „China lässt grüßen“, sagt Alvar Freude.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false