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Politik: Verbot verbieten

Aufruf von Prominenten: Urteil zu Buch über DDR-Grenzregime darf nicht rechtskräftig werden

Von Matthias Schlegel

Berlin - In einem Aufruf haben sich mehr als 45 prominente Persönlichkeiten gegen das gerichtlich verfügte Verbot des Buches „Deutsche Gerechtigkeit“ von Roman Grafe ausgesprochen. Das Berliner Landgericht hatte mit seinem am 2. Februar dieses Jahres verkündeten Urteil dem Siedler-Verlag die Verbreitung des Buches mit dem Untertitel „Prozesse gegen DDR-Grenzschützen und ihre Befehlsgeber“ untersagt. Dem Verlag, der zur Verlagsgruppe Random House GmbH gehört, wie auch dem Autor Grafe wurde bei Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu 250 000 Euro oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten untersagt, den Namen des in dem Buch erwähnten ehemaligen Offiziers der Grenztruppen H. im Zusammenhang mit den Todesschüssen auf das letzte Opfer an der innerdeutschen Grenze Chris Gueffroy oder im Zusammenhang mit der heutigen herausgehobenen Position von H. bei der Bundespolizei zu verbreiten. H. war auch gegen die „Süddeutsche Zeitung“, die über den Fall berichtet hatte, gerichtlich vorgegangen. Der Verlag, der Autor und die Zeitung sind gegen das Urteil in Berufung gegangen, über die voraussichtlich im März 2007 entschieden wird.

In dem von der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte veröffentlichten Aufruf wird gefordert: „Dieses Urteil darf nicht rechtskräftig werden.“ Denn die Schlussfolgerungen aus dem Urteil lauteten: „Verantwortliche der SED-Diktatur, die in herausragenden Stellungen Teile eines kriminellen Systems waren, dürfen nur noch benannt werden, wenn sie juristisch verantwortlich zu machen sind. Moralische Mitschuld darf nicht mehr benannt werden. Die Hintermänner der verurteilten Täter, die ideologischen Scharfmacher und ihre im vereinten Deutschland fortgesetzten Karrieren stehen außerhalb jeder Kritik.“

Zugleich fordern die Unterzeichner des Aufrufs, der ehemalige Grenztruppenoffizier dürfe „nicht weiter in der Bundespolizei Karriere machen“. In diesem Zusammenhang zitieren sie Friedrich-Karl Föhrig, Richter im Prozess von 1996 gegen die Grenztruppen-Führung der DDR, aus seinem damaligen Urteil: „Wer in einem solchen Staat, wo auch immer, dem Unrecht dient, macht sich mitschuldig.“

Zu den Prominenten, die den Aufruf unterschrieben haben, gehören der Liedermacher Wolf Biermann, die Schriftsteller Ralph Giordano, Walter Kempowski und Erich Loest, die Autoren Karl Corino, Freya Klier, Arno Lustiger und Lutz Rathenow. Auch etliche Juristen, die in der Vergangenheit an Prozessen gegen die Führungseliten der DDR beteiligt waren, schlossen sich dem Aufruf an, darunter Hansgeorg Bräutigam, Vorsitzender Richter im Honecker-Prozess, Bernhard Jahntz, Staatsanwalt im SED-Politbüro- Prozess, Christoph Schaefgen, der als Generalstaatsanwalt Leiter der Ermittlungsbehörde zur Verfolgung von SED-Unrecht war, und Theodor Seidel, Vorsitzender Richter im Chris-Gueffroy-Prozess. Auch Wissenschaftler, Polizeibeamte und Angehörige von Opfern des Grenzregimes unterschrieben den Appell.

Der den Buchautor vertretende Berliner Rechtsanwalt Jan Hegemann weist die Argumentation des Landgerichts zurück, wonach kein überwiegendes Interesse an der Namensnennung des ehemaligen Grenztruppen-Offiziers bestehe. Mit seinen Äußerungen verfolge Grafe „öffentliche Interessen, die Aufklärung der Allgemeinheit über Fragen des Gemeinwohls beziehungsweise die geistige oder politische Auseinandersetzung“. Dies sei zugunsten des Buchautors zu berücksichtigen. Er habe einen „wichtigen Beitrag zur öffentlichen Auseinandersetzung, zur öffentlichen Meinungsbildung und zur historisch/politischen Aufarbeitung geleistet“. H. sei „ein Funktionsträger des DDR-Unrechtsregimes gewesen“ und sei jetzt in exponierter Stellung bei der Bundespolizei. Auch wenn er selbst kein Straftäter gewesen sei, treffe ihn eine „moralische Mitschuld“, argumentiert der Rechtsanwalt. Auch wegen zahlreicher öffentlicher Auftritte in den vergangenen Jahren könne sich H. nicht auf Anonymitätsschutz berufen.

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