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Parolenklau in Dresden.

© dpa

Vereinnahmung der Parole "Wir sind das Volk": Pegida ist nicht das Volk

"Wir sind das Volk" - die Vereinnahmung dieser Parole durch die "Pegida" ist eine historische Fälschung. Und eine dreiste Lüge. Und eine Anmaßung. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Wolfgang Prosinger

Er ist vielleicht der berühmteste Demonstrationsruf der Geschichte: „Wir sind das Volk“ von 1989. Ein stolzer Ruf.

Seit einiger Zeit kann man ihn wieder hören. In Dresden bei „Pegida“. Vielstimmig. Anklagend. Zornig. Ganz, so will es scheinen, wie damals vor 25 Jahren. Altbekannt also, im Osten nichts Neues. Doch es lohnt sich, genauer hinzuhören. Denn dieser Ruf hat mittlerweile einen anderen Klang bekommen. Die Kanzlerin hat darauf hingewiesen, am Sonntagabend bei „Günther Jauch“ auch Wolfgang Thierse.

Oberflächlich betrachtet zielen beide Parolen in die gleiche Richtung. 1989 und 2014/15 sind Bürger auf der Straße, um klarzumachen, dass sie sich von den Regierenden nicht gehört, nicht gesehen, nicht gefragt, nicht beachtet fühlen. Und dass deren Behauptung, sie machten Politik im Namen und zum Wohle des Volkes, eine dreiste Lüge sei.

Das zu glauben, ist jedem unbenommen, und in manch einem Fall ist das auch ein ganz berechtigter Glaube. Dennoch ist die Vereinnahmung der Parole vom Volk durch „Pegida“ eine historische Fälschung. Etwas, das geschichtlichen Atem hat, geschichtliche Würde und Wichtigkeit, wird nun, 25 Jahre danach, instrumentalisiert, damit die zornigen Bürger von heute am Glanz jener deutschen Revolution partizipieren können, sich darin sonnen und damit dem eigenen Widerstandswunsch Bedeutung verleihen.

Das aber beweist eine vollkommene Verwechslung der Dimensionen: Das Große wird nicht als groß begriffen und das Kleine nicht als klein. Es erinnert an die Parolen von Tierschützern, die ihr Anliegen diskreditierten, als sie die von ihnen bekämpften Legehennen-Batterien drastisch „Hühner-KZs“ nannten. Ihnen schien nicht bewusst gewesen zu sein, dass sie damit die Opfer der Nazi- Morde verhöhnten und die Verbrechen verniedlichten. So ähnlich ist es auch jetzt: Auf den Straßen regiert Geschichtsvergessenheit, Trittbrettfahrerei.

Sie sind eine Minderheit, tun aber so, als sprächen sie im Namen einer Mehrheit

Und Anmaßung. Denn jene, die meinen, das Abendland verteidigen zu sollen, sind ja gar nicht das Volk. Sie gehören lediglich zu ihm, aber sie sind es nicht. Nehmen mit ihrer geliehenen Parole etwas in Anspruch, was sie keineswegs erfüllen. Sie sind eine Minderheit, eine kleine, tun aber so, als sprächen sie im Namen einer Mehrheit. Und leihen sich für ihre Zwecke auch noch den Montag als Protesttag aus. Aber das ist bei Weitem nicht das Ärgerlichste an der Verwendung der historisch besetzten und geadelten Parole „Wir sind das Volk“. Das größere Ärgernis ist die Verdrehung von deren politischem Inhalt. Denn bei „Pegida“ bekommt sie eine völlig andere Konnotation. Sie meint nun nicht mehr bloß, dass sich die Regierenden gefälligst um die Sorgen der Regierten zu kümmern haben. Sondern es steckt etwas darin, das 1989 keinem in den Sinn gekommen wäre: Wir sind das Volk – und die anderen sind es nicht. Die nämlich, die eine andere Hautfarbe haben; die eine andere Sprache sprechen; die an einen anderen Gott glauben. Sie gehören nicht zu diesem Volkskörper, sie sind diesem Körper fremd. Das Wort „Volk“ ist auf einmal völkisch geworden. Die Wörter sind dieselben, aber die Sprache ist eine ganz andere.

Während im DDR-Widerstand das Wort „Volk“ vertikal definiert war, als Scheidung der vielen da unten von den wenigen da oben, wird es nun im Sinne einer anderen Abgrenzung gebraucht. Es spielt Volk gegen Völker aus, das deutsche Volk gegen andere Völker. Damit verlässt die Parole im Grunde den Raum der Protestkultur und wird zu einem Statement im Dienst eines falsch verstandenen Patriotismus.

Natürlich darf in diesem Land jeder rufen, was er will, und er muss es auch rufen dürfen. Kein Mensch, keine Gruppe, keine Partei ist Besitzer von Worten im öffentlichen Raum, niemand hat dafür einen Alleinvertretungsanspruch. Aber wer sie verwendet, muss damit rechnen, dass sie auch gehört werden, dass sie interpretiert werden. Und diese Metamorphose einer Parole bezeugt etwas, sie spricht eine verräterische Sprache. Vielleicht gibt gerade sie eine Antwort auf die bisher so oft wie vergeblich gestellte Frage, was „Pegida“ eigentlich will.

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