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Die Umfragewerte sehen nicht gut aus für Italiens Premier Matteo Renzi.

© ANDREAS SOLARO/AFP

Verfassungsreform für Italien: Ein Referendum entscheidet über Matteo Renzis Zukunft

In zwei Wochen stimmen die Italiener über eine Verfassungsreform ab. Daran hängt auch die Zukunft des Premiers. Was heißt das für Europa?

Wie die Volksabstimmung am 4. Dezember in Italien ausgehen wird, darüber wagt derzeit niemand eine Prognose. Aber eines steht fest: Eine Abstimmungsniederlage könnte Regierungschef Matteo Renzi das Amt kosten – und nach dem Brexit und der Wahl Trumps einen neuen Schock auslösen.

Worüber genau stimmen die Italiener ab?
Abgestimmt wird über die am weitesten reichende Änderung der Verfassung seit deren Inkrafttreten vor siebzig Jahren. Kernstück der Vorlage ist die weitgehende Entmachtung des Senats: Die kleine Kammer soll von 315 auf 100 Mitglieder verkleinert und in eine Regionalkammer nach dem Vorbild des deutschen Bundesrats verwandelt werden.

In die Zuständigkeit des Senats würden bei einer Annahme der Reform künftig nur noch Gesetze fallen, welche direkt die Regionen betreffen; von Vertrauensabstimmungen wäre die kleine Kammer in Zukunft ausgeschlossen. Die Verfassungsreform würde das Ende des bisherigen, relativ ineffizienten Systems mit zwei gleichberechtigten Parlamentskammern bedeuten.

Die Regierung verspricht sich von der Vorlage eine markante Beschleunigung der Regierungstätigkeit: Das „Ping-Pong“ zwischen Senat und Abgeordnetenkammer bei der Gesetzgebung würde weitgehend entfallen; Gesetze könnten vom Parlament nicht mehr blockiert werden, indem sie – wie heute – endlos zwischen den beiden Kammern hin- und hergeschoben werden. Die Stellung des Regierungschefs würde damit deutlich gestärkt, die Durchführung von Reformen erleichtert.

Warum hängt von dem Ergebnis Renzis Zukunft ab?

Der Inhalt der Reform ist im Abstimmungskampf in den Hintergrund getreten: Am 4. Dezember geht es um die Person, die politische Bilanz und das politische Überleben Renzis, nicht um die Verfassungsänderung. Für die potenziell verhängnisvolle Personalisierung der Abstimmung hatte der Premier gleich selber gesorgt: Er erklärte von Anfang an, dass er im Fall einer Niederlage zurücktreten werde. Seine Regierung sei dazu da, um in Italien die überfälligen Reformen anzupacken, betonte Renzi. „Wenn die Italiener diese Veränderungen nicht wollen, dann braucht es meine Regierung nicht – dann gehen wir eben nach Hause.“ Inzwischen hat er diese Ankündigung etwas relativiert – aber er hat diese Woche erneut betont, dass er nicht an seinem Sessel klebe.

Wie argumentiert die Opposition?

Die Opposition hat den Ball gerne aufgenommen: Die Protestbewegung des Ex-Komikers Beppe Grillo – die zweitstärkste Kraft im Parlament nach Renzis Partito Democratico –, die fremdenfeindliche Lega Nord, die radikale Linke sowie Silvio Berlusconis Forza Italia haben angekündigt, am 4. Dezember gegen die Reform zu stimmen.

Aber auch die von Renzi kaltgestellte alte Garde seiner eigenen Partei, allen voran Ex-Premier Massimo D'Alema, ist entschlossen, die Abstimmung zur „Vendetta“ (Rache) zu nutzen. Sie werfen Renzi vor, mit der Reform die bewährten „checks and balances“ der Verfassung auszuhebeln und in Italien ein autoritäres Regime errichten zu wollen. Doch letztlich wollen sie nur eines: den ungeliebten Premier ein für allemal in die Wüste schicken.

Wie stehen die Chancen Renzis?

Renzi seinerseits wirft den Reformgegnern vor, sie wollten einfach ihre einträglichen Senatssessel mitsamt den alten Privilegien retten. Der Premier verspottet die Gegner als rückwärtsgewandte, unersättliche Kaste, die sich im „Sumpf der Immobilität“ wohler fühle als in einem modernen, besser regierbaren und politisch stabilen Italien. „Lasst euch von den Politikern nicht veräppeln“, appellierte der Politiker Renzi diese Woche an die Italiener. „Die wollen nur ihre Pfründe sichern.“ Beppe Grillo hätte das nicht akkurater formulieren können.

Ob sich die Anti-EU- und die Anti-Establishment-Rhetorik für Renzi ausbezahlen wird oder ob die Wähler nicht eher dem Original, also Grillo, den Vorzug geben werden, wird sich erst am 4. Dezember herausstellen. Zumindest in den Umfragen hat die Taktik den negativen Trend nicht umkehren können, im Gegenteil. Die Gegner der Reform liegen laut den jüngsten Umfragen mit sieben bis zehn Prozent in Führung. Aber noch sind ein Viertel der Italiener unentschieden.

Wie steht Renzi zu Europa?

Ende August hatte der italienische Premier noch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und den französischen Staatspräsidenten François Hollande auf den Flugzeugträger „Garibaldi“ eingeflogen, um nach dem Brexit-Schock gemeinsam ein Loblied auf die EU anzustimmen: Die europäische Einheit habe dem Kontinent „Frieden, Solidarität und Wohlstand“ gebracht und sei „nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung“.

In den letzten Tagen aber hat Renzi bei seinen TV-Auftritten alle europäischen Flaggen entfernen lassen; gleichzeitig vergeht kein Tag, an dem er nicht mit markigen Worten gegen die „engstirnigen Bürokraten und Erbsenzähler in Brüssel“ wettert, von denen er „keine Belehrungen oder Befehle“ entgegen nehme. Nicht Italien müsse sich ändern, sondern die EU, lautet die neue Devise in Rom.

Die wundersame Verwandlung des überzeugten Europäers Renzi in einen dauererregten Anti-Brüssel-Polterer ist weniger einem plötzlichen Gesinnungswandel geschuldet als vielmehr der steigenden Nervosität des Premiers im Hinblick auf das Verfassungsreferendum und die wenig optimistisch stimmenden Umfragen. Und so versucht Renzi mit der populären Anti-EU-Rhetorik und mit kostspieligen Wahlgeschenken im Haushalt 2017 – der Regierungschef verspricht dem hochverschuldeten Land Rentenerhöhungen und Steuersenkungen, und sogar der Bau einer drei Kilometer langen Hängebrücke über die Meerenge bei Messina wurde wieder aus der Mottenkiste geholt – das Blatt noch zu wenden.

Wie steht Europa zu Italien?

Nervös ist nicht nur Renzi. Mit wachsender Sorge blicken auch die Nachbarländer auf die Entwicklung in Italien: Nach dem Brexit und der Wahl Donald Trumps zum neuen US-Präsidenten wäre ein Sturz Renzis für die europäischen Regierungen der dritte Schock in Folge. Die Sorge um die Stabilität und Verlässlichkeit Italiens kommt nicht von ungefähr.

Aufgrund des ebenfalls von der Regierung Renzi reformierten neuen Wahlgesetzes, das der stärksten Partei automatisch 55 Prozent der Parlamentssitze sichert, besteht die handfeste Möglichkeit, dass in Rom nach eventuellen Neuwahlen die Protestbewegung von Beppe Grillo mit absoluter Mehrheit regieren könnte: Die Fünf-Sterne-Bewegung (Movimento 5 Stelle) des Genueser Ex-Komikers führt in allen Umfragen vor der Demokratischen Partei Renzis.

Wie groß die Sorge in Brüssel inzwischen ist, lässt sich auch daran ablesen, dass die EU-Kommission bei der Überprüfung des italienischen Staatshaushalts diese Woche erneut beide Augen zugedrückt hat – obwohl die vereinbarten Defizitziele massiv überschritten wurden. Offensichtlich wollte man in Brüssel den Euro-Gegnern in Italien nicht noch kurz vor dem Referendum mit einem blauen Brief neue Munition liefern.

Was würde bei einer Niederlage passieren?
Vor allem in angelsächsischen Medien wird der 4. Dezember deshalb längst zum Schicksalstag für ganz Europa stilisiert. Ein Sturz Renzis und eine Wahl des Euro-Gegners Grillo, so die Befürchtungen, könnte angesichts der extrem hohen Verschuldung des Landes und der Probleme der italienischen Banken mit ihren faulen Krediten einen Schock an den Finanzmärkten auslösen. Die Rede ist sogar von einer neuen, bisher nie dagewesenen Finanzkrise. Tatsächlich haben die Zinsen für italienische Staatsanleihen in den letzten Tagen bereits markant angezogen.

So oder so werden in Rom bereits die Szenarien durchgespielt, die bei einer Ablehnung der Reform eintreten könnten. Bei einer Niederlage wäre es wohl unvermeidlich, dass Renzi Staatspräsident Sergio Mattarella seinen Rücktritt anbieten würde. Der Präsident könnte den Premier aber mit einer teilweise umgebildeten Regierung erneut ins Parlament schicken, um sich einer Vertrauensabstimmung zu stellen. Oder Mattarella könnte eine andere Persönlichkeit mit der Bildung einer Übergangsregierung betrauen, die das Land zu vorgezogenen Neuwahlen im Frühling führen würde. „Auch bei einem Nein würden in Italien keine Heuschreckenschwärme einfallen und es würde auch keine Apokalypse ausbrechen“, versuchte Renzi diese Woche die Welt und sich selber zu beruhigen.

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